Wenn Menschen an den Amazonasregenwald denken, denken sie wahrscheinlich an brüllende Jaguare, springende Affen, wandernde Ameisen und würgende Anakondas. Das bescheidene Pekari wäre kaum unter den ersten Tieren, die ihnen in den Sinn kämen, wenn sie überhaupt wissen, dass solche schweineartigen Tiere existieren! Doch neue Untersuchungen zum Pekari beweisen, wie unerlässlich diese Spezies für den größten Regenwald der Welt sind. Als Samenverbreiter und Samenzerstörer, Ingenieure von Süßwasserhabitaten und Waldlichtungen, spielen Pekaris eine immens große, lange übersehene Rolle im Regenwald.
“Pekaris haben die höchste Dichte und Biomasse aller neotropischen Säugetierarten. Offensichtlich haben diese Burschen einen ordentlichen Appetit auf fast alles, aber primär konsumieren sie Früchte und Samen. Ihre spezialisierten Kiefer erlauben es ihnen, sehr harte Samen aufzubrechen. Die knackenden Geräusche hört man schon durch die dichte Vegetation, lange bevor wir sie sehen. Wenn Pekariherden auf ihrer Suche nach Insekten, Fröschen, Samen und Früchten durch die Laubstreu walzen, zerstören (d.h. brechen und zertrampeln) sie viele junge Pflanzen und Triebe, und manchmal bleibt nur der blanke Boden zurück”, erzählt Harald Beck, Universitätsassistent an der Towson University in Maryland, mongabay.com in einem Interview. Während so eine Beschreibung die Pekaris gänzlich zerstörerisch klingen lässt, hat Beck erkannt, dass die Tierart eng mit dem Überleben einer großen Vielfalt an tropischen Arten verbunden ist, von Fröschen über Insekten bis hin zu Pflanzen. Beck sagt, seine Forschung zeigt, dass Pekaris ‘Ökosystemingenieure’ sind, ebenso wie bekanntere Arten wie die Biber.
![]() Dr. Harald Beck mit einem Weißbartpekaribaby. Foto mit freundlicher Genehmigung von Harald Beck. |
“Ganz kurz zusammengefasst sind Ökosystemingenieure Arten, die physisch Milieus erschaffen oder existierende modifizieren und dadurch die Verfügbarkeit von Ressourcen für andere Arten verändern. […] Jeder kennt mindestens eine Spezies, die als Ökosystemingenieur fungiert: uns – wir, die Menschen, sind ‘Meister’ darin, die Umwelt zu verändern. Jedes Mal, wenn ein tropischer Regenwald in einen Highway verwandelt wird, sehen wir die unmittelbaren negativen Auswirkungen auf Artendichte und Diversität. Klassische Beispiele von Ökosystemingenieuren sind Biber und Korallen.”
Beck hat Beweise dafür gefunden, dass Pekarisuhlen, ganz ähnlich wie Biberdämme eine Umwelt bilden, indem sie neuen Raum für manche Tiere bieten, ein stabiles Ökosystem für eine große Vielfalt an Arten darstellen. Zum Beispiel enthielten diese Suhlen, die über Jahre – manchmal Jahrzehnte – von großen Pekarigruppen erhalten werden, eine höhere Dichte an Kaulquappen und Fröschen als natürliche Teiche. Beck hat auch herausgefunden, dass die Suhlen von einer vielfältigen Fauna benützt werden: “zahlreiche Wasserinsekten (d.h. Käfer, Libellen, Moskitolarven, und sogar eine halbaquatische Grille!), und Spinnen, die über die Wasseroberfläche gleiten und Beute jagen. Wir haben auch Muscheln gefunden, mindestens neun verschiedene Fischarten, und zwei Schlangenarten. Dieses Jahr haben wir Kameras mit Bewegungssensoren installiert und über die Wasseroberfläche fliegende Fledermäuse auf Bild festgehalten.”
Beck und andere Forscher sind dabei zu entschlüsseln, wie viele Arten genau auf diese Suhlen angewiesen sind um zu überleben. Bis zum heutigen Tag hat er zehn Froscharten erfasst, die von den Suhlen entweder für die Fortpflanzung oder für die Futtersuche abhängig sind.
Jedoch schaffen die Pekaris nicht nur ein stabiles Habitat für andere Fauna, sie spielen auch eine bedeutende Rolle in der Struktur des Waldes. Beck zufolge konsumieren Pekaris 250 verschiedene Arten von Früchten und zerstören 150 davon beim Verzehr.
