- Jahrelang wurde angenommen, dass neue Wasserkraftdämme keine Treibhausgase ausstoßen. Jetzt, wo weltweit 847 große Wasserkraftprojekte (mit einer Kraftwerksleistung von mehr als 100 MW) und 2.853 kleinere (mit einer Kraftwerksleistung von mehr als 1 MW) in Planung oder im Bau sind, hat eine neue, weltweite Studie gezeigt, dass Staudämme bedeutende Treibhausgasemittenten sind.
- Die Studie untersuchte die Emissionen von Kohlenstoffdioxid (CO2), Methan (CH4) und Distickstoffoxid (N2O) von 267 Stauseen auf sechs Kontinenten. Die Forscher_innen gehen davon aus, dass Stauseen weltweit für 1,3 Prozent der von Menschen verursachten Treibhausgasemissionen verantwortlich sind. Dies ist vergleichbar mit denen durch Reisanbau oder das Verbrennen von Biomasse.
- Aktuell werden die Emissionen von Stauseen entgegen der Forderungen der Forscher_innen bei der Bewertung der Emissionen durch den Intergovernmental Panel on Climate Change der Vereinten Nationen (UN IPCC, Zwischenstaatlicher Ausschuss für Klimaänderungen) nicht berücksichtigt. Tatsächlich haben Länder die Möglichkeit, im Rahmen des Clean Development Mechanism (CDM, Mechanismus für umweltverträgliche Entwicklung) der Vereinten Nationen Kohlenstoffgutschriften für neu gebaute Dämme zu erhalten.
- Die Studie stellt die Frage, ob Wasserkraft weiterhin als Ökoenergie gelten und durch Kohlenstoffgutschriften des CDM gefördert werden sollte.
Vom Amazonasbecken bis zu borealen Wäldern und vom Mekong bis zu den Ausläufern des Himalaya sind Flüsse aufgrund des globalen Wasserkraftbooms weltweit Ziel für bedeutende neue Dämme. Außerdem sollen die Trinkwasserversorgung explodierender Bevölkerungen gewährleistet und die Navigation auf den Flüssen vereinfacht werden. 3.700 neue Dämme — 847 davon mit einer Kraftwerksleistung von mehr als 100 MW — sollen entstehen.
Ein starkes Argument für Wasserkraft sieht jetzt jedoch bedeutend schwächer aus. Wissenschaftler_innen haben die bisher umfassendste Beurteilung der weltweiten Auswirkungen von Staudämmen auf die Atmosphäre und die Emission von Treibhausgasen erarbeitet. Und es sind keine guten Neuigkeiten.
Die Forscher_innen gehen davon aus, dass Stauseen — lange vom Klimaprogramm der Vereinten Nationen als “Null-Emittenten” betrachtet — weltweit für 1,3 Prozent der von Menschen verursachten Treibhausgasemissionen verantwortlich sind. Emissionen dieses Ausmaßes sind mit denen von Reisanbau oder dem Verbrennen von Biomasse vergleichbar, schreiben die Autor_innen der Studie.
Trotz ihres Ausmaßes werden diese durch Stauseen verursachten Emissionen jedoch vom Intergovernmental Panel on Climate Change der Vereinten Nationen (UN IPCC, Zwischenstaatlicher Ausschuss für Klimaänderungen) aktuell nicht berücksichtigt. Tatsächlich haben Länder die Möglichkeit, im Rahmen des Clean Development Mechanism der UN Kohlenstoffgutschriften für neu gebaute Dämme zu erhalten. Die Studie stellt die Frage, ob Wasserkraft weiterhin als Ökoenergie gelten sollte.
Dämme nicht „emissionsfrei“
Die Studie, die in BioScience, veröffentlicht wurde, untersuchte die Emissionen von Kohlenstoffdioxid (CO2), Methan (CH4) und Distickstoffoxid (N2O) von 267 Stauseen auf sechs Kontinenten. Insgesamt haben die untersuchten Stauseen eine Fläche von 77.287 Quadratkilometern (29.841 Quadratmeilen). Dies entspricht ungefähr einem Viertel der Fläche aller Stauseen, die gemeinsam eine Fläche von 305.723 Quadratkilometern (118.040 Quadratmeilen) haben — in etwa die Größe des Vereinigten Königreichs und Irlands zusammen.
