Angélica Choc (links), German Chub (vorne) und einige weitere Q’eqchi’ Maya fordern Gerechtigkeit für die Opfer der Menschenrechtsverletzungen, die in Verbindung mit einem kanadischen Bergbauunternehmen stehen. Foto: Rachel Schmidt
German Chub schaut die Richterin an, als er während dem Kreuzverhör mit ruhiger, gleichmäßiger Stimme eine Frage nach der anderen beantwortet. Mit Hilfe seiner Arme drückt er sich ein wenig vom Rollstuhl hoch und verlagert sein Gewicht. Andere junge Maya-Q’eqchi’-Männer mussten ihn die Stufen zum Gerichtssaal im zweiten Stock in Puerto Barrios, einer belebten karibischen Hafenstadt im Osten Guatemalas, hinauf tragen.
Vor fünfeinhalb Jahren spielte Chub in der Gemeinde La Unión, im Departamento Izabal, Fußball, als Sicherheitskräfte der Guatemalan Nickel Company (CGN), einem Bergbauunternehmen, auftauchten, sagte er vor Gericht aus. Chub hörte den Tumult, welcher aus Richtung des unternehmenseigenen Krankenhauses kam und näherte sich dem Zaun, der das Firmengebäude vom Fußballfeld trennte, um zu sehen, was geschah, so Chub.
“Ich sah wie Mynor Padilla seine Waffe auf mich richtete.”, sagte Chub aus. “Als ich mich umdrehte, hörte ich den Schuss.”
Chub ist eines von mehreren Mitgliedern der Gemeinschaft der Q’eqchi’ Maya, auf die am 27. September 2009 geschossen wurde. Dies geschah während dem scharfen Vorgehen gegen Proteste, zu denen es gekommen war, weil einigen Q‘eqchi‘ Maya damit gedroht wurde, dass man sie gewaltsam vom Land ihrer Vorfahren in der Nähe des Fenix Ferronickel-Grubenprojektes von CGN vertreiben würde. Chub ist nun vom Brustkorb abwärts gelähmt und die Ärzte sind der Meinung, dass es zu gefährlich ist, die Kugel, die in der Nähe der Wirbelsäule steckt, zu entfernen. Alberto Ich, ein Lehrer und eine bekannte kommunale Führungskraft in La Unión, starb laut Zeugen, nachdem er geschlagen, mit einer Machete angegriffen und schließlich von Sicherheitskräften der CGN erschossen wurde. Mindestens sieben weitere Menschen wurden an diesem Tag verletzt, so die Kläger in diesem Verfahren.
Chub sagte, dass er Fußball spielte und nicht in die Proteste involviert war, die zur Zeit der Schüsse in einiger Entfernung vom Fußballplatz stattfanden. Ich war in seinem Haus neben dem Fußballfeld in La Unión, als die Sicherheitskräfte des Bergbauunternehmens eintrafen. Zeugen sagen, dass Ich gezielt ausgewählt und von den Sicherheitskräften herüber gerufen wurde und, dass er auf sie zuging, in der Annahme, dass sie mit ihm sprechen wollten. Es ist nicht klar, ob Chub und die anderen Verletzten an diesem Tag gezielt angegriffen wurden. Einige Einwohner von Las Nubes wurden auf der Straße wo die Proteste stattfanden verletzt.
Einen guten Meter zu Chubs linker Seite sitzt Mynor Padilla. Sein Gesichtsausdruck ändert sich kaum, als er die Zeugenaussagen hört. Um seine Hand ist ein Rosenkranz geschlungen. Padilla ist ein ehemaliger Oberst des Militärs und ist wegen Totschlags sowie leichter und schwerer Körperverletzung angeklagt, da er für die Handlungen der Sicherheitskräfte unter seinem Kommando verantwortlich war und selbst einige der Schüsse abgefeuert hatte. Zur Zeit des Angriffs war er Leiter der Sicherheit bei CGN, die damals noch eine Tochtergesellschaft von HudBay Minerals war, einer in Toronto gegründeten Minengesellschaft.
Es ist nicht ungewöhnlich, dass in den Gerichten von Guatemala Verfahren stattfinden, die durch den Streit um Rohstoffe und Land entstanden sind. Meistens sind es jedoch Mitglieder der indigenen Bevölkerungsgruppen, die angeklagt werden. Der Strafprozess gegen den ehemaligen Sicherheitschef von CGN ist die Ausnahme von der Regel in Guatemala. Durch eine Reihe ähnlicher sich im Gang befindlicher Zivilklagen in Kanada wurden hier durch das Urteil des Richters, dass die Verfahren vor einem kanadischen Gericht aufgenommen werden können, bereits wichtige Präzedenzfälle geschaffen.
