- Spanien ist eines der EU-Länder, die am schlimmsten von der Großen Rezession getroffen wurde. Arbeitslosenquoten über 20 Prozent, Fachkräfteabwanderung, ungehinderte Korruption und eine zersplitterte Gesellschaft haben für ein zunehmend riskanteres Umfeld für Aktivisten jeglicher Bewegungen gesorgt.
- Neuste Entwicklungen zeigen eine zunehmende Kriminalisierung von sozialen Bewegungen und Gewalt gegen Aktivisten.
- Naturschützer werden zudem auch von Seiten der Bürgerschaft unter Druck gesetzt, die wirtschaftlich betroffen sind und wenig Toleranz für Einstellungen haben, die dringend gebrauchte Jobs gefährden könnten.
Isla Mayor ist ein Dorf mit etwa 6.000 Einwohnern in der spanischen Provinz Sevilla. Es befindet sich nur wenige Kilometer vom Doñana Nationalpark und Naturschutzgebiet entfernt. Laut der Internationalen Union für die Erhaltung der Natur und der natürlichen Hilfsquellen ist dies einer der artenreichsten Orte in Europa.
Im Sumpfgebiet der markanten Parklandschaft hatte Isla Mayor traditionell durch die Kommerzialisierung der dort lebenden Fische und Krebstiere überlebt.
Am 18. März verbot der Oberste Spanische Gerichtshof alle kommerziellen Aktivitäten, die in Verbindung mit der Krebsart Procambarus clarkii standen. Die Nachricht wurde mit Entsetzen in Isla Mayor aufgenommen. Laut des Bürgermeisters der Stadt verdienen knapp 400 Familien ihren Unterhalt mit dem Fischen und Verarbeiten der „roten Krabbe“, wie sie von Einheimischen genannt wird.
“„Das ist eine Katastrophe”, sagte Valentín Murillo, Präsident des Bezirksverbundes für den Handel mit Krabben, gegenüber der Online-Zeitung eldiario.es. Murillo erklärte, dass 70 Prozent von Isla Mayors Wirtschaft von den roten Krabben abhänge.

Der Rückschlag folgte prompt gegen die Gruppen Ecologistas en Acción und SEO Birdlife, die zwei umweltpolitischen Gruppierungen, die sich dafür stark gemacht hatten, die P. clarkii auf die Liste der invasiven Schädlinge zu setzen. Die Entscheidung der Obersten Gerichtshof bedeutete, dass Behörden eine Strategie entwickeln müssen, um die Art auszumerzen und nicht deren Kommerzialisierung weiter voranzutreiben. Der Bürgermeister von Isla Mayor machte in den öffentlichen Medien die Gruppen für den Verlust der Lebensgrundlage der Bevölkerung verantwortlich und das Dorf erklärte Ecologistas en Acción offiziel zu einer „unerwünschte Organisation.” Beide Gruppen berichteten darüber hinaus von Drohungen der Öffentlichkeit.
„Es wurden mehrere Nachrichten in Foren und sozialen Netzwerken veröffentlicht, dass die Autos eines jeden Umweltschützers in Brand gesetzt werden würden, sollten sie sich in der Gegend blicken lassen”, sagte Juan Carlos Atienza, Leiter von SEO Birdlife (dem Spanischen Teil von Birdlife International) gegenüber Mongabay. „Wir haben unsere Leute vor Ort bereits kontaktiert und gewarnt, vorsichtig zu sein.“
Keine wirtschaftlichen Alternativen
Die heftige Reaktion der Regierung und der Öffentlichkeit in Isla Mayor steht symbolisch für die Situation, der sich Umweltschützer in ganz Spanien gegenüber sehen.
„Man kann Spanien nicht mit Ländern in Zentralamerika oder Afrika vergleichen, wo Umweltschützer ihr Leben aufs Spiel setzen, aber es gab immer Angriffe”, erzählte Jaime Doreste, ein führender Anwalt von Ecologistas en Acción, gegenüber Mongabay. Die Organisation ist eine der größten und aktivsten Umweltgruppen in Spanien.
