- Vom Aussterben bedrohte Arten pflanzen sich oft nicht erfolgreich fort, wenn sie in Gefangenschaft sind oder nachdem sie wieder ausgewildert wurden. Forscherin Stephanie Courtney Jones glaubt, dass wir durch die Erforschung der Eigenschaften von „Schädlingen“, die diesen invasiven Arten helfen, sich erfolgreich in verschiedenen Lebensräumen fortzupflanzen, möglicherweise gefährdeten Arten helfen können, dasselbe zu tun.
- Courtney Jones untersucht eine invasive Mäusespezies, um zu sehen, wie sich wilde und in Gefangenschaft lebende Tiere über die Generationen hinweg unterscheiden. Während es zum Beispiel keinen äußerlichen Unterschied zwischen wilden Mäuse und solchen in Gefangenschaft gibt, verringern sich die Größe der Milz und der Nieren sowie die Länge des Darms, je mehr Generationen die Mäuse in Gefangenschaft verbracht haben.
- Sie fragt sich, ob solche Veränderungen wiederum veränderbar sind und ob vom Aussterben bedrohte Arten durch Anregungen - verschiedene Lebensmittel oder Verhaltensweisen – dazu gebracht werden könnten, zum Überleben nützlichere Eigenschaften zu entwickeln.
- Die Forscherin ist sich der Herausforderungen ihrer Arbeit bewusst. Es gibt zum Beispiel eine große Zahl von Variablen, weshalb die Veränderung eines spezifischen Merkmals auch unabsichtlich die Manifestation von anderen Merkmalen auslösen kann. Und niemand weiß, wie veränderte gefährdete Arten dann in ihrer Umgebung interagieren könnten.
Wissenschaftler_innen wissen seit Langem, dass invasive Arten “Schädlingseigenschaften” besitzen, die ihre Ausbreitung begünstigen. Was wäre, wenn ähnliche, latent vorhandene “Schädlingseigenschaften” bei vom Aussterben bedrohten Arten hervorgerufen werden könnten, damit sie anpassungsfähiger sind, und so vielleicht die Erfolgsraten der Zuchtprogramme oder Auswilderungen verbessert werden könnten?
Es ist eine „gefährliche zoologischen Idee“, stimmt Stephanie Courtney Jones, Doktorandin an der australischen Universität von Wollongo, dem Titel eines Symposiums der Royal Zoological Society of New South Wales in 2013 zu, das Forscher_innen aufforderte, über Fragen nachzudenken, die die Konventionen der Umweltwissenschaft infrage stellen.
Als Courtney Jones anfing, über solche Ideen nachzudenken, hatte sie kein bestimmtes Konzept im Auge. Erst die Kombination einzigartiger Arbeitserfahrungen und eines sechsmonatigen europäischen „Rundgangs“ führten dazu, dass sie schließlich ihre eigene „gefährliche zoologische Idee“ hatte – eine Idee, die heute ihre Doktorarbeit antreibt.
Es begann mit ihrem Master-Abschluss-Projekt über Hühner, sagt Courtney Jones, durch das sie erfuhr, dass die Länge des Darms der Vögel durch die Gabe von verschiedenen Futtermitteln verändert werden kann. Eine weitere Inspirationsquelle war ihre Arbeit in einem Zoo, bei der sie versuchte, herauszufinden, wie man gefährdete Arten dazu bringen kann, sich fortzupflanzen, wenn sie nicht dazu geneigt sind. Währenddessen arbeitete ihre beste Freundin an einer Abschlussarbeit, die Eigenschaften analysierte, die einige Skinkarten dazu befähigt, neue Lebensräume erfolgreicher zu erobern.
Courtney Jones ahnte, dass all diese Dinge verbunden sind: „Wir wissen, dass invasive Arten Verhaltensveränderungen aufweisen, durch die sie sehr anpassungsfähig sind. Wir wissen, dass wir Hühnern Futter geben können, das ihren Darm verkürzt“, erklärt sie. „Warum können wir also nicht herausfinden, warum es Tieren in Gefangenschaft nicht gut geht? Und wie der Phänotyp [die beobachtbaren Eigenschaften] verändert werden kann — morphologisch und auf das Verhalten bezogen?“
Mongabay: Wie haben Sie aus dieser Frage eine Doktorarbeit gemacht?
