Ein junger Primatologe schießt das erste Foto des Bouvier-Stummelaffen
Ausschnitt des weltweit ersten Fotos des Bouvier-Stummelaffen(Piliocolobus bouvieri) Das Foto wurde Anfang März 2015 im Ntokou-Pikounda-Nationalpark in der Republik Kongo aufgenommen. Foto von: Lieven Devreese.
Das letzte Mal, als der Bouvier-Stummelaffe gesichtet wurde, waren Schlaghosen in Mode, das Internet war noch nicht geboren und Madonna war lediglich die Mutter Gottes. Doch dann verschwand der afrikanische Affe und Naturschützer fürchteten, dass die Art dem Wildfleischhandel zum Opfer gefallen und ausgestorben war. Jahrelang forderten Wissenschaftler eine Expedition, die durch Nachforschungen herausfinden sollte, ob der Bouvier-Stummelaffe (Piliocolobus bouvieri) in den Wäldern der Republik Kongo überlebt hatte. Der belgische Wissenschaftler, Lieven Devreese (27), tat Anfang dieses Jahres genau das. Und er fand nicht nur die verschollene Affenart, er machte auch das erste Foto, der so lange schwer fassbaren Art.
„Wir haben die weltweit ersten Fotos gemacht und können somit beweisen, dass die Art nicht ausgestorben ist“, berichtete Devreese. Obwohl die Art im Jahr 1887 von Wissenschaftlern beschrieben wurde, kannte man den Bouvier-Stummelaffen nur durch einige Museumspräparate, die bereits über hundert Jahre alt sind.
Um zu den Lebensräumen der Affen in den Sumpfwäldern zu gelangen, durchquerten Devreese und sein ortsansässiger Assistent Gaël Elie Gnondo Gobolo tiefe Flüsse der entlegensten Wälder der Welt.
„Jeglicher Transport findet auf dem Fluss statt. Das ist teuer und aufgrund des hohen Wasserstands ist der Wald oft nicht besonders zugänglich“, berichtete Devreese. „Es ist nicht einfach, nach Affen Ausschau zu halten, wenn man durch hüfthohen Schlamm watet. Die Leute sind nicht daran gewöhnt, Biologen mit Ferngläsern und GPS-Geräten in den Wäldern zu sehen. Das hat zumindest am Anfang für Misstrauen gesorgt.“
Als sie in dem von den Einheimischen beschriebenen Gebiet ankamen, in dem die Affen aufzufinden sein sollten, machten es hohe Wasserstände schwierig, etwaige Primaten ausfindig zu machen.
Lieven Devreese im Vordergrund in einem Einbaumkanu eines einheimischen Fischers in der Nähe des Flusses Sangha. Foto von: Lieven Devreese.
„Wir haben tagelang gesucht und unseren Standort zweimal gewechselt“, erzählte Devreese. „Ich wurde zunehmend verzweifelter und frustrierter, da uns die Einheimischen immer wieder erzählten, dass es viele Affen gebe und wir sie garantiert finden würden. Als wir sie dann tatsächlich am letzten Tag im Nationalpark fanden, war ich unglaublich glücklich.“
Devreese und Gnondo Gobolo machten ihre erste Beobachtung auf dem Fluss Bokiba im Ntokou-Pikounda-Nationalpark der Republik Kongo. Es ist einer der reichsten Parks der Gegend, in dem 15.000 Westlichen Flachlandgorillas, 950 Schimpansen und 800 Waldelefanten leben.
Die beiden Männer wurden von der Naturschutzstiftung Wildlife Conservation Society (WCS) unterstützt, die den Park errichtet hat und auch weiterhin in der Region arbeitet. WCS stellte Umfrageergebnisse und Forschungslizenzen zur Verfügung und machte Devreese mit Gnondo Gobolo bekannt.
„Wir freuen uns sehr, dass es Lieven und Gaël möglich war, ihr Ziel zu erreichen. Sie konnten nicht nur bestätigen, dass der Bouvier-Stummelaffe immer noch existiert, sondern auch eine sehr deutliche Nahaufnahme eines Weibchens und ihres Jungen machen“, sagte Fiona Maisels, eine Naturschutzforscherin von WCS.
