- Die Beschreibungen und Ortsinformationen neuer Reptilienarten, die in der wissenschaftlichen Literatur präsentiert werden, werden häufig von Händlern dazu genutzt, diese Tiere schnell zu finden, einzufangen und zu verkaufen. Dies macht es ihnen möglich, sie für stattliche Gewinne zu Geld zu machen und es bedroht die Artenvielfalt.
- Neue Reptilienspezies sind bei Sammlern auf Grund ihrer Neuartigkeit stark begehrt und erscheinen auf Handelswebseiten und Messen oft innerhalb weniger Monate nachdem sie das erste Mal in wissenschaftlichen Fachzeitschriften beschrieben wurden.
- In den letzten zwanzig Jahren hat das Problem des illegalen Reptilienhandels durch das Internet, in Verbindung mit der Einfachheit und Bezahlbarkeit internationaler Reisen, extreme Ausmaße angenommen. Manche Taxonomen fordern jetzt dazu auf, dass Ortsinformationen für die gefragtesten Taxa, wie Geckos, Schildkröten und Pythons, zu beschränken.
- Wenn eine neue Spezies durch CITES unter Schutz gestellt wird (dies ist normalerweise ein langwieriger Prozess), dann halten die Händler die Reptilien oft „legal“ in kommerziellem Umlauf, indem sie fälschlicherweise behaupten, dass sie aus einer „Käfigzucht“ stammen, um in freier Wildbahn gefangene Tiere weißzuwaschen.
„Was passiert, wenn eine neue Gecko-Spezies entdeckt wird? Zwei Deutsche packen ihre Koffer und steigen in den Flieger.“, erzählt Sandra Altherr als Insider Witz. Altherr ist Mitbegründerin des Pro Wildlife e.V., einer Umweltschutz NGO aus Deutschland.
Die anonymen Männer mit Koffern in diesem Witz sind Reptilienhändler. Ihr Ziel ist, so schnell wie möglich Exemplare dieser neuen Spezies zu fangen und sie an Sammler zu verkaufen. Eine einzige Echse, Schildkröte oder Schlange kann hunderte, wenn nicht tausende Dollar einbringen.
Wie wissen die Händler, wo sie hin müssen? Und warum sind Deutsche die Zielscheibe des Spotts?
„Händler verfolgen wissenschaftliche Literatur, scannen sie systematisch und suchen nach neuen Spezies.“, so Altherr. Ein etablierter wissenschaftlicher Brauch hilft ihnen bei ihrer Suche: Die Fachzeitschriften benötigen nicht nur eine Beschreibung der neuentdeckten Spezies, sie beinhalten normalerweise auch den Ort, wo sie entdeckt wurde.
Außerdem, und das wissen wenige, ist Deutschland eine Supermacht im Reptilienhandel. „Die Tradition Reptilien zu halten gibt es hier seit Anfang des 19. Jahrhunderts.“, erklärt Altherr. „Das Problem ist in den letzten zwei bis drei Jahrzehnten riesig geworden. Auf Grund der Technologie und Globalisierung ist die Natur verfügbar und zugänglich geworden und das Internet hilft den Händlern dabei sich zu organisieren und zu verbinden.“
Die weltweite größte Reptilienmesse, die Terraristika, findet vier Mal im Jahr in der deutschen Stadt Hamm statt. Laut Altherr kann man hier „alles“ zum Verkauf finden. Zur Terraristika kommen auch Sammler, die Reptilieren abholen, die sie online bestellt haben.
Alice Hughes, Forschungsprofessorin am Xishuangbanna Tropischen Botanischen Garten der Chinesischen Akademie der Wissenschaften, ist Mitautorin einer vor kurzem erstellten Studie, die den Online-Reptilienhandel analysiert. „Wir durchforsteten das Internet nach allen großen Reptilienverkaufsseiten.“, sagte sie. „Die Ergebnisse waren überwältigend: 36 % aller Reptilienspezies, [beinahe] 4000 standen zum Verkauf. Dies beinhaltete viele neu beschriebene Spezies. Es gab eindeutig einen Drang zu Neuheiten – 137 der Reptilienspezies die seit den 2000er Jahren beschrieben wurden, wurden gehandelt.
Die Daten, die von Hughes und ihrem Team gesammelt wurden, zeigten, wie schnell Händler auf die Arbeit der Wissenschaftler reagierten. Neu beschriebene Spezies erschienen innerhalb weniger Monate nachdem sie das erste Mal in wissenschaftlicher Literatur erwähnt wurden in den Katalogen.