Laut Doreste gibt es „einen unleugbaren Trend hin zu mehr Kriminalisierung von sozialen Bewegungen, darunter auch Umweltpolitische. Aber es gibt auch eine beunruhigende Zahl von Fällen, in denen individuelle Aktivisten bedroht oder schlichtweg physischer Aggressionen ausgesetzt waren.“
Atienza von SEO Birdlife sagte, dass er die Schwierigkeiten verstehe, mit denen einige Leute in Isla Mayor, durch die Entscheidung bezüglich der roten Krabben, unmittelbar fertig werden müssen. „Wir wissen, dass diese Entscheidung Menschen beeinflussen wird und wir haben die Regierung gebeten, eine Lösung für sie zu finden. Aber unsere Aufgabe ist es, die Umwelt und Artenvielfalt zu schützen”, sagte er.
Dennoch winkte Atienza die schwerwiegenden Gefahren ab, die Teil der Umweltarbeit seien. „Ich habe Morddrohungen erhalten, sogar persönlich. Vor einigen Jahren wurde ich gewarnt, die Unterseite meines Autos zu überprüfen, ich habe ihm aber kein Gehör geschenkt. Einheimische Geschäftsleute setzten normalerweise keine Autobomben ein. Ich hätte mir mehr Sorgen gemacht, wenn er mir mit Schlägern gedroht hätte“, sagte er.
Es ist die Wirtschaft, Schwachkopf
Spanien ist eines der EU-Länder, die am schlimmsten von der Großen Rezession getroffen wurde. Arbeitslosenquoten über 20 Prozent, Fachkräfteabwanderung, ungehinderte Korruption und eine zersplitterte Gesellschaft haben für ein zunehmend riskanteres Umfeld für Aktivisten jeglicher Bewegungen gesorgt.
Spanische Naturschützer müssen einem doppelten Angriff trotzen. Auf der einen Seite ist es die Bürgerschaft, die wenig Toleranz für Haltungen haben, die ihre Jobs gefährden könnten. Auf der anderen Seite ist es die Regierung, die ihre Haltung gegenüber Protesten, egal ob friedlich oder nicht, verschärft hat.
Obwohl die Macrodaten die Erholung der spanischen Wirtschaft verkünden, liegen die nationalen Arbeitslosenquoten seit dem 22. Quartal immer noch bei über 20 Prozent. Ländliche Regionen sind dabei am schlimmsten betroffen. Andalusien im Süden, wo auch Isla Mayor liegt, hat eine Quote von fast 30 Prozent — die höchste im Land.

Die westliche Region Extremadura folgt an zweiter Stelle mit mehr als 28 Prozent. Paca Blanco war früher Koordinatorin bei Ecologistas en Acción in der Extremadura. Sie verließ ihr Dorf 2013 nach sechs Jahren der Anfeindungen. „Die Leute würden alles für einen Job tun. Sie betrügen, sie lügen, sie tuen einander weh”, sagte Blanco gegenüber Mongabay.
Blancos Alptraum begann 2007, als sie gegen den Bau eines Luxuswohnkomplexes protestierte, der in einem geschützten Gebiet nahe des Dorfes gebaut werden sollte. Die Baustelle ist am Ufer des Flusses Tejo, der Teil des Schutzgebietsnetzes Natura 2000 der Europäischen Kommission ist, dem weltweit größten Netzwerk von geschützten natürlichen Plätzen.

Blancos Haus wurde mit Molotowcocktails und anderen Sprengkörpern angegriffen und sie erzählte, wie sie um ihr Leben fürchten musste. „Jedes Mal, wenn das Gericht zu unseren Gunsten entschied, bekam ich einen Anruf von meinem Anwalt, der mir riet, mich von El Gordo fernzuhalten. Das tat ich aber nicht“, erzählte sie. „Stattdessen kontaktierte ich die Landesregierung und erzählte ihr, dass mein Leben in Gefahr war. Die Polizei schütze mein Haus rund um die Uhr.”
Blancos Fall wurde in ganz Spanien bekannt. Verschiedene Medienkanäle berichteten von ihrer Geschichte, es gab sogar eine Parlamentsanhörung diesbezüglich, bei der der Präsident, José Luis Rodríguez Zapatero, befragt wurde, wie das Problem gelöst werden könne. Blanco glaubt jedoch, dass es noch viele andere Fälle in anderen Gebieten des Landes gibt, die nie aufgedeckt wurden.