Sergio Beltetón von der Organisation für Landrecht Campesino Unity Committee (CUC) ist ein Jurist aus Guatemala mit langjähriger Erfahrung in der Interessenvertretung von Gemeinschaften, die für ihr Land kämpfen. Er war eine von sechs Personen, die am 28. April während dem Verfahren gegen Padilla in Puerto Barrios auf der Seite der Anklage saßen. Adolfo Ichs Witwe, Angélica Choc, und die Internationale Kommission gegen Straflosigkeit in Guatemala (CICIG) der UN sind in dem Fall gegen Padilla Nebenkläger, die Staatsanwaltschaft der Hauptkläger.
“Fälle wie dieser, wo ein Sicherheitschef wegen eines Verbrechens vor Gericht gestellt wird, sind sehr selten.” So Beltetón gegenüber mongabay.com. “Dieser Fall muss genau beobachtet werden.”
Google Maps zeigt wo sich das Fenix Bergbauprojekt befindet, ebenso wie Puerto Barrios, wo das Verfahren gegen den Sicherheitschef der Mine stattfindet. Zum Vergrößern, Bild anklicken. |
Konfliktgeladene Geschichte
Laut Beltetón passe der Fall in gewisse Muster, die in dem Land aufgetreten seien: Förderungsprojekte die ohne Rücksprache mit den Gemeinden durchgeführt werden, führen zu Protesten, die wiederum zu gewaltsamer Unterdrückung führen. Doch der Situation zu Grunde liegt ein schon seit langem währender Konflikt um Land.
Das Ferronickelprojekt von CGN wird schon seit über 50 Jahren immer wieder mit Landkonflikten und Menschenrechtsverletzungen in Verbindung gebracht. Die meisten dieser Vorfälle fanden in den 36 Jahren statt, in denen in dem Land Bürgerkrieg herrschte. Die kanadische International Nickel Company (INCO) begann in den 1960er Jahren mit den Vorbereitungen für den Bergbau und profitierte von der großflächigen Zwangsumsiedlung der ansässigen Q’eqchi’ Maya, die vorgenommen wurde, um Platz für das Projekt zu schaffen. 1971 erhielt INCOs Tochterunternehmen EXMIBAL von der Militärregierung eine Bergbaulizenz. Im Jahr davor wurden zwei hochrangige Gegner, darunter ein Kongressabgeordneter, umgebracht, ein anderer starker Gegner wurde bei einem Mordversuch verletzt und ein weiterer floh aus dem Land. Die Kommission für historische Aufklärung, die aus dem Friedensabkommen von 1996 entstand, dokumentierte drei Fälle in denen Personal und Fahrzeuge von EXMIBAL in mehrere willkürliche Exekutionen und, in den 1970er Jahren, in einen Angriff auf die Zivilbevölkerung involviert waren.
Nachdem das Unternehmen zwei Jahrzehnte in dem Gebiet aktiv gewesen war, einschließlich vier Jahren Produktion, schloss die Mine 1981 und lag dann drei Jahrzehnte verlassen da. Während dieser Zeit siedelten sich die Maya Q’eqchi’ erneut auf dem Land an, von dem sie und frühere Generationen vertrieben worden waren, um für die Mine Platz zu schaffen. Im letzten Jahrzehnt hat man immer wieder versucht, den Tagebau und den Schmelzbetrieb wieder aufzunehmen und auszubauen. Der Betrieb wurde 2014 schließlich wieder aufgenommen und potenzielle Expansionspläne beinhalten das Land, das von den einheimischen Q’eqchi’ Maya erneut besiedelt wurde.
Die Mine hat mehrere Male den Besitzer und Betreiber gewechselt. Zu Beginn war EXMIBAL, ein Unternehmen aus Guatemala das zum Großteil INCO gehörte, für das Fenix Projekt zuständig. 2004 ging das Projekt in den Besitz der Bergbaugesellschaft Skye Resources aus Toronto über, die den Namen des Tochterunternehmens zu CGN änderte, und schließlich 2008 mit HudBay Minerals fusionierte. 2011 übernahm die Solway Gruppe, ein russisches Unternehmen mit Sitz auf Zypern, CGN und das Fenix Projekt. Die Regierung von Guatemala ist nach wie vor im Besitz von 1,8 Prozent von CGN.