“Das sind zwei Weltrekorde, und kein anderes tropisches Säugetier kommt auch nur in die Nähe dieser Zahlen. Aber was bedeutet das im großen Ganzen? Nun! Ganz klar spielen Pekaris eine ökologisch entscheidende Rolle als Samenfresser und -verbreiter, was bedeutet, dass sich in Wäldern, in denen Pekaris ausgestorben sind, die Zusammensetzung von Pflanzenarten dramatisch verändert hat.”
![]() Ein Halsbandpekari. Foto mit freundlicher Genehmigung von Harald Beck. |
Von allen Arten im Amazonas wird wahrscheinlich keine so breitflächig und vehement gejagt wie das Pekari. Zusätzlich zum anhaltenden Problem der Abholzung hat das dazu geführt, dass die Population der Pekaris und ihr Verbreitungsgebiet rasant abgenommen haben. Wie Beck anmerkt, sind viele neotropische Wälder schon pekarilos. Doch wenn der Verlust der Pekaris solche Wellen durch das Ökosystem des Waldes sendet, warum hat ihre Erhaltung dann keine Priorität?
Beck gibt die Schuld der Naturschutzpolitik, in der eine große Katze wie der Jaguar eine viel attraktivere ‘Schlüsselart’ von Regenwaldökosystemen ist als das bescheidene Pekari. Aber, wie Beck betont, können Jaguare in stärker von Menschen beeinflussten Lebensräumen überleben als Weißbartpekaris. Anders gesagt, wenn wir nur Jaguare retten, werden wir nicht das weniger noble, aber genauso wichtige, Pekari retten.
“Ich glaube wir müssen auf das “Pekaridilemma” aufmerksam machen, indem wir der breiten Öffentlichkeit, politischen Entscheidungsträgern und Ressourcenmanagern ökologische Informationen viel effektiver vermitteln. Wir müssen Partnerschaften mit den Medien, Regierungsbehörden, NROs und privaten Stiftungen entwickeln, um ausreichende Ressourcen zu sichern und realistische Naturschutzstrategien zu entwickeln”, so Beck.
In einem Interview mit mongabay.com im September 2010 sprach Harald Beck über die Bedeutung von Pekaris als ‘Ökosystemingenieure’, ihre Rolle in der Samenverbreitung und -vernichtung und über die Bedrohungen, unter anderem lange übersehen worden zu sein, für die Erhaltung von dichten Pekaripopulationen.
Pekaris, die sich im Regenwald bewegen. Video mit freundlicher Genehmigung von Harald Beck.
INTERVIEW MIT HARALD BECK
Mongabay: Wo kommen Sie her?
Harald Beck: Ich bin in Süddeutschland aufgewachsen, und habe zu Beginn meiner Karriere als Krankenpfleger gearbeitet. Ich hätte auch fast Medizin studiert, aber meine Liebe zur Biologie hat mich in die Richtige Ecke geführt. 1994 habe ich an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg meinen Magistergrad erlangt. Dann bin ich über den großen Teich gesprungen, und 2002 habe ich an der University of Florida in Miami in Tropenökologie promoviert. Nach einer zweijährigen, aufregenden Stelle als Post-Doktorand an der Duke University in North Carolina, bei dem weltbekannten Tropenökologen Dr. John Terborgh, habe ich 2005 eine Stelle als Assistenzprofessor an der Towson University in Maryland angenommen. Seither habe ich das Glück, Studenten vor und nach ihrem akademischen Grad mit dem dampfenden Amazonasregenwald bekanntmachen zu dürfen.
Mongabay: Wie wurde Ihr Interesse an Pekaris geweckt?
Ein seltener Anblick im Regenwald: blanker Boden. Diese Fläche wurde nicht vom Menschen gerodet, sondern von einem effizienten Pekarirudel. Foto mit freundlicher Genehmigung von Harald Beck.] |
Harald Beck: Seit über zehn Jahren habe ich das Privileg, meine Forschung in einem der größten durchgehenden Regenwäldern der Welt zu betreiben: dem UNESCO Welterbe Manu Nationalpark, der im Herzen des peruanischen Amazonas liegt. Ohne menschliche Störungen und ohne fehlende Arten können wir die Natur und ihre biologischen Wechselwirkungen wirklich in ihrer Bestform erleben.
Für meine Dissertationsforschung wollte ich verstehen, welche Faktoren die Artenvielfalt kleiner Säugetiere im Amazonas beeinflussen. Während ich Forschungen über die kleinen Kerle angestellt habe, hat es nicht lange gedauert, bis ich großen Herden von Weißbartpekaris begegnet bin. Manchmal sind hunderte von ihnen durch das Unterholz gewandert (Foto und Video). Wenn diese Tiere in Bewegung waren, hat das ganze Unterholz vibriert und es wurde ersichtlich, dass sie den Wald regieren.