Der Takou marbled gecko (Gekko takouensis; dt.: Takou marmorierter Gecko) aus Zentralvietnam wurde 2010 entdeckt und war noch im gleichen Jahr für Sammler verfügbar. Der Persian striped skink (Eumeces persicus; dt.: Persischer gestreifter Skink) wurde 2017 im Iran entdeckt und stand innerhalb von drei Monaten zum Verkauf. Und die Sammmler brauchten nur ein paar Monate um eine neue Spezies der Blattschwanzgeckos aus Madagaskar zu orten, zu fangen und zum Verkauf anzubieten.
Viele Geckospezies werden auf Grund ihrer schönen Färbung und Morphologie gehandelt, erklärt Taxonom Yang Jianhuan, leitender Naturschutzbeamter der Kadoorie Farm und botanischen Gärten in Hongkong.
Yang beschrieb vier neue Spezies der Goniurosaurus Karst-Geckos in der Literatur, Tiere, die in Kalksteinhöhlen in Südchina, Südostasien und Japan leben. Eine Spezies die er das erste Mal 2013 beschrieb erschien schnell im Onlinehandel.
„Wie ich mich gefühlt habe? Natürlich war ich sehr bestürzt! Ich fand es furchtbar, sie zum Verkauf zu sehen.“, erinnert sich Yang.
Die Konsequenz war, dass er beschloss, keine Ortsangaben mehr zu veröffentlichen, als er 2015 eine weitere Goniurosaurus Spezies beschrieb. „Ich wusste: wenn ich wieder den genauen Ort veröffentliche, dann suchen die Leute. Ich will nicht, dass Händler meine Informationen verwenden.“ Die Abhandlung, in der die Spezies beschrieben wurde und die im Magazin Zootaxa veröffentlicht wurde sagt zur Örtlichkeit nur: „auf Nachfrage für andere Wissenschaftler verfügbar“.
Wenn man eine Ortsangabe macht, so Yang, ist es sogar ein Risiko, den Namen eines Dorfes zu erwähnen, ganz zu schweigen von genauen Koordinaten. „Der Lebensraum der Geckos sind Karsthöhlen. Also geht man in das Dorf und fragt, wo hier in der Gegend die Höhle ist.“
Altherr erklärt, dass Händler die Höhlen nicht unbedingt selbst finden müssen: „Sie verwenden Kuriere, manchmal Deutsche, manchmal einheimische Studenten, die in Deutschland studieren. Die Kuriere gehen dann zu den Ortsansässigen und sagen ‚Das sind die Tiere die wir finden wollen‘.“
Jordi Janssen, Herpetologe in den Niederlanden und Programmverantwortlicher der Monitor Conservation Society (dt.: Gesellschaft zur Überwachung des Umweltschutzes) sagt, dass wiederentdeckte Spezies auch sehr gefragt sind. „Letztes Jahr gab es eine Abhandlung über eine Eidechse in Sumatra die über 170 Jahre nicht gesehen worden war. Sie veröffentlichten den Ort. Ich habe dann auf den sozialen Medien einen Beitrag von einem verurteilten Reptilienschmuggler gesehen, dass er mehrere Male nach Sumatra gereist ist, um dieses Tier zu finden. Ich bin mir sicher, dass diese Spezies gehandelt wird sobald die [Covid-19] Reisebeschränkungen weg sind.“
„Wird eine Spezies erstmal gehandelt, ist es sehr sehr schwierig, daran etwas zu ändern.“, so Janssen.“ [Schmuggler] erstellen einen legalen Strom indem sie alles [in der Wildnis gefangene] weiß waschen und behaupten, es wurde in Gefangenschaft gezüchtet.“
Yang zeigt uns ein Bild das ein Händler von seiner Ware gemacht hat: ein Stapel Plastikboxen, in jeder ein Gecko. „In Gefangenschaft gezüchtet? Schwachsinn.“, sagt der Forscher. Er erklärt wieso: „Wenn man einen Gecko für ein Jahr hat, dann legt er vielleicht was – zwei, drei Eier? Geckos sind leicht zu fangen. Wenn man zehn Geckos auf einem Fels sieht, dann gehören einem gleich neun, nur schnell eine Stirnlampe aufsetzen und schnapp, schnapp, schnapp. An einem Abend kann ich mehr einfangen, als ich in einem Jahr züchten könnte.“
Yangs Entscheidung keine genaue Stelle für die Entdeckung seiner letzten Höhlengeckospezies anzugeben war kontrovers. Obwohl einige seiner KollegInnen den Forscher unterstützten gab es auch einige entgegensetzte Stimmen, die der Meinung sind, dass Yang eine der wichtigsten wissenschaftlichen Grundlagen missachtet hat: Transparenz. Außerdem hatte er die taxonomische Tradition gebrochen Stellenangaben zu veröffentlichen.