„Wenn jemand angegriffen wird, knickt derjenige schnell ein, es geht nämlich nicht nur um die Aktivisten. Die Menschen haben auch Familien”, sagte Blanco. „Was mich wirklich beunruhigt hat, war der Gedanke, dass mein Partner oder meine Kinder in den Konflikt mit hineingezogen werden könnten. Ich glaube, dass war es, was meine Angreifer vor hatten.“
Blanco glaubt nicht daran, dass Arbeiter davon profitieren, wenn sie die Umwelt zu Gunsten der Wirtschaft opfern. „Es ist Erpressung. Wenn eine Firma ihren Willen nicht durchsetzen kann, setzen sie einfach die Medien ein und verbreiten das Gerücht, dass sie unzählige Jobs kürzen werden müssen, um die Bürger auf ihre Seite zu ziehen.“, sagte Blanco. „Letzen Endes ist es aber alles eine Lüge. Arbeitslosigkeit bleibt ein Problem.”
Blanco ist mittlerweile nach Madrid gezogen, wo sie mit ihren Kindern lebt. Trotz ihrer 67 Jahre ist sie immer noch aktiv in der Auseinandersetzung. „Ich möchte, dass der Komplex abgerissen wird, weil er illegal ist und für die dringend benötigte Rechtsprechung sorgen würde. Und ich habe keine Angst, ich bin bereit kämpfend zu sterben,” sagte sie.

Ein kontroverses, neues Gesetz
Spaniens kahle wirtschaftliche Lage hat für einen Anstieg von Protesten verschiedenster Gründe geführt und die Regierung hat Maßnahmen ergriffen, um diese zu unterbinden. Eine ihrer kontroversesten Schritte ist das Gesetz zur Inneren Sicherheit, von seinen Kritikern auch unter dem Namen „Knebelgesetz“ verbreitet, das im Juli 2015 in Kraft trat.
Das Gesetz begrenzt das Recht zur Versammlung und Protesten und hat für große Widerstände in Spanien und im Ausland gesorgt, unter den Kritikern auch Institutionen wie die Vereinten Nationen und der Europarat. Die New York Times bezeichnete das Gesetz in einem Editorial von April 2015 als “bedrohlich”.
Das Parlament stimmte dem Gesetz zur Inneren Sicherheit, nach drei Jahren von zunehmender Sozial- und Basisbewegungen im Land, zu. Doch die Wirtschaftskrise, zusammen mit einer nie dagewesenen Berichtfülle von Korruptionsfällen, hat Proteste und Demos zur Folge gehabt, die für einen radikalen Wandel innerhalb von Spaniens Politik gesorgt haben. In den Wahlen im Dezember, verdrängten die Wähler Mitglieder des Parlaments, die das Gesetz unterstützten und brachten zwei neue Parteien ins Parlament, wodurch das jahrzehntelange Zwei-Parteien-System im Spanischen Parlament beendet wurde.
Die regierende Volkspartei, die einzige Partei im Parlament, die das Gesetz unterstützen, sind den Forderungen, Stellung zu beziehen, nicht nachgekommen.
Laut Doreste beabsichtigt das Gesetz zur Inneren Sicherheit Körperverletzung und Widerstand gegen Polizisten administrativ zu bestrafen (wie Verstöße gegen die Straßenverkehrsordnung), anstatt durch die Gerichte. „Dieser Wandel verlangsamt den ganzen Prozess, fordert jegliche wirtschaftlichen Strafzahlungen im Voraus zu bezahlen und reduziert die Wahrscheinlichkeit für einen Freispruch um ein Vielfaches”, erklärte der umweltpolitische Anwalt.
Jorge Luis, Mitglied des Parlaments für die Anti-Austeritäts-Partei Podemos, stimmt mit Doreste überein.
„Seit 2012 gibt es viele Proteste und es wurden rechtliche Schritte gegen sie in die Wege geleitet“, sage Luis gegenüber Mongabay. „Die Strategie der Regierung soll mit Änderung des Gesetzes die Richter außen vor lassen.“
Der linke Abgeordnete glaubt jedoch nicht, dass das Gesetz seine angedachte Wirkung erzielt. „Es gab eine zunehmende Mobilisierung aller Gruppierungen. Umweltpolitische Gruppen, politische Gruppen, alle, außer der regierenden Partei haben sich zusammengeschlossen, um das Knebelgesetz zu verbieten. Die Menschen wurden aufmerksamer und begannen sich politisch mehr zu engagieren, anstatt weniger“, sagte er.
