Die Umrisse des Yellowstone National Park, dem weltweit ersten Naturschutzgebiet, in der Darstellung von Google Earth. Yellowstone wurde bei seiner Gründung viel Widerstand entgegengebracht, unter anderem von der Holz- und Bergbauindustrie.
Einer der Grundsätze, auf denen die Gründung von Nationalparks und anderen Schutzgebieten beruht, ist der Gedanke, dass sie nicht vergehen sollen, sondern jenseits des Drucks durch die menschliche Gesellschaft bestehen bleiben, um die heutige Generation zu erfreuen und für künftige Generationen bewahrt zu werden. Das Schutzgebiet ist eine Art Geschenk, von einer vorausdenkenden Generation an die nächste weitergegeben. Doch in der wahren Welt, die von kurzfristigem Denken geprägt ist, sind staatliche Schutzgebiete keineswegs ‘unveräußerlich’, wie Abraham Lincoln von einem der ersten sagte; im Gegenteil wird ihr Gebiet zusammengestrichen, sie verlieren den gesetzlichen Schutz oder werden in manchen Fällen ganz aufgegeben. Eine in Conservation Letters, veröffentlichte Studie, die erste ihrer Art, berichtete über 89 Fälle in 27 Ländern, wo Schutzgebiete seit 1900 verkleinert (downsized), ihr gesetzlicher Schutz heruntergestuft (downgraded) oder ganz aufgegeben (degazetted) wurden. Dieser Trend, den die Autoren mit dem Kürzel PADDD (protected areas downgraded, downsized, or degazetted) bezeichnen, ist trotz seines immensen Einflusses auf den Naturschutz bisher kaum untersucht.
“Die Menschen waren sich dieser Vorgänge seit Beginn der internationalen Naturschutzbewegung bewusst. Weil aber die Naturschutzbewegung und –Erforschung meist auf lokaler oder regionaler Ebene stattfand, erkannten und adressierten diejenigen unter uns, die im Naturschutz aktiv sind, zwar einzelne Vorgänge, die zum PADDD – Phänomen gehören, aber nicht die Bedeutung des Gesamtphänomens,” so Mike Mascia, Koautor des Berichts, gegenüber mongabay.com.
Die Forscher fanden drei Hauptursachen hinter dem PADDD – Phänomen: Infrastrukturentwicklung wie der Bau von Straßen und Dämmen, industrielle Nutzung, zum Beispiel für den Bergbau, Öl- und Gasgewinn, Plantagen oder Forstwirtschaft und schließlich die Landgewinnung. Im Verlauf der letzten Jahrzehnte stieg bei Naturschützern das Bewusstsein für die Landrechte der Ureinwohner und der lokalen Bevölkerung genauso wie für ihre Rolle als Verwalter der Ökosysteme, die sie bewohnen. Mascia hält trotzdem verstärkte Forschung über den Einfluss dieser Gegebenheiten auf die weltweiten Schutzgebiete für notwendig.
Einheimischer Parkwächter vom Stamm der Trio in Surinam. Foto: Rhett A. Butler. |
“Die Gemeinschaft der Naturschützer ist sich sicherlich mehr und mehr der Rechte der Ureinwohner bewusst geworden”, meint Mascia. „Jedoch befinden sich unsere Forschungen in einer so frühen Phase, dass wir im Moment nicht einmal darüber spekulieren können, wie sich diese Kenntnisse auf die künftige Entwicklung der Schutzgebiete auswirken wird, besonders was die Wahrscheinlichkeit betrifft, dass sie Ihren Schutzstatus verlieren könnten.
In einigen Fällen hat es dem Naturschutz sogar geholfen, dass der Schutz der Gebiete gelockert und das Management an lokale Gemeinden übergeben wurde.
Dazu die Aussage von Sharon Pailler, einer anderen beim WWF beschäftigten Sozialwissenschaftlerin: „Die Forschungen von Arun Agrawal in Indien legen nahe, dass in manchen Fällen die Umwandlung streng geschützter Gebiete in solche, die der Gemeinschaft unterstellt sind und die erhaltende Nutzung natürlicher Ressourcen erlauben, die lokale Ressourcenverwaltung voranbringen und die Ergebnisse der Schutzbemühungen positiv beeinflussen.”
Trotz allem resultiert die Nutzung durch lokale Gemeinschaften nicht immer einem gleichwertigen oder besseren Schutz. So wurde zum Beispiel das Ruvu–Wildreservat in Tansania offiziell aufgegeben, nachdem die lokale Bevölkerung mit Vieh und Landwirtschaft davon Besitz ergriffen hatte, und das Mgahinga–Waldschutzgebiet in Uganda wurde aufgrund lokaler Forderungen nach zusätzlichen Flächen für die Landwirtschaft um ein Drittel verkleinert. Diese Spannung zwischen menschlichen Anforderungen und der Wichtigkeit von Schutzgebieten sind typisch für das Auftreten von PADDD bei der Landgewinnung.