“CGN hat keine wirkliche Rechtssicherheit bezüglich des Landes, da es Zweifel am Verlauf der Grundstücksgrenzen gibt, am Ursprung von Teilen des Landes, an dem Gebiet, und an ihrem Standort.”, so Beltetón.
Laut Vertretern von Menschenrechtsorganisationen und Journalisten die zugegen waren, waren Polizisten, Soldaten und private Sicherheitsbedienstete von CGN im Jahr 2007, als das stillgelegte Fenix Projekt Skye Resources gehörte, Teil der gewaltsamen Vertreibungen der Maya-Q’eqchi’-Gemeinden von umstrittenem Land. Zeugen aus der wiederangesiedelten Maya-Q’eqchi’-Gemeinschaft von Las Nubes sagten bei dem Verfahren gegen Padilla aus, dass CGN Sicherheitskräfte und der Gouverneur des Izabal Departments ihnen am Tag der Schießerei im September 2009, als das Projekt HudBay gehörte, mit einer Zwangsräumung gedroht hatten. Diese Drohung löste die Proteste aus, die nicht unweit von Einrichtungen des Unternehmens an einer Hauptstraße in der Nähe von La Unión und dem Fußballfeld stattfanden.
“Herr Mynor [Padilla] traf ein. Er sagte uns, dass wir gehen müsssten…Sie sagten, das Land gehöre dem Unternehmen und, dass sie uns mit Gewalt entfernen würden.”, sagte Ricardo Acte bei der Anhörung aus. Acte und anderen Zeugen aus Las Nubes wurde ein vom Gericht ernannter Dolmetscher zur Verfügung gestellt und sie machten ihre Aussagen auf Q’eqchi’.
“Die Leute des Unternehmens sagen [das Land] sei ihres, doch diejenigen von uns, die auf diesem Land arbeiten, sind da anderer Meinung.”, so Samuel Coc, ein weiterer Zeuge aus Las Nubes, der Schussverletzungen erlitt.
Das Verfahren gegen Padilla wird wahrscheinlich noch einige Zeit andauern. Das Verfahren wurde überhaupt erst fünf Jahre nach der Schießerei eröffnet. Bevor er 2012 verhaftet wurde, war Padilla beinahe drei Jahre flüchtig. Anschließend gab es mehrere Verzögerungen in dem Fall. In den ersten drei Anhörungen im April 2015 hatten lediglich fünf von mehreren Dutzend Zeugen ausgesagt.
Die dem Fall vorsitzende Richterin übergab den Fall an ein Gericht in Guatemala-Stadt, nachdem das Verfahren begonnen hatte, und reist nun immer wieder nach Puerto Barris für das Verfahren, wobei der Weg einfach fünf Stunden dauert. Sie hat um Anweisungen vom Obersten Gerichtshof gebeten, ob sie diese Aufgabe weiterhin wahrnehmen soll. Sollte ein anderer Richter den Fall übernehmen, so wäre das ein gewaltiger Rückschlag, da der urteilende Richter bei der Beweisvorlage und den Zeugenaussagen den Vorsitz führen muss.
Auch in Kanada wird gekämpft
Während das Verfahren gegen Padilla in Guatemala weitergeht, geht es mit den drei Multi-Millionen-Dollar Zivilklagen in Kanada vorwärts. Angélica Choc, Witwe von Adolfo Ich, verklagt HudBay Minerals für die Ermordung ihres Mannes und Chub strengte wegen der Schießerei, auf Grund derer er nun querschnittsgelähmt ist, ein Verfahren gegen das Unternehmen an. Rosa Elbira und zehn weitere Maya-Q’eqchi’-Frauen sind Nebenkläger in einem dritten Fall gegen HudBay, bei dem es um die Massenvergewaltigung durch staatliche und CGN Sicherheitskräfte während der Zwangsvertreibung im Jahr 2007 geht. CGN gehörte zu dieser Zeit zu Skye Resources, doch die Nebenkläger argumentieren, dass HudBay durch die Fusion der beiden Unternehmen rechtlich für das Fehlverhalten von Skye verantwortlich sei.
Keine der Anschuldigungen sind bis jetzt vor Gericht belegt worden. CGN hat auf eine Bitte um Stellungnahme nicht geantwortet. HudBay Minerals verweigerte eine Stellungnahme mit Verweis auf das noch laufende Verfahren gegen Padilla. Auf einer speziellen "CGN and HudBay in Guatemala" Seite auf ihrer Webseite, stellt HudBay die Ereignisse vom 27. September 2009 jedoch ganz anders da, als es die Opfer und Zeugen in den Verfahren in Guatemala und Kanada getan haben.