„Die neue Studie bestätigt, dass Stauseen bedeutende Mengen Methan ausstoßen, ein besonders aggressives Treibhausgas,“ sagte Kate Horner, Geschäftsführerin von International Rivers, und fügte hinzu, dass Wasserkraftdämme „nicht länger als saubere und grüne Quelle für Elektrizität angesehen werden können.“
Wichtig ist, dass die Studie die relativen Emissionsanteile jedes der drei Gase einzeln betrachtet — eine entscheidende Überlegung, da diese Gase unterschiedlich starke Auswirkungen auf die globale Temperatur haben. Methan und Distickstoffoxid sind um ein Vielfaches stärker als Kohlenstoffdioxid und sie verhalten sich im Lauf der Zeit auch unterschiedlich, nachdem sie in die Atmosphäre gelangt sind. Beide diese Faktoren sind für die kurz- und langfristige Politik bezüglich der Emissionsziele von Bedeutung. Über einen Zeitraum von 100 Jahren sind die Auswirkungen von Methan auf die Erderwärmung mehr als 30 Mal und die von Distickstoffoxid fast 300 Mal stärker als die von CO2.
Die Autor_innen der Studie behaupten jedoch, dass — den Wandel der Klimapolitik dahingehend betreffend, die globale Erwärmung schnell einzudämmen und die globalen Emissionsziele zu erreichen, die im Übereinkommen von Paris festgelegt wurden — die nächsten 100 Jahre nicht annähernd so relevant sind wie die nächsten 20 Jahre. Und weil Methan „im Vergleich zu CO2 (Lebensdauer von Jahrhunderten) eine relativ kurze Lebensdauer in der Atmosphäre hat (etwa ein Jahrzehnt),“ schreiben sie, „hat es ein größeres Erderwärmungspotenzial im kürzeren Zeitraum von 20 Jahren.“
Tatsächlich sind die Auswirkungen von Methan für die Zeitspanne von zwei Jahrzehnten 86 Mal größer als die von CO2. Wichtig ist außerdem, dass die Studie zu dem Ergebnis kam, dass Methan in einem Zeitraum von 20 Jahren für 90 Prozent der Erderwärmung verantwortlich ist, die durch die Emissionen von Staudämmen verursacht wird.
Der Ärger mit den Blasen
Ungefähr die Hälfte des Methans, dass durch Stauseen verursacht wird, wird in Form von Blasen freigesetzt, die aus dem Sediment aufsteigen und durch Wassersäulen an die Oberfläche des Stausees gelangen. Das Gas, dass sich in den Blasen in den Wassersäulen befindet, „ist der direkteste Weg für Methan, in die Atmosphäre zu gelangen, ohne durch [die Reaktion mit] Sauerstoff in Kohlenstoffdioxid umgewandelt zu werden,“ sagte Tonya DelSontro von der Universität von Quebec in Montreal, eine der Autorinnen der Studie.
Die Berücksichtigung des Anteils der Methanblasen ist deshalb eine wichtige Komponente für genaue Schätzungen der von Stauseen verursachten Emissionen. Es ist jedoch schwierig, sie zu messen. Blasen sind schwer zu lokalisieren, erklärte DelSontro, die Methanemissionen von Seen und Stauseen in der Schweiz, Zambia und Kanada erforscht hat.
Wann und wo Blasen auftauchen und wie wahrscheinlich es ist, dass Forscher_innen sie entdecken, hängt von vielen Faktoren ab, beispielsweise von der Nähe zum Ufer und zu Zuflüssen sowie vom Wasser- und Luftdruck. Außerdem ist die Methode wichtig, die zur Messung der Gasemissionen von Stauseen verwendet wird. Viele der üblichen Techniken könnten die Blasenbildung — Wallung genannt — komplett übersehen. Die Wissenschaftler_innen berichten, dass nur die Hälfte der Studien, die sie untersuchten, die Blasen bei den Messungen der Methanemissionen berücksichtigen — was bedeutet, dass die Methanemissionen nicht vollständig erfasst werden.