Pekaris haben die höchste Dichte und Biomasse aller neotropischen Säugetierarten. Offensichtlich haben diese Burschen einen ordentlichen Appetit auf fast alles, aber primär konsumieren sie Früchte und Samen. Ihre spezialisierten Kiefer erlauben es ihnen, sehr harte Samen aufzubrechen. Die knackenden Geräusche hört man schon durch die dichte Vegetation, lange bevor wir sie sehen. Wenn Pekariherden auf ihrer Suche nach Insekten, Fröschen, Samen und Früchten durch die Laubstreu walzen, zerstören (d.h. brechen und zertrampeln) sie viele junge Pflanzen und Triebe, und manchmal bleibt nur der blanke Boden zurück. Manche meiner früheren Fragen drehten sich darum, die Konsequenzen des Samenraubs und der Samenverbreitung der Pekaris zu quantifizieren, sowie die Auswirkungen des Zertrampelns auf die Diversität von Waldarten. Nach einer Weile bin ich auch meiner ersten Pekarisuhle begegnet, eine mit Wasser gefüllte Vertiefung im Boden, die die Pekaris erschaffen und erhalten. Wie sich herausgestellt hat, besuchen Pekaris ihre Suhlen sehr häufig, und manche Suhlen waren über 17 Jahre alt! Wie ich über die Jahre gelernt habe, benützen nicht nur Pekaris, sondern eine ganze Gemeinschaft von Wirbellosen und Wirbeltieren diese Suhlen und schaffen damit einen einzigartigen Mikrokosmos.
Mongabay: In der Forschung und im Artenschutz werden Pekaris oft übersehen, im Vergleich zu anderen ‘populäreren’ Säugetieren im südamerikanischen Regenwald – was, glauben Sie, ist der Grund dafür?
Pekaris baden in ihrer Suhle. Foto mit freundlicher Genehmigung von Harald Beck. |
Harald Beck: Übersehen ist wahrscheinlich eine Untertreibung, wenn man bedenkt, dass sowohl Regierungsbehörden als auch Naturschutzorganisationen sich kaum auf die Pekariforschung oder Aktionspläne für ihre Erhaltung konzentrieren. Charismatische Arten, wie der Panda oder der Jaguar, werden zu Schirm- oder Flaggschiff-Spezies erhoben, weil sie für Politiker, Forscher und Stipendienbehörden viel attraktiver sind. Ich glaube dass Artenschutzbemühungen eher von ökologischen Kriterien als von Marketingstrategien geleitet werden sollten. Wir sollten uns auf Arten konzentrieren, die die größte Anzahl an nicht-redundanten (einzigartigen!) ökologischen Rollen spielen, sowie unzählige Wechselbeziehungen mit anderen Arten haben.
Zum Beispiel scheint es, als könnten Jaguare in viel kleineren Waldteilen überleben als Weißbartpekaris oder Tapire. Doch Jaguare werden von vielen als “Schirm- oder Flaggschiff-Spezies” betrachtet, was bedeutet, wenn sie in einem bestimmten Wald überleben, werden das viele andere Arten auch. In einer Welt mit sehr beschränkten Geldmitteln und einem Anstieg an ökologischen Notfällen, sollten neue, ganzheitliche Strategien entwickelt werden.
WIE PEKARIS FRÖSCHEN HELFEN
Mongabay: Moment mal, Pekaris helfen Fröschen?!
Harald Beck: Nun, wie sich gezeigt hat, sind es mehr als nur Frösche – die Liste von Tieren, die die Suhlen benützen, beinhaltet verschiedene Insekten (d.h. Käfer, Libellen), Spinnen, Muscheln, Frösche, Fische (Foto), Schlangen (Foto), und sogar Fledermäuse (Foto).
Mongabay: Was ist ein Ökosystemingenieur?
![]() Ein Baumfrosch, der beim benützen einer Pekarisuhle gefunden wurde. Foto mit freundlicher Genehmigung von Harald Beck. |
Harald Beck: Der Begriff des “Ökosystemingenieurs” wurde zuerst 1994 von Clive Jones und seinen Kollegen vorgeschlagen. Nach anfänglichem Widerstand ist er nun innerhalb der Ökologie weithin akzeptiert. Dieses Konzept und seine jüngsten Erweiterungen haben enorm zur Biologie und zum Artenschutz beigetragen. Sie erlauben Forschern, einzigartige Wechselwirkungen zwischen Arten sowie Ökosystemfunktionen zu entdecken und zu beziffern, die mit anderen Konzepten wie theoretischen Futternetz-Ansätzen oder Energieflussmodellen nicht festgehalten wurden.