Weniger komplex ist der Verlust von Schutzgebieten durch Infrastrukturmaßnahmen oder industrielle Erschließung; in solchen Fällen verliert der Naturschutz. Der Beweis hierfür sind Vorgänge in der Vergangenheit: in den späten 1970er Jahren wurde ein Drittel der ursprünglichen Fläche des Kutai–Naturschutzgebiets in Indonesien zur Abholzung freigegeben; in den 1990er Jahren wurden durch Druck von Seiten der Ölindustrie mehrere Nationalparks in Ecuador entweder verkleinert oder ihr Status wurde geändert, wobei in manchen noch geschützten Gebieten das Vorhandensein von Ölindustrie mittlerweile der Normalzustand ist; der Status des Kila–Nationalparks in Malaysia wurde geändert, so dass nun der Anbau von Plantagenholz erlaubt ist, und in den 1960er Jahren wurde ein Reservat auf Madagaskar aufgegeben, damit die Holzindustrie freie Hand hatte.
Nichtsdestoweniger ist PADDD heute genauso sehr ein Thema wie in der Vergangenheit, vielleicht sogar noch mehr. Der Studie zufolge gibt es 12 Länder, die den Schutz von Gebieten entweder in letzter Zeit heruntergestuft haben oder dies planen. Auch ist es wahrscheinlich– obwohl dazu bisher keine gesicherten Kenntnisse vorliegen – dass Fälle von PADDD mit der Abnahme der Rohstoffvorkommen häufiger werden.
„Die Nachfrage nach Öl, Nutzholz und Mineralien steht mit vielen Fällen von PADDD in Zusammenhang, aber ob die zukünftige Nachfrage nach diesen Rohstoffen zu weiteren solchen Vorkommnissen führen wird, ist noch nicht geklärt“, meint Mascia und fügt hinzu: „Es ist sicherlich zu erwarten, dass der wachsende globale Rohstoffbedarf gemeinsam mit dem zunehmenden Druck durch lokale Landansprüche zu vermehrten politischen Debatten über Naturschutzgebiete in Entwicklungs- und Schwellenländern führen wird.“
Von 1985 bis 1997 nahm der Anteil an geschützten Flächen in neun Ländern ab (Botswana, Kamerun, Gabun, Ghana, Guinea-Bissau, Luxemburg, Pakistan, Somalia und Togo), was nahelegt, dass PADDD weit häufiger vorkommt als von Naturschützern im Allgemeinen angenommen.
Die Autoren der Studie führen weiter aus: „Strategien zum Schutz der Natur müssen nicht nur biophysikalischen Störungen wie Klimawandel trotzen können, sondern auch soziopolitischen Erschütterungen wie Nahrungsmittelknappheit, politischen Krisen und Spitzen in der globalen Rohstoffnachfrage.“
Aktuelle Fallstudien
Ein Teil des wolkenverhangenen Virunga–Nationalparks in der Darstellung von Google Earth.
Zur Zeit wird der Status von Nationalparks in vielen Ländern wie zum Beispiel der Demokratischen Republik Kongo, Kambodscha und den USA heftig diskutiert, und in anderen Länder wie Neuseeland wurden erst kürzlich Versuche abgewehrt, ihre Nationalparks herunterzustufen.
Die Regierung der Demokratischen Republik Kongo stellt zurzeit Überlegungen an, ob im Virunga–Nationalpark, dem ältesten Afrikas, die Ölförderung zugelassen werden soll. Diese Diskussion über die Heimat vieler afrikanischer Wildarten mit Kultsymbolcharakter – darunter nicht wenige bedrohte Arten wie Berggorillas – hat so viel Diskussion ausgelöst, dass selbst die UN ihre Missbilligung zum Ausdruck brachte.
Allard Blom, Geschäftsführer beim WWF für deren Projekte im Kongobassin, sagte dazu gegenüber mongabay.com: „Im Namen der Ölförderung den geschützten Status eines Nationalparks herunterzusetzen wäre nicht nur im Kongo, sondern auch nach internationalem Recht illegal. Der Park ist ein geschütztes UNESCO – Weltkulturerbe und damit sind Bohrungen dort ausdrücklich verboten. Der WWF ist strikt gegen jegliche Bohrung oder Ölförderung in Virunga oder die Änderung seines Schutzstatus aus irgendwelchen Gründen.“
Der Umriss des an Kanada angrenzenden Arctic National Wildlife Parks in Alaska (in pink), wie er sich bei Google Earth darstellt. Der Schutz von Amerikas größtem Nationalpark ist ständig in Gefahr, durch Bohrgenehmigungen aufgeweicht zu werden. |
Während die Entscheidung noch aussteht, hat die Debatte im Park selbst schon zu Spannungen geführt. Die nationale Parkbehörde des Kongo, ICCN, hat kürzlich eine Ölfirma bezichtigt, illegal in den Park eingedrungen zu sein.