Nichtsdestotrotz erwiesen sich die Einheimischen als die wichtigste Informationsquelle, um die möglichen Aufenthaltsorte der Affen in Erfahrung zu bringen.
Karte des Expeditionsgebietes, die die Route des Teams zeigt; den Ntokou-Pikounda-Nationalpark, in dem der Bouvier-Stummelaffen beobachtet wurde und die verschiedenen Orte, an denen Informationen von einheimischen Jägern bezogen wurden. Karte von: Lieven Devreese.
„Wir verließen uns fast ausschließlich auf Informationen der einheimischen Jäger. Wir baten sie, alle Affen, die sie kennen, zu benennen und zu beschreiben. Ihre Zuverlässigkeit überprüften wir, indem wir ihr Wissen zu Affenlauten im Kongobecken testeten“, berichtete Gnondo Gobolo. Die beiden Männer glauben, dass die Affenart auch entlang der Flüsse Likouala und Sangha zu finden sein könnte, konnten dies jedoch nicht bestätigen.
WCS geht nunmehr davon aus, dass der Bouvier-Stummelaffe bereits in früheren Erhebungen im Park dokumentiert, aber als Roter Stummelaffe aufgeführt wurde. Nur durch Devreeses Foto wurde bewiesen, dass der Bouvier-Stummelaffe wieder zurück ist.
Obgleich die Wiederentdeckung des Bouvier-Stummelaffens eine gute Nachricht ist, tauchen dadurch auch neue Fragen auf. Die dringlichste Frage ist: Wie bedroht ist die Art? Laut der Roten Liste der IUCN ist die Art vom Aussterben bedroht, da ihr Lebensraum begrenzt ist und sie zudem vermutlich durch den boomenden, kommerziell betriebenen Wildfleischhandel massiv belastet wird.
„Als wir mit den Einheimischen sprachen, erfuhren wir, dass es einen lebhaften Handel mit Wildfleisch gibt, für den die Flüsse als Handelsstraßen benutzt werden. Wenn die Wälder für wenige Monate im Jahr nicht überschwemmt sind, schießen kommerzielle Jäger auf alles, was ihnen vor die Flinte kommt und dezimieren so den Tierbestand des Waldes“, erzählte Devreese, der hinzufügte, dass das Fleisch nicht für den regionalen, ländlichen Konsum erjagt, sondern geräuchert und in die Städte geschickt werde, wie beispielsweise in die Hauptstadt Brazzaville.
Gaël Elie Gnondo Gobolo (rechts) und ein Parkranger (links). Foto von: Lieven Devreese.
„Riesige Einbaumkanus werden mit Tiefkühltruhen und elektronischen Generatoren beladen und fahren flussaufwärts, um das Fleisch aus den entlegensten Dörfern und Jagdcamps einzusammeln“, erklärte Devreese. Ein System, das laut WCS auch in Gabon genutzt wird.
Devreese erzählte, dass die Roten Stummelaffen durch ihr Verhalten besonders leichte Beute für Jäger seien, die im industriellen Rahmen jagen. Anders als andere Primatenarten verstecken sich Rote Stummelaffen normalerweise nicht vor Menschen. Wenn sie auf Jäger stoßen, reagieren sie stattdessen entweder neugierig oder aggressiv, wodurch die Jäger die Tiere in Scharen erlegen können. Schlimmer noch, da sich Rote Stummelaffen in großen Gruppen fortbewegen, können Jäger Dutzende Tiere auf einmal töten.
„Wir hatten das Muttertier mit ihrem Jungen für mehr als 20 Minuten gut im Blick“, fügte er hinzu. „Einmal schloss sie sogar ihre Augen… oft begreifen sie nicht, dass Menschen eine echte Gefahr für sie darstellen.“
Die Tatsache, dass die Art in einer geschützten Umgebung wiederentdeckt wurde, kann einen gewissen Schutz darstellen, der Ntokou-Pikounda-Nationalpark ist jedoch nur zwei Jahre alt und braucht viel mehr Unterstützung.