Laut der HudBay Website wurde an diesem Morgen nicht mit Zwangsräumungen gedroht. “Eine Horde Menschen, von denen viele bewaffnet waren, versammelte sich um das CGN Grundstück”, so heißt es auf der Zeitleiste der Webseite. “Eine Horde Menschen griff das Sicherheitspersonal mit Stöcken, Steinen und Macheten an.”, heißt es weiter in der Zeitleiste. Es wird auch noch hinzugefügt, dass das Grundstück stark beschädigt wurde und, dass die Baracken der Nationalen Zivilpolizei, die sich auf dem Grundstück des Unternehmens befanden, geplündert und mehrere Automatikwaffen gestohlen wurden.
“Die Horde” warf Molotov Cocktails, so HudBay. HudBay erwähnt in der Zeitleiste mit keinem Wort, ob das Sicherheitspersonal des Unternehmens geschossen hat oder nicht. “CGN hat die internationalen Standards für den Schutz von Menschenrechten befolgt und das Training seines Sicherheitspersonals und seiner Vertragsnehmer sehr ernst genommen.”, so HudBays Webseite.
2013 befand ein Richter des Obersten Gerichtshofs von Ontario, dass HudBay Minerals für die Verbrechen in Guatemala in Verbindung mit dem Bergbauunternehmen seiner ehemaligen Tochtergesellschaft CGN in Kanada potenziell rechtlich zur Verantwortung gezogen werden könnte.
“Es ist das erste Mal, dass ein kanadisches Gericht entschieden hat, dass ein kanadisches Mutterunternehmen für den fahrlässigen Umgang mit Menschenrechten bei einem ausländischen Bergbauprojekt zur Rechenschaft gezogen werden kann.”, so Cory Wanless, stellvertretender Anwalt der Maya Q’eqchi’ Nebenkläger in allen drei Fällen, zur Zeit des Urteils am 22. Juli 2013.
Angélica Choc hat größere Hoffnung für den Fall in Kanada als für den Fall in Guatemala. Sowohl sie als auch Chub betonen, dass die Straffreiheit im Hinblick auf massive Menschenrechtsverletzungen an einheimischen Völkern in Guatemala eine lange Vorgeschichte hat. Padilla hat drei starke Anwälte an seiner Seite, einschließlich Francisco Palomo Tejeda, der einer der Verteidiger des früheren Militärdiktators Efraín Ríos Montt war. Ríos Montt wurde im Mai 2013 wegen Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit von einem inländischen Gericht verurteilt, das Urteil wurde jedoch zehn Tage später annulliert und ein darauffolgendes Wiederaufnahmeverfahren wurde im Januar 2015 ausgesetzt.
Während Chubs Kreuzverhör durch Palomo Tejeda am 28. April ordnete das Gericht an, dass Choc den Gerichtssaal verlassen müsse, nachdem es von ihrer Seite zu einem Gefühlsausbruch gekommen war. Chub war gebeten worden, sich eine Luftaufnahme anzusehen und genau zu zeigen, wo er und Padilla waren, als die Schießerei stattfand. Zu sehen wie Chub in seinem Rollstuhl, umgeben von Anwälten und der Richterin, befragt wurde, war zu viel für Choc.
“Es verärgerte mich, zu sehen, wie sie German behandelten. Ich wurde wütend und dann weinte und weinte ich.”, erzählte sie mongabay.com in einem Interview, das gegenüber des Gerichtsgebäudes stattfand. “Jetzt sieht es so aus, als wäre alles okay, dass ich normal spreche, doch morgen und übermorgen werde ich all das durchmachen, was ich heute gesehen habe.”
Choc, Chub und Elbira bereiten sich auf eine Reise nach Toronto vor, wo sie bei einer Demonstration vor dem Gebäude in dem HudBays jährliche Hauptversammlung stattfindet, sprechen und sich mit ihren Anwälten treffen werden.
“Wir wissen nicht, was die Zukunft bringt.”, so Choc.
Sie weiß jedoch, was sie den HudBay Aktionären in Kanada sagen möchte. Sie möchte, dass das Unternehmen die Verantwortung für die Handlungen der privaten Sicherheitskräfte in Guatemala übernimmt, einschließlich des Mordes an ihrem Mann Adolfo Ich. “Als indigene Frau werde ich nicht nur untätig daneben sitzen und schweigen.”