Ganz kurz zusammengefasst sind Ökosystemingenieure Arten, die physisch Milieus erschaffen oder existierende modifizieren, und dadurch die Verfügbarkeit von Ressourcen für andere Arten verändern. Diese Umweltveränderungen können positive wie negative ökologische Auswirkungen haben, zum Beispiel können sie die Artendichte oder die Diversität von sympatrischen (d.h. im selben Gebiet lebenden) Arten beeinflussen. Im größeren Landschaftsrahmen haben die meisten Studien aber positive Auswirkungen festgestellt.
Jeder kennt mindestens eine Spezies, die als Ökosystemingenieur fungiert: uns – wir, die Menschen, sind ‘Meister’ darin, die Umwelt zu verändern. Jedes Mal, wenn ein tropischer Regenwald in einen Highway umgewandelt wird, sehen wir die unmittelbaren, negativen Auswirkungen auf Artendichte und Diversität. Klassische Beispiele von Ökosystemingenieuren sind Biber und Korallen. Biber stauen Flüsse auf, um ihren ökologischen Anforderungen zu entsprechen, unter anderem um vor Jägern zu flüchten oder für ihren Nahrungsvorrat. Diese neu geschaffenen Biberteiche und Feuchtgebiete werden bald von einem neuen Gefolge an Pflanzen- und Tierarten besiedelt, die vorher nicht in diesem Gebiet gefunden wurden. Wenn wir herauszoomen, werden wir nicht nur die ursprünglichen Arten entlang des Flusses finden, sondern jetzt auch zusätzliche Arten, was in einem Anstieg der Artenvielfalt resultiert.
Es wurde geschätzt, dass über 500.000 Arten von Korallenriffen abhängig sind – Strukturen, die von winzigen Korallen konstruiert wurden. Die positiven Auswirkungen von Ökosystemingenieuren sind also ziemlich offensichtlich. Der Gedanke, dass schon über 25% der Korallenriffe verschwunden sind und zwei Drittel der verbleibenden höchst gefährdet sind, ist wirklich erschreckend und niederschmetternd.
Mongabay: Sie haben vor kurzem studiert, ob Pekaris für Frösche ‘Ökosystemingenieure’ sind oder nicht. Welchen Dienst leisten sie?
![]() Große Suhle, von Pekaris geschaffen, bietet Lebensraum für eine große Artenvielfalt. Foto mit freundlicher Genehmigung von Harald Beck. |
Harald Beck: In der Cocha Cashu Feldstation im Manu Nationalpark haben meine Studenten und ich getestet, ob Pekaris Ökosystemingenieure sind, weil sie Suhlen schaffen, also mit Wasser gefüllte Vertiefungen im Waldboden, die typischerweise von 1 bis zu über 50 Quadratmeter reichen (Foto). Pekaris können Suhlen benützen, um sich abzukühlen und um die Parasitenbelastung zu verringern, oder auch nur weil es Spaß macht, im Wasser herumzuplanschen und sich im Schlamm zu wälzen.
Interessanterweise ist die älteste Suhle 17 Jahre alt! Das bedeutet, dass zahlreiche Generationen von Pekaris dieselben Suhlen verwenden und ihre Standorte der nächsten Generation weitergeben. Mit der Zeit werden Suhlen größer und tiefer, weil die Pekaris den Boden feststampfen und den Rand verbreitern. Suhlen können leicht von natürlichen Teichen unterschieden werden, und zwar durch Anzeichen von Suhlaktivitäten von Pekaris wie Fußabdrücke oder Schlammspritzer auf der umliegenden Vegetation. Aufgrund ihres Trampelns sind keine Pflanzen oder auch nur loses Laub auf dem Grund (Foto). In den meisten Regenwäldern sind während der Trockenperiode stehende Gewässer auf dem Waldboden rar, deshalb könnten Pekarisuhlen ein entscheidender Wasserlebensraum und Brutplatz für Insekten- und Froscharten sein.
Mongabay: Was waren die Ergebnisse Ihrer Studie?
Harald Beck: Wir haben keine signifikanten Unterschiede bei physischen (d.h. Temperatur) und chemischen (d.h. pH, Stickstoff) Wasserparametern zwischen Suhlen und Teichen gefunden. Diese Ergebnisse waren vielversprechend, denn hätten die Suhlen, zum Beispiel, nur sehr wenig gelösten Sauerstoff oder sehr saures Wasser, könnte das bestimmte Arten daran hindern, sie zu benützen.