Schätzungen der von Stauseen verursachten Emissionen, die Wallung berücksichtigten, waren im Durchschnitt doppelt so hoch wie diejenigen, die dies nicht tun. Der Anteil der Methanblasen war „außerdem sehr unterschiedlich. Er lag zwischen 0 und 99,6 Prozent des CH4-Flusses [Methan, das in die Atmosphäre ausgestoßen wird],“ schreiben die Wissenschaftler_innen. „Dies macht deutlich, wie wichtig es ist, beide Arten von CH4-Emissionen zu messen, um den gesamten Fluss zu schätzen, der von der Wasseroberfläche von Stauseen ausgeht.“
Emissionsmechanismen von Stauseen
Wovon hängt es ab, wieviel Treibhausgas ein bestimmter Stausee ausstößt? Frühere Studien haben auf die Bedeutung des Breitengrads hingewiesen, wobei tropische Stauseen — beispielsweise die, die in der Amazonasregion geplant werden oder im Bau sind — als Schwergewichte der Emission galten. Diese neueste Studie kam jedoch zu dem Ergebnis, dass Stauseen in mittleren Breiten genauso viel Methan ausstoßen könnten. Die Höhe der Methanemissionen konnte eher mit dem Nährstoffreichtum von Stauseen als mit dem Breitengrad selbst in Verbindung gebracht werden.
Wenn Nährstoffe und organische Substanz — die mikrobische und Algenpopulationen stärken können — reichlich vorhanden sind, sind die Methanemissionen höher. Dies ist oft in Stauseen in Regenwäldern der Fall, da dort viel Vegetation eingeschwemmt werden kann, wenn der Stausee zum ersten Mal gefüllt wird. Die Autor_innen haben jedoch noch weitere, potenziell große Methanemittenten identifiziert: Stauseen in landwirtschaftlichen Regionen in anderen Breitengraden, wo Nährstoffe und organische Substanz aus Einzugsgebieten in den Stausee sickern können.
Die neuen Forschungen erkannten außerdem die Wassertemperatur als wichtigen Faktor, wobei wärmeres Wasser die Aktivität von Mikroben und Algen begünstigt. Was dies angesichts der globalen Erwärmung bedeutet, ist ungewiss. Die Forscher_innen weisen jedoch darauf hin, dass durch die Erwärmung der Stauseen aufgrund der wärmeren Atmosphäre eine „positive Feedbackschleife“ entstehen könnte.
DelSontro erklärte, dass „die zukünftige Klimaveränderung, der Bevölkerungsdruck, das Wachstum der Agrarindustrie sowie andere Veränderungen der Landnutzung im Süßwasser eine Zunahme des Nährstoffeintrags verursachen und so die Produktion, z. B. die Algenblüte, sowie eventuell eine höhere Methanemission anregen könnten.“ Mehr Methan in der Atmosphäre würde ein wärmeres Klima bedeuten, was wiederum das Wachstum von Algen und Mikroben in Stauseen verstärken könnte, wodurch mehr Treibhausgase entstehen würden, die das Klima weiter erwärmen würden.
Die Studie hebt außerdem weitere wichtige Emissionsursachen hervor, die bei der Berechnung der Emissionen von Stauseen üblicherweise nicht berücksichtigt werden und die weiterer Untersuchungen bedürfen: Emissionen aus „Schwelluferzonen“ (Gebiete, die aufgrund von Wasserspiegelschwankungen immer wieder überflutet werden); „Entgasung“ durch die Anreicherung von Wasser mit Luft in Turbinen und Hochwasserentlastungen; sowie die Zersetzung von Holz, was bekannterweise einen bedeutenden Anteil an den Emissionen tropischer Stauseen hat, aber andernorts noch nicht erforscht wurde.
Globale Emissionsbudgets
Die Autor_innen raten dringend dazu, dass aufgrund der beinahen Verdoppelung der Stauseeflächen, die für die nächsten Jahrzehnte vorausgesagt wird, die Vorteile neuer Dämme sorgfältig gegen die Kosten ihres Baus abgewogen werden sollten. Momentan sind weltweit 847 große Wasserkraftprojekte (mit einer Kraftwerksleistung von mehr als 100 MW) und 2.853 kleinere (mit einer Kraftwerksleistung von mehr als 1 MW) in Planung oder im Bau.
Die Treibhausgase, die durch Stauseen verursacht werden, sollten laut den Forscher_innen in der internationalen Politik nicht länger ignoriert, sondern „in die zukünftigen Budgets des UN IPCC [Intergovernmental Panel on Climate Change, Zwischenstaatlicher Ausschuss für Klimaänderungen] und andere Verzeichnisse über von Menschen verursachte THG [Treibhausgas]-Emissionen integriert werden,“ besonders weil Methanemissionen in den ersten 20 Jahren eines Stausees die gravierendsten Auswirkungen haben.