„Es gibt zur Zeit innerhalb der kongolesischen Regierung einen Konflikt wegen des Schicksals des Virunga–Nationalparks“, fügt Blom hinzu. „Das Umweltministerium sowie die Parkbehörde haben Wiederstand gegen die Zerstörung von Virunga angekündigt, während andere Regierungsfraktionen an der Ölgewinnung interessiert sind. Zurzeit wissen wir wirklich nicht, wie das ganze ausgehen wird.“
Das Argument der Ölfirmen lautet, sie könnten die Sicherheit im Park enorm erhöhen, in dem sich zurzeit gefährliche Rebellentruppen aufhalten. Doch Matthew Lewis, leitender Mitarbeiter des Arterhaltungsprogramms des WWF, sieht Öl im Park nicht als Sieg für die unter Beschuss stehenden Ranger an.
„Es ist eine wenig bekannte Tatsache, dass seit 1996 mehr als 130 Ranger bei der Ausübung ihrer Tätigkeit zum Schutz des Virunga–Nationalparks ums Leben gekommen sind. Abgesehen von den Millionen von Dollars, die über die Jahrzehnte in den Schutz des Parks geflossen sind, wäre es der tragischste Aspekt des Verlustes des Parks an die Ölfirmen, wenn diese mutigen Männer im Kampf für eine verlorene Sache gestorben wären.“
Einige PADDD – Ereignisse haben weniger Aufmerksamkeit durch die Medien und Umweltschutzorganisationen erhalten, könnten aber trotzdem bei lokalen Umweltschutzbemühungen großen Schaden anrichten. So wird zum Beispiel in Kambodscha eine Fläche von über 50.000 Hektar im abgelegenen und wenig erforschten Viracehy-Nationalpark an Gummibaumplantagen und andere Erschließungsprojekte abgegeben, was die Gesamtfläche effektiv um 16% verringert.
Der Staatssekretär des kambodschanischen Umweltministeriums, Thuk Kroeun Vutha, sagte dazu dem Cambodian Daily: „Wenn die Regierung es genehmigt, ist es nicht gesetzeswidrig.”
Die Herabstufung von Parks ist nicht nur in Entwicklungsländern ein Thema. Seit den 1970er Jahren gibt es unter amerikanischen Politikern Debatten darüber, ob das Arctic National Wildlife Refuge (ANWR) — das größte Schutzgebiet der USA – für Ölbohrungen freigegeben werden soll. Während des vergangenen Jahrzehnts wurde unzählige Male über dieses Thema abgestimmt, aber es gelang ihm nie, alle Hürden des amerikanischen politischen Systems zu nehmen. Der derzeitige Präsident der USA, Barack Obama, hat verlauten lassen, er sei gegen die Öffnung des ANWR für die Ölförderung.
Eines der bemerkenswertesten Beispiele für eine Debatte um die Herabstufung von Schutzgebieten trug sich letztes Jahr in Neuseeland zu. Nachdem die neuseeländische Regierung einen Plan bekanntgegeben hatte, sie wolle 7.000 Hektar geschützter Flächen für den Bergbau freigeben, traf sie auf erbitterten Wiederstand. An einem Aufmarsch, den der New Zealand Herald den ‚größten dieser Generation’ nannte, nahmen 40.000 Demonstranten teil. Darauf folgten noch 37.000 Stellungnahmen zu den Plänen der Regierung, die meisten davon kritisch. Die Regierung gab ihre Pläne infolge der Proteste auf.
Während viele Schutzgebiete weltweit durch Herabstufung, Flächenverlust oder Aufgabe bedroht sind, zeigt der neuseeländische Fall, dass es am Ende an uns liegt, ob ein Gebiet der Nachwelt erhalten bleibt.
ZITATE: Michael B. Mascia & Sharon Pailler. Protected area downgrading, downsizing, and degazettement (PADDD) and its conservation implications. Conservation Letters 4 (2011) 9–20. doi: 10.1111/j.1755-263X.2010.00147.x.
Ein Teil des Virachey National Park in Kambodscha in der Ansicht von Google Earth.