Suhlen hatten durchwegs größere Wasseroberflächen als natürlich auftretende Teiche. Das ist auch entscheidend, weil es bedeutet, dass Suhlen stabilere und berechenbarere Lebensräume als Teiche sind. Wenn du die Wahl hättest, Eier in einer stabilen Suhle oder in einem bald ausgetrockneten Teich zu legen, wo würdest du hingehen? Mit diesem Hintergrundwissen war es nicht allzu überraschend, dass Suhlen eine signifikant größere Dichte an Kaulquappen, Metamorphen (“Kaulquappen” mit Beinen und bereit, an Land zu gehen) und ausgewachsene Fröschen haben. Weiters traten mehr Arten in allen drei Froschstadien in Suhlen als in Teichen auf.
Wir haben auch andere Arten in Suhlen gefunden, unter anderem zahlreiche Wasserinsekten (d.h. Käfer, Libellen, Moskitolarven, und sogar eine halbaquatische Grille!), und Spinnen, die über die Wasseroberfläche gleiten und Beute jagen. Wir haben auch Muscheln gefunden, mindestens neun verschiedene Fischarten, und zwei Schlangenarten. Dieses Jahr haben wir Kameras mit Bewegungssensoren installiert und über die Wasseroberfläche fliegende Fledermäuse auf Bild festgehalten.
Kamera mit Bewegungssensor fotografiert eine Fledermaus, die eine Suhle auf der Jagd nach Beute überfliegt. Foto mit freundlicher Genehmigung von Harald Beck. |
Jetzt bin ich daran interessiert, das Zusammenspiel dieser noch immer wachsenden Suhlengemeinschaft zu untersuchen. Zum Beispiel können Kaulquappen entscheidende Beuteobjekte für Libellenlarven und manche Fischarten sein. Suhlengemeinshaften sind artenreiche Mikrokosmen mit unzähligen Wechselwirkungen, die durch das konstruktive Verhalten der Pekaris möglich gemacht werden.
Mongabay: Welche andere Rolle spielen Pekaris als Ökosystemingenieure?
Harald Beck: Pekaris suchen häufig nach Samen und Insekten, indem sie durch das Unterholz walzen. Das resultiert nicht nur in der Zerstörung vieler Jungpflanzen und Krautpflanzen, sondern hinterlässt auch Flecken des Waldbodens ohne Laubstreu. Diese Flecken blanker Erde könnten entscheidende Keimorte für kleinsamige Pflanzenarten sein, für die die Laubstreu entweder eine physische oder eine chemische Barriere darstellt und das Keimen verhindert. Ich habe mit verschiedenen Experimenten getestet, ob laubstreufreie Stellen die Niederlassung bestimmter Arten begünstigen und ob Pekaris die Waldpflanzengemeinschaft durch die Schaffung von Samenkeimstellen beeinflussen.
PEKARIS UND SAMEN
Mongabay: Welche Rolle spielen Pekaris in der Samenausbreitung? Würden Sie sie als eher destruktiv oder produktiv bezeichnen?
Harald Beck: Das ist eine sehr interessante und ökologisch entscheidende Frage, und ich habe mehrere Artikel (2005 und 2006) und Forschungsarbeiten (2007 und 2010) zu diesem Thema geschrieben. In der Zwischenzeit hat eine kleine Gruppe sehr engagierter Pekaribiologen zusätzliche wissenschaftliche Artikel veröffentlicht. Im Großen und Ganzen scheint es, dass Pekaris die Früchte von ca. 250 Pflanzenarten fressen und die Samen von über 150 Arten zerstören (um das zu veranschaulichen: nennen Sie einfach Ihre 25 Lieblingsfrüchte)! Das sind zwei Weltrekorde, und kein anderes tropisches Säugetier kommt diesen Zahlen auch nur nahe.
Aber was bedeutet das im Gesamtbild? Nun! Ganz klar spielen Pekaris eine ökologisch wichtige Rolle als Samenfresser, weil sie sehr kleine Samen (z.B. Ficus) bis sehr harte Samen (z.B. Mauritiuspalme) fressen können. Pekaris verhindern, dass gewöhnliche Pflanzen überhand nehmen und seltene Arten aus dem Feld schlagen. Dies kennt man als “Verhindern von Konkurrenz-Ausschluss”, ein sehr wichtiges Konzept in der Biologie, von dem man glaubt, dass es die tropische Artenvielfalt erhält.