„Die Bedeutung hydroelektrischer Dämme in Emissionsverzeichnissen und beim Klimaschutz wurde systematisch ignoriert,“ und muss dringend berücksichtigt werden, schrieb Philip Fearnside des National Institute for Research in Amazonia in 2015.
„International Rivers setzt sich seit vielen Jahren dafür ein, dass die Emissionen von Stauseen in die nationalen Treibhausgasverzeichnisse aufgenommen werden,“ fügte Horner hinzu, „und das IPCC sollte bei der Neubewertung seiner Methodik bezüglich solcher Verzeichnisse den Bau von Dämmen nicht länger gutheißen.“
Fearnside betonte einen weiteren wichtigen Aspekt, der in den Überlegungen des IPCC hinsichtlich der durch Stauseen verursachten Emissionen ausgelassen wird: Landnutzungsänderungen wie Entwaldungen, die oft mit dem Bau von Dämmen einhergehen. Horner brachte dies ebenfalls zur Sprache: „Bei Wasserkraftprojekten, zum Beispiel im Amazonasgebiet, in Zentralafrika und in Südostasien, werden oft naturbelassene Waldgebiete gerodet. Die Ergebnisse der Studie sind insofern konservativ, als sie die gravierenden Emissionen durch diese zusätzliche Entwaldung nicht berücksichtigen.“
Neben Treibhausgasemissionen gibt es bei der Dammentwicklung oft eine Vielzahl weiterer ökologischer und sozialer Probleme, so zum Beispiel in der Amazonasregion, am Mekong und andernorts: Gemeinschaften werden verdrängt, aquatische und terrestrische Lebensräume unwiderruflich verändert, Fischereien negativ beeinflusst, Migrationsgewohnheiten beeinträchtigt und Wasser- und Nährstoffkreisläufe gestört.
Die Forscher_innen schlagen vor, einige der Emissionen, die durch Stauseen verursacht werden, dadurch abzumildern, die Dämme flussaufwärts von Nährstoffquellen zu bauen und die Nährstoffspiegel in den Einzugsgebieten der Stauseen zu reduzieren. Die Vegetation vor der Flutung zu beseitigen, ist eine weitere Strategie zur Reduzierung der anfänglichen Spitze der Methanemissionen. Horner gibt allerdings zu Bedenken, dass „die beseitigte Biomasse dennoch CO2 ausstößt, wenn sie verbrennt oder sich zersetzt, und dass langfristige Emissionen der organischen Substanz, die sich in einem Stausee befindet, nicht verhindert werden können.“
DelSontros fortlaufende Erforschung der Seen von Quebec weist darauf hin, dass das Verständnis des Zusammenspiels von Temperatur und Nährstoffen für genaue Vorhersagen der Treibhausgasemissionen von Bedeutung ist. „Einige Leute, auch ich, suchen nach dieser Art von Prädiktoren, um bessere Vorhersagen bezüglich potentieller Veränderungen der Treibhausgasbudgets von Süßwasser angesichts der weltweiten ökologischen Veränderungen treffen zu können.“
„Besonders Stauseen betreffend ist es essentiell, zu verstehen, dass diese Gewässer das Potential haben, Treibhausgase auszustoßen — auch hydroelektrische Stauseen, die „saubere“ und „grüne“ Energie produzieren,“ schlussfolgerte sie. „Deshalb sollte eine ökologische Beurteilung Teil potentieller Stauseeprojekte sein, die mögliche Treibhausgasemissionen unter Berücksichtigung der Emissionen des natürlichen Ökosystems einbezieht.“
Horner nimmt eine deutlichere Haltung bezüglich neuer Wasserkraftdämme ein: „Zu einer Zeit, wo Wind- und Sonnenenergie günstig und reichlich verfügbar sind, sind solche Treibhausgasemissionen nicht zu rechtfertigen.“
Quellen:
Bridget R. Deemer, John A. Harrison, Siyue Li, Jake J. Beaulieu, Tonya DelSontro, Nathan Barros, José F. Bezerra-Neto, Stephen M. Powers, Marco A. Dos Santos, and J. Arie Vonk (2016) Greenhouse Gas Emissions from Reservoir Water Surfaces: A New Global Synthesis. BioScience, 66: 949-964
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