„Die KollegInnen der älteren Generation sagten, dass ich es veröffentlichen muss. Sie sagen, dass diese Tradition nicht gebrochen werden kann. Ich verstehe wirklich beide Seiten, doch einige WissenschaftlerInnen haben einfach noch nicht verstanden, wie groß das Problem jetzt ist.“, so Yang.
Er schlug einen Kompromiss vor: „Für Reptilien die einen hohen kommerziellen Wert haben, sprich Schildkröten, Höhlengeckos, Pythons, sollten nur ForscherInnen und Regierungsbehörden in der Lage sein, die genauen Ortsangaben einzusehen.“
Sobald der Standort einer neuen Spezies enthüllt wird ist sie bloßgelegt und praktisch schutzlos, so Experten. Die Mühlen der exposed and virtually defenseless, say experts. The wheels of the CITES Bürokratie mahlen langsam und bis eine Spezies vom Übereinkommen über den Internationalen Handel mit gefährdeten Arten freilebender Tiere und Pflanzen geführt und somit geschützt ist haben die „Deutschen mit Koffern“ sie schon kommerziell in Umlauf gebracht und legalisieren die gefangenen Tiere, indem sie Zucht in Gefangenschaft als legalen Deckmantel verwenden.
Warum ist der Handel so lukrativ? SammlerInnen wollen Seltenheiten. „Seltene Spezies, die nur in kleinen Gebieten vorkommen, sind im Reptilienhandel überdurchschnittlich oft vertreten.“, erklärt Hughes. Dies führt dazu, dass vor kurzem entdeckte Spezies besonders anfällig sind. „Manche kommen nur in wirklich kleinen Gebieten vor, wie zum Beispiel einem einzigen Kalksteinhügel. Die gesamte Population kann ganz schnell für den Handel eingesammelt werden.“
Yang warnt vor den Gefahren für die Artenvielfalt, die eine stückweise Einsammlung neu beschriebener Spezies hat. „Wir kennen ihre Rolle im Ökosystem nicht, sprich wo sie leben [Verbreitung], was ihre Beute ist und wer sie frisst. Wir wissen nicht, wie wichtig sie sind. Sie zu entfernen hat vielleicht nicht sofort einen Effekt, aber wie es langfristig aussieht? Wir wissen es nicht.“
Altherr greift die Händler für ihre „eigennützige Mentalität“ an, weil sie „alles aus der Natur nehmen, das in ihren Reptilientank passt“, doch Janssen merkt an, dass sich viele SammlerInnen und HändlerInnen als Artenschützer sehen, die die Spezies bewahren, indem sie Populationen in Gefangenschaft erschaffen.
Bis jetzt hat es sich nur in eine Richtung bewegt und zwar, dass Spezies aus der Wildnis verschwinden und in die Terrarien der SammlerInnen wandern. Hughes sagt, dass die Populationen von 21 Reptilienarten komplett in Sammlungen verschwunden sind. Es hat sich noch kein Händler gemeldet, der die Spezies, die er für Profit gesammelt hat, wieder in die Wildnis einführen wollte.
Die Schmuggler sind, so Umweltschützer, so motiviert, dass noch nicht mal eine seltene Baumschlange, die im tropischen Blätterdach lebt, sicher ist.
Als Matildas Hornotter (Atheris matildae), eine auf Bäumen lebende Schlange aus Südtansania, 2011 beschrieben wurde, war dies in den Nachrichten und Bilder wurden in den Mainstreammedien veröffentlicht. Der Ort wurde mit Absicht nicht preisgegeben, um sie vor SammlerInnen zu schützen.
Trotz der Geheministuerei wurde die vom Aussterben bedrohte Otter innerhalb von Monaten gefunden und von deutschen Händlern in Europa zum Kauf angeboten. Preis: 500 Euros – 606 Dollar.
Bannerbild: Ein Libo Leopardgecko (Goniurosaurus liboensis). Nachdem diese Höhlengeckospezies 2013 das erste Mal beschrieben wurde erschien sie schnell online zum Verkauf. Bild von Yang Jianhuan.