Gleichzeitig hat meine Forschung darauf hingewiesen, dass ungefähr 50 Pflanzenarten erfolgreich von Pekaris verbreitet werden. Samen haben entweder die Reise durch das Verdauungssystem überlebt, oder sind an ihrem Fell klebend gereist (daher stammt ja auch die “Klettverschluss Idee”) und sind zu irgendeinem zufälligen Zeitpunkt abgefallen. Die Forschung (d.h. John Terborgh und Kollegen) hat einstimmig dokumentiert, dass Pekaris entscheidende nicht-redundante Rollen (keine andere Art könnte ihre Rollen ersetzen) als Samenfresser und -verbreiter spielen, was bedeutet, dass sich in Wäldern, in denen Pekaris ausgestorben sind, die Zusammensetzung von Pflanzenarten dramatisch verändert hat.
Mongabay: Wie viele Pflanzen- und Tierarten werden bis heute mit Pekaris in Verbindung gebracht?
Ein Tigertetra (Hoplias malabaricus), der in einer Pekarisuhle gefunden wurde. Foto mit freundlicher Genehmigung von Harald Beck. |
Harald Beck: Das ist eine Frage, die keiner wirklich weiß, und wir brauchen ganz klar mehr finanzielle Mittel, um zusätzliche Forschungen anzustellen. Wenn Herden von Pekaris durch das Unterholz trampeln und walzen, wird eine große Zahl von Pflanzen (darunter Jungbäume und Krautpflanzen) zerstört. Weiters konsumieren Pekaris Samen von über 150 Arten, während sie gleichzeitig zumindest 50 Arten verbreiten. Mir ist keine neotropische Säugetierart bekannt, die mehr Interaktionen mit Pflanzenarten hat!
Unsere Forschung hat darauf hingewiesen, dass mindestens 10 Froscharten für die Nahrungssuche und als Fortpflanzungsstätte von Suhlen abhängig sind. Wir haben gerade damit angefangen, die Rolle von Suhlenhabitaten für Wirbellose, Schildkröten und Fischarten zu beziffern. Unsere vorläufigen Daten weisen darauf hin, dass mehrere, besonders weniger mobile, Arten eng mit den Suhlen verbunden sind, und dass ihr Schicksal von der Gegenwart der Pekaris abhängt.
Mongabay: Wie könnten sich Wälder verändern, wenn Pekaripopulationen weiter abnehmen?
Harald Beck: Pekaris konsumieren und verbreiten Samen von über 200 Pflanzenarten und zertrampeln viele andere Arten. Diese Interaktionen beeinflussen den jährlichen Zuwachs, die räumliche Verteilung und das Artenspektrum der Waldpflanzengemeinschaft dramatisch. In einer früheren Studie, die sich nur auf eine einzelne Pflanzenart konzentriert hat, habe ich herausgefunden, dass in Wäldern, in denen Pekaris ausgestorben waren, die Keimlingsdichte der Iriarteapalme, im Vergleich zu Wäldern wo Pekaris noch frei herumstreunten, um fast 500% anstieg.
Eine Riesenwasserwanze, die in einer Pekarisuhle gefunden wurde. Foto mit freundlicher Genehmigung von Harald Beck. |
Stellen Sie sich jetzt einen Wald ohne Pekaris vor und wenn man all diese Wechselwirkungen in Betracht zieht… Pflanzenarten, die es gewöhnt sind, Samenraub zu erfahren, werden an Dichte gewinnen, während Arten, die nicht mehr verbreitet werden, vielleicht einen Rückgang erleben werden. Und ja, Frosch- und andere Arten, die von Pekarisuhlen abhängig sind, sterben aus. Mit ihren zahllosen ökologischen Diensten und Interaktionen erhalten Pekaris Biodiversität und Ökosystemintegrität.
Sowohl Forschungen in “leeren Wäldern” (Ausrottung großer Säugetier-, Vogel- und Reptilienarten), als auch Forschungen in Wäldern ohne die “Säugetiermegafauna” (Pekaris und Tapir) haben wieder und wieder dramatische Veränderungen in den Waldpflanzengemeinschaften bestätigt. Viel weniger weiß man über die Auswirkungen der Nahrungskaskaden auf andere Gruppen wie Tiere und Mykorrhizen (Besiedlungspilz). Eine Studie hat ergeben, dass in Wäldern, in denen Pekaris ausgestorben waren und die Suhlen nicht mehr erhalten wurden, einige Froscharten auch rasch ausgestorben sind.
BEDROHUNGEN FÜR PEKARIS
Mongabay: Was bedroht Pekaris?