Die Yesa Acht
Zusammenstöße mit dem Gesetz sind etwas, womit Luis bereits Erfahrung hat. Er und sieben andere Aktivisten müssen mögliche Gefängnisstrafen befürchten, nachdem ein friedlicher Protest gegen die Ausweitung eines Dammes zu Zusammenstößen mit der Polizei endete. Ihr Fall ist einer der bekanntesten Bedrohungen für spanische Umweltschützer seit die Wirtschaftskrise begann.
Am 10. Oktober 2012, trafen sich eine kleine Gruppe von Bewohnern des Dorfes Artieda, sowie Unterstützer und Aktivisten auf einer einsamen Straße nahe des Dorfes in den Pyrenäen.
Die Gruppe kam zusammen, um gegen die Kapazitätssteigerung des nahen Staudammes Yesa, dem größten der Pyrenäen, der Spanien von Frankreich trennt, zu protestieren. Sie hatten immer wieder ihren Unmut, seit der Absegnung 1985, über das Projekt geäußert, aber ohne rechtliche Konsequenzen.
An dem Tag trafen aber Anti-Aufruhr-Einsatzkräfte der Polizei in Artieda ein. Und zwar in voller Montur. Die Beamten griffen die Protestler an und es kam zu Zusammenstößen. Es gab mindestens ein Dutzend Verletzte Demonstranten, sowie zwei Polizeibeamte. Videos, die zuvor von Demonstranten und Polizisten aufgenommen wurden, bewiesen, dass kein aggresives Verhalten von den Demonstranten ausging. Auch die nachfolgenden Zusammenstöße waren kurz und stellten nie eine echte Bedrohung für eine der beiden Seiten dar.

Einige Wochen nach der Demonstration, erhielten acht der Aktivisten Haftbefehle. Einer davon war Luis, der zu dem Zeitpunkt Koordinator der dortigen Grünenpartei war. Er wurde angeklagt, Polizeibeamte angegriffen und verletzt zu haben und der Spanische Staatsanwalt fordert eine Gefängnisstrafe von zwei Jahren und acht Monaten. Sollte es zu einer Verurteilung der so genannten Yesa Acht kommen, müssen die Aktivisten Höchststrafen von insgesamt mehr als 36 Jahren befürchten.
Luis ist jedoch überzeugt, dass alle freigesprochen werden. „Ich vertraue den Richtern. All das geschah vor dem Knebelgesetz und wir vertrauen auf den gesunden Menschenverstand dieser Leute“, sage er.
Die Yesa Acht bekommen viel Unterstützung in Spanien. Das Landesparlament von Aragon hat offiziell eine Freisprechung gefordert und wurde von 26 Rathäusern, drei Landkreisen und einer Provinzbehörde unterstützt.
Luis glaubt, dass Politiker hinter dem Rechtsfall stecken und wüsste gerne, wer hinter der polizeilichen Aktion an dem Tag steckt. „Ich kann mir nicht erklären, warum eine vollausgestatte Anti-Aufruhr-Polizeitruppe mit Waffen und Gummigeschoßen in ein kleines Dorf mitten ins Niemandsland in den Pyrenäen geschickt wurde“, sagte er.
Die Delegation der Regierung in Aragon, die für die die Polizeiaktion und die Anklage gegen die Yesa Acht verantwortlich ist, hat sich nicht dazu geäußert.

Die Krise als Werkzeug
Atienza von SEO Birdlife Spain glaubt, dass ökologisch bedenkliche Projekte in einer wirtschaftlichen häufiger Krise durchgeführt werden und weniger öffentlichen Widerstand erhalten, als dies normalerweise der Fall wäre. „Im Gegensatz zu der jetzigen Situation ist es nicht dasselbe, wenn man nach Verlust eines Jobs leicht einen anderen findet“, sagte er.
Blanco ging noch einen Schritt weiter und ist der Meinung, dass die kommerzielle Ausbeutung der Situation unkontrolliert vonstattengeht und Umweltaktivisten, die für das natürliche Befinden des Landes kämpfen, dafür bestraft werden. Die Entscheidungen und Haltungen, die die spanische Gesellschaft in den kommenden Jahren annimmt, werden über das Schicksal der wichtigsten und artenreichsten, geschützten Gegenden des Landes entscheiden.
„Den wahren Reichtum haben wir schon längst”, sagte sie.