- Alles Leben auf der Erde, einschließlich der menschlichen Zivilisation, wird von lebensnotwendigen biochemischen System erhalten, die sich in einem empfindlichen Gleichgewicht befinden. Unsere Spezies destabilisiert diese Prozesse der Erde jedoch, größtenteils durch schnellen Bevölkerungswachstum und extrem hohen Konsum, und gefährdet somit den „sicheren Betriebsraum der Menschheit“.
- Wissenschaftler heben neun Grenzen des Planeten hervor, die das Erdsystem nicht überschreiten kann, ohne, dass unsere Gesellschaft gefährdet ist: Klimawandel, Verlust der Artenvielfalt, Meeresversauerung, Ozonabbau, Luftverschmutzung durch Aerosole, Landnutzungsänderungen und der Ausstoß neuartiger Substanzen.
- Die Menschheit befindet sich bereits außerhalb des sicheren Betriebsraums in mindestens vier dieser neun Bereiche: Klimawandel, Artenvielfalt, Landnutzungsänderungen und biogeochemische Kreisläufe (Ungleichgewicht zwischen Stickstoff und Phosphor). Der beste Weg, um eine Überschreitung zu vermeiden, so die Forscher, ist, unsere Energie- und Lebensmittelsysteme komplett umzugestalten.
- Es gibt 2021 drei Treffen, die eine Gelegenheit bieten, das Überschreiten der planetaren Grenzen zu vermeiden: die Biodiversitäts-Konvention in Kunming, China, der UN-Klimagipfel in Glasgow und der UN-Ernährungssystemegipfel in Rom. Übereinkommen mit messbaren, implementierbaren, nachweisbaren, zeitnahen und verbindlichen Zielen sind laut den Verfechtern unverzichtbar.
Fortschrittliche menschliche Gesellschaften entstanden während einer noch nie dagewesenen Zeit der Stabilität auf der Erde. Während den 12.000 Jahren vor der Industriellen Revolution variierte die Oberflächentemperatur unseres Planeten um weniger als 1 Grad Celsius (1,8 Grad Fahrenheit) über oder unter dem Durchschnitt für diese gesamte Zeitspanne. Das Ergebnis war, dass das Leben, sowohl in der Menschheit, als auch in der Wildnis, gedeihte.
Doch in den letzten zwei Jahrhunderten hat die Menschheit die Treibhausgaskonzentration in der Atmosphäre dramatisch in die Höhe getrieben und uns aus der „sicheren“ Klimazone herausgedrängt, außerhalb der Bedingungen für die die Zivilisation gemacht wurde.
Zu unserem Unglück ist es so, dass der Klimawandel nur eine der neun kritischen planetaren Grenzen ist, die durch die leichtsinnigen Handlungen unserer Spezies gefährlich destabilisiert und überschritten werden könnten.
Ein sicherer Betriebraum für die Menschheit
Mitte der 2000er Jahre versammelte Johan Rockström, Gründungsdirektor des schwedischen Stockholm Resilience Centre (dt.: Zentrum für Belastbarkeit) ein internationales, fachübergreifendes Team