Anfang März 2015 wurde das weltweit erste Foto des Bouvier-Stummelaffens (Piliocolobus bouvieri) im Ntokou-Pikounda-Nationalpark in der Republik Kongo geschossen. Das Foto zeigt ein ausgewachsenes Weibchen mit ihrem Jungen. Foto von: Lieven Devreese.
„Der Park besteht wahrscheinlich nur auf dem Papier, aber ich hatte den Eindruck, dass die kommerzielle Jagd bereits verboten wurde“, sagte Devreese und fügte hinzu, dass der Park ein motiviertes Team aus Parkrangern und anderen Mitarbeitern hat.
Maisels wies jedoch darauf hin, dass der Park die Affen vor Gefahren, wie Abholzung, Landwirtschaft und Straßen schütze, die alle zu stärkerer Bejagung führen können.
Mit nur 27 Jahren scheint Devreese ein ungeeigneter Kandidat zu sein, um eine verschollene Tierart wiederzuentdecken. Er hatte jedoch bereits einige Jahre Erfahrung bei der Erforschung von Primaten im Kongo. Momentan hofft er darauf, eine Doktorarbeit zu dem Thema zu beginnen. Sein ortsansässiger Assistent, Gnondo Gobolo, selbst erst 25, wuchs nahe des-Nouabale-Ndoki-Nationalpark auf und studiert momentan an der Universität Marien-Ngouabi in Brazzaville.
Um die Forschungsreise durchzuführen, war Devreese zum Teil auf die Finanzierung durch die Crowd-Sourcing-Webseite Indiegogo angewiesen.
„Ein niederländisches Sprichwort besagt, man solle auf mehr als nur ein Pferd setzen. Letzten Endes machte das Crowdfunding etwa 20% des Budgets aus, aber da es sehr schwer war, die tatsächlichen Kosten einzuschätzen, war jede zusätzliche, finanzielle Unterstützung hilfreich“, sagte er.
Zwei Expeditionsmitglieder bei dem Versuch, durch einen Schlammtümpel im Sumpfregenwald am Fluss Sangha zu waten. Foto von: Lieven Devreese.
Devreese wies darauf hin, dass die Finanzierung durch Crowd-Sourcing ein gutes Mittel für unabhängige Expeditionen wie diese sei. Man könne das Geld durch viele kleine Spenden aufbringen, anstatt viel Geld von wenigen Spendern anzustreben.
„Ich glaube, Crowdfunding ist eine Art Kunst, denn um es gut und effizient zu machen, muss man die verschiedenen Schritte genau planen, um genug Aufmerksamkeit für sein Projekt zu bekommen. Die Medien sind natürlich ein guter Weg, um Aufmerksamkeit auf den Naturschutz und das Projekt zu lenken.“
Es steht immer noch zur Debatte, ob der Bouvier-Stummelaffe, bekannt als Procolobus pennantii bouvieri, tatsächlich eine eigenständige Art oder eine Unterart ist. Die Rote Liste der IUCN führt sie als Unterspezies eines anderen, vom Aussterben bedrohten Stummelaffens auf, dem Pennant-Stummelaffen (Procolobus pennantii). Andere Behörden haben sie jedoch als Spezies eingestuft. Devreese und sein Assistent sammelten einige Stuhlproben der Bouvier-Stummelaffen und hoffen, die ersten Genuntersuchungen an den Affen durchzuführen, um das Geheimnis zu lüften.
Da bisher niemand die Art näher studiert hat, wird Devreeses Arbeit unerlässlich sein, wenn der Bouvier-Stummelaffe dieses Jahrhundert überleben soll.
Das Expeditionsteam in einem Einbaumkanu während einer Pause auf dem Fluss Bokiba im Ntokou-Pikounda-Nationalpark. Foto von: Lieven Devreese.