Stephanie Courtney Jones: Ich untersuche Veränderungen zwischen wilden und in Gefangenschaft lebenden Mäusepopulationen – eine invasive Spezies. Obwohl sich die Forschung zu Zuchtprogrammen grundsätzlich auf gefährdete Arten konzentriert, wollte ich Veränderungen bezüglich des Verhaltens und der Morphologie untersuchen. [Morphologie ist der Zweig der Biologie, der die Formen lebender Organismen und die Beziehungen zwischen ihren Strukturen behandelt.] Dazu muss ich sezieren, um buchstäblich zum Kern des Problems vorzudringen. Das könnte ich mit einem vom Aussterben bedrohte Tier nicht machen.
Also habe ich Verhaltensweisen und Morphologien von drei verschiedenen Mäusepopulationen verglichen, um zu sehen, was über die Generationen hinweg passiert ist. Eine Gruppe bestand ausschließlich aus wilden Mäusen, die ich an einem sehr spannenden Standort gefangen habe – einer Schweinefarm. Zur zweiten Population [gehörten] „gefangene“ Mäuse aus einer bestehenden Zuchtgruppe, die aber von der selben Schweinefarm stammten. Dann habe ich diese gefangenen Mäuse gezüchtet und ihre Nachkommen, die F1-Generation, als dritte Gruppe verwendet. [Eine F1-Generation wird als die erste Kindergeneration definiert. Sie entsteht aus Nachkommen aus einer Kreuzung zwischen Stämmen von unterschiedlichen Genotypen].
Mäuse in Gefangenschaft sind im Vergleich zu wilden Tieren mutiger und aktiver. Bei nachfolgenden Generationen zeigt sich dies um so deutlicher. Außerdem gibt es einen Rückgang geschlechtsspezifischer Verhaltensweisen bei in Gefangenschaft lebenden Populationen (Weibchen und Männchen verhalten sich ähnlich). Bezüglich der Morphologie gab es keine äußerlichen Unterschiede zwischen den Populationen, was die Körper-, Schwanz- und Schädellänge betrifft . Die Größe der Milz und der Nieren sowie die Länge des Darms waren jedoch geringer, je mehr Generationen die Mäuse in Gefangenschaft verbracht hatten. Alle diese Organe schrumpfen in Gefangenschaft, vermutlich deshalb, weil es viel Energie kostet, sie zu erhalten, wenn sie nicht benutzt werden.
Mongabay: Also unterscheiden sich in Gefangenschaft gezüchtete Tiere vielleicht in einer Weise von ihren wilden Artgenossen, die wir nicht unbedingt sehen können, und aufgrund dieser Veränderungen könnten ihre Überlebenschancen in ihrem natürlichen Lebensraum sinken. Und jetzt?
Stephanie Courtney Jones: Als nächstes müssen wir herausfinden, ob es sich hierbei um veränderbare oder feststehende Eigenschaften handelt. Können sich die Organe oder der Darm im Lauf der Zeit vergrößern?
Wenn die Veränderungen wiederum veränderbar sind, kann diese Plastizität vielleicht durch Anregungen – verschiedene Lebensmittel oder Verhaltens-Tools – herbeigeführt werden, sodass die Tiere diese wilden Eigenschaften wieder entwickeln. Aber wenn diese Veränderungen nicht wieder verändert werden können, müssen wir die Elterngeneration betrachten und darüber nachdenken, wie die Beeinflussung von Eigenschaften der Eltern die Nachkommen beeinflussen könnte. Jedenfalls könnten vielleicht die Unterschiede zwischen den in Gefangenschaft gezüchteten und den wilden Mäusen reduziert werden.
Dies herauszufinden, könnte Arten wie dem Bergbilchbeutler helfen. Aktuell leben Bergbilchbeutler nur auf Berggipfeln in kühlen Klimaregionen. Paläontologische Aufzeichnungen zeigen jedoch, dass sie [früher] in gemäßigteren Gebieten mit einer viel größeren Ausbreitung [lebten] als heute. [Unter Bilchbeutlerforscher_innen] gibt es die Vorstellung, dass, wenn man sich die Zeit der Ururgroßväter erschließen und herausfinden kann, wie die Widerstandsfähigkeit gegen verschiedene Klimas aktiviert werden kann, sie möglicherweise in andere Lebensräume ausgewildert werden könnten, die nicht unbedingt genau das Klima aufweisen, in dem sie sind – oder waren –, aber wo die Tiere möglicherweise bleiben könnten.