Harald Beck: Zusammen mit Dr. Mariana Altrichter (University of Redlands, Kalifornien) leite ich die IUCN Pekariexpertengruppe. Diese sehr aktive Gruppe hat detaillierte Informationen über die Verbreitung und die Bedrohung aller drei Pekariarten zusammengestellt (http://www.iucnredlist.org/apps/redlist/search).
Die Experten haben ermittelt, dass die Jagd und die Lebensraumzerstörung die schwerwiegendsten Bedrohungen für Pekaripopulationen in der gesamten Neotropis sind. Abgesehen von der Jagd und der Lebensraumzerstörung, sind wir auch besorgt über das Vordringen des Menschen in die Regenwälder und die möglichen Gefahren durch Krankheitsübertragung von Nutzvieh, die ganze Pekaripopulationen auslöschen könnte.
Mongabay: Werden Pekaris irgendwo geschützt?
Harald Beck: Chaco-Pekaris sind im Anhang I von CITES [WA, Washingtoner Artenschutzübereinkommen, Anm. d. Übers.] inkludiert (d.h. internationaler Handel ist verboten) und von der IUCN als Gefährdet aufgeführt. Jedes Land hat seine eigenen Jagdbestimmungen, zum Beispiel ist das Jagen von jeglichen Wildtieren in Paraguay und Brasilien verboten, und das Chaco-Pekari steht in Argentinien offiziell unter Schutz. Jedoch haben Studien dokumentiert, dass Chaco-Pekaris in ihrem Gebiet stark gejagt werden. Die existierenden Jagdbestimmungen werden weithin ignoriert oder nicht durchgesetzt.
Weißbartpekaris sind im Anhang II von CITES inkludiert (d.h. internationaler Handel ist erlaubt) und von der IUCN als Gering Gefährdet aufgeführt. Leider sind Weißbartpekaris in großen Teilen Zentralamerikas und El Salvador ausgestorben. Innerhalb des letzten Jahrhunderts wurde das Verbreitungsgebiet von Weißbartpekaris um über 21% verringert. Es wird geschätzt, dass die Spezies auf lange Sicht nur in 47% seiner derzeitigen Verbreitung eine hohe Überlebenswahrscheinlichkeit hat.
Halsbandpekaris befinden sich in Anhang II von CITES, und die IUCN hat sie als Gering Gefährdet aufgeführt, was bedeutet, dass angesichts des Tempos von Lebensraumverlust und potentieller Überjagung der Status aller Populationen einer Beobachtung bedarf. Zum Beispiel gibt es in Brasilien ein Totalverbot für die Jagd auf Pekaris durch Nicht-Ureinwohner, obwohl dieses nicht in vielen Staten vollstreckt wird.
Die Jagd für den Lebensunterhalt ist in Kolumbien und Venezuela erlaubt, während in Peru sowohl die Jagd für den Lebensunterhalt als auch der internationale Handel von Pekariprodukten erlaubt und von Gesetzen reglementiert sind.
Mongabay: Welche ist die gefährdetste Pekariart? Warum?
Das gefährdetste Pekari der Welt: das Chaco. Foto von: Leonardo Maffei. |
Harald Beck: Chaco-Pekaris sind die gefährdetste Art. Diese Art ist endemisch im trockenen Chaco von Westparaguay, Südostbolivien, und Nordargentinien, und hat daher die kleinste geographische Ausbreitung, wenn man sie mit den zwei anderen Pekariarten vergleicht. Andauernde Lebensraumzerstörung und rücksichtslose Jagd werden wahrscheinlich den Großteil der schon stark fragmentierten Populationen auslöschen.
Weißbartpekaris sind die zweitgefährdetste Pekariart, weil sie große durchgehende Wälder brauchen, um ihre großen Herden zu erhalten. Wie alle Pekariarten sind Weißbartpekaris eine relativ “leichte Beute Spezies”, das Jagen mit Hunden und Feuerwaffen kann Familieneinheiten oder sogar ganze Herden auslöschen.
Halsbandpekaris scheinen am besten mit menschlichen Störungen fertigzuwerden, doch auch sie haben lokale Ausrottungen erlebt. Ihre kleineren Familieneinheiten brauchen weniger durchgehende Wälder als Weißbartpekaris. Sie können eine größere Bandbreite an Lebensräumen nutzen, inklusive Land, das von Menschen beeinträchtigt wurde.
Mongabay: Eine neue Pekariart, das Riesenpekari, wurde 2007 vorgeschlagen, aber es gibt noch offene Fragen, ob es eine eigene Spezies ist oder nicht. Was ist Ihre Meinung?