Obwohl ich also mit einer invasiven Maus arbeite, könnte diese Idee einer nicht-invasiven Art wie dem Bilchbeutler helfen, erfolgreich in neuen Habitaten zu leben.
https://www.youtube.com/watch?v=vjmES6iMlN4
Mongabay: Was sind die größten Herausforderungen bei Ihrer Arbeit?
Stephanie Courtney Jones: Wenn Sie mich vor vier Jahren gefragt hätten, worüber ich meine Doktorarbeit schreiben würde, hätte ich gesagt, dass ich mich mit der Idee beschäftigen würde, gefährdete Arten auszuwildern, um dann zu sehen, was passiert. „Freiheit für den Phänotyp“ sollte der spielerische Titel meiner Doktorarbeit sein, inspiriert von Elsa, der Löwin aus „Frei geboren – Königin der Wildnis.“
Tatsächlich konnte ich jedoch kein einziges Tier auswildern, teilweise weil Mäuse in Australien Schädlinge sind, aber auch weil es ein bisschen naiv war, zu denken, ich könnte mit dieser Idee alles erreichen, was ich wollte, ohne solide Kenntnisse der grundlegenden Veränderungen, die in Gefangenschaft auftreten, zu haben. Ich habe gerade erst angefangen und es gibt so viel mehr als ich dachte, als ich angefangen habe.
Zum Beispiel kann man ein bestimmtes Verhalten manipulieren, aber man weiß nicht, wie sich das auf andere auswirken wird. Ich habe mich auf die Eigenschaften Mut und Aktivität bei Mäusen konzentriert, aber ich weiß, dass es eine ganze Reihe anderer Dinge gibt, die für ein Tier wichtig sind, wenn es ausgewildert wird. Der zeitliche Rahmen ist ebenfalls ein Faktor. Wird das Verhalten unmittelbar nach der Freilassung untersucht? Für ein paar Tage? Oder für den Rest des Lebens [des Tieres]?
Manchmal ist es verwirrend, [zu versuchen, alle relevanten Faktoren zu berücksichtigen]. Die Natur kann es am besten und macht es großartig. Wenn wir Menschen also versuchen, diese Systeme zu manipulieren, wissen wir wirklich nicht, was wir tun.
Trotzdem denke ich, dass wir mehr experimentieren sollten. Ich habe Kolleg_innen, die als Reproduktionsbiolog_innen in Zoos mit gefährdeten Arten arbeiten und nach neuen Ansätzen bezüglich der Partnerwahl suchen. Anstatt zu kontrollieren, wer sich mit wem paart, um genetische Vielfalt zu erhalten, sagen die Wissenschaftler_innen: Lassen wir die Dame wählen, vielleicht weiß sie es am besten. Und das hat zu größerem Reproduktionserfolg geführt, zu mehr Würfen.
Wenn ich das höre, frage ich mich: Was passiert mit der nächsten Generation? Wie ist es um sie bestellt? Wir fangen gerade erst an, zu verstehen, was wir mit Tieren in Gefangenschaft machen.
Weitere Informationen zum Thema:
Stephanie Courtney Jones’ Blog: https://zoologistjones.wordpress.com/
Chapple D, Simmonds S, and Wong B. “Can behavioral and personality traits influence the success of unintentional species introductions?” Trends in Ecology and Evolution, 2012. Jan; Vol. 27(1), pp 57–64.
Chapple D, Simmonds S, and Wong B. “Know when to run, know when to hide: can behavioral differences explain the divergent invasion success of two sympatric lizards?” Ecol Evol. 2011 Nov; Vol.1(3): pp 278–289.
Courtney Jones SK, Munn AJ, Penman TD, and Byrne PG. Long-term changes in food availability mediate the effects of temperature on growth, development and survival in striped marsh frog larvae: implications for captive breeding programmes. Conservation Physiology, Vol. 3 (1):cov029.
Courtney Jones SK, Cowieson A, Williamson S, and Munn A. No effect of short‐term exposure to high‐fibre diets on the gastrointestinal morphology of layer hens (Gallus gallus domesticus): body reserves are used to manage energy deficits in favour of phenotypic plasticity. J Anim Physiol Anim Nutr, (2012). Vol. 97: pp 868–877.