Harald Beck: Wenn man den gewaltigen neotropischen Regenwald in Betracht zieht, ist es nicht überraschend. Es könnte mehr als drei Pekariarten geben. Die kürzliche Meldung von einem “Riesenpekari” (“Pecari maximus”) aus Brasilien ist aufregend, aber eindeutig vorläufig. Die Beschreibung der Spezies basierte auf nicht ausreichenden Proben, welche keinen angemessenen Vergleich mit sympatrischen Pekariarten zuließen. Die meisten Taxonomen, Genetiker und Pekariexperten sind sich einig, dass es viel mehr morphologischer, genetischer und ökologischer Daten bedarf, um eine neue Spezies eindeutig zu beschreiben. Daher hat die IUCN-Artenüberlebenskommission das “Pecari maximus” nicht als neue Art akzeptiert, und die Gültigkeit dieser Spezies bedarf weiterer Tests.
Mongabay: Gibt es Beweise dafür, dass lokales Aussterben von Pekaris mit dem Verlust von Fröschen zusammenhängt?
Harald Beck: Ja, die gibt es. Mindestens zwei Studien haben ergeben, dass wenn Pekaris einmal ausgestorben sind, mehrere Froscharten, die Suhlen für die Nahrungssuche und als Brutstätte brauchen, auch ausgestorben sind (siehe auch Antwort oben).
Mongabay: Auf welche anderen Arten hat es vermutlich Auswirkungen, wenn Pekaris lokal aussterben?
Harald Beck: Wie schon oben erwähnt, wenn man bedenkt, dass Pekaris Früchte und Samen von über 400 Pflanzenarten verzehren und verbreiten und viele Keimlinge zertrampeln, ist ihr Einfluss riesig. Wenig überraschenderweise gibt es viele Studien, die Veränderungen in der Verbreitung von Pflanzenarten und in der Pflanzengemeinschaft in Wäldern ohne Pekaris dokumentieren.
Mongabay: In Anbetracht ihrer ökologischen Bedeutung, wie können wir dichte Pekaripopulationen retten?
![]() Dr. Beck an einer mittelgroßen Pekarisuhle. Foto mit freundlicher Genehmigung von Harald Beck. |
Harald Beck: Ich glaube wir müssen auf das “Pekaridilemma” aufmerksam machen, indem wir der breiten Öffentlichkeit, politischen Entscheidungsträgern und Ressourcenmanagern ökologische Informationen viel effektiver vermitteln. Wir müssen Partnerschaften mit den Medien, Regierungsbehörden, NROs und privaten Stiftungen entwickeln, um ausreichende Ressourcen zu sichern und realistische Naturschutzstrategien zu entwickeln.
Lebensraumzerstörung und Jagd sind ganz klar die Hauptbedrohungen für Pekaris und andere neotropische Arten. Die Einrichtung einer neuen und ausreichenden finanziellen und logistischen Unterstützung für existierende Nationalparks ist entscheidend. Es gibt zu viele “Papierparks”, die eher als Jagdurlaubsorte fungieren, ohne bestehende Gesetze geltend zu machen. Verbindungskorridore zwischen Waldstücken könnten die Ausbreitung und die Wiederansiedlung sichern und damit genetische Diversität über fragmentierte Landschaften hinweg fördern.
Was die meisten Ökologen auf globaler Ebene beunruhigt, ist die globale Erwärmung und die aus ihr resultierenden Veränderungen der Wetterlage, die sogar die am besten geschützten Nationalparks beeinflussen werden. Die menschliche Bevölkerungsexplosion und der stetig anwachsende Bedarf an Ressourcen und Land wird noch mehr Lebensräume und ihre Bewohner zerstören. Es ist einfach, aus der Komfortzone meines klimatisierten Büros heraus zu sagen: “Lasst uns Pekaris schützen”, während ein hungriger Campesino jagt, um seine Familie zu ernähren. Es liegt viel Arbeit vor uns, wenn wir diese tropische Vielfalt wirklich mit unseren Kindern teilen wollen.
¡Vamos Amigos!
Für mehr Informationen zur Forschung und zu den Publikationen von Dr. Beck, besuchen Sie bitte: http://towson.academia.edu/HaraldBeck
Pekariherde benützt eine ihrer Suhlen. Video mit freundlicher Genehmigung von Harald Beck.
Schlange frisst – im Schlamm versteckte – Kaulquappen an einer Pekarisuhle. Foto mit freundlicher Genehmigung von Harald Beck.
Studenten der Towson University messen die Größe einer Pekarisuhle. Foto mit freundlicher Genehmigung von Harald Beck.
Pekaris besuchen Suhle während des Tages. Foto mit freundlicher Genehmigung von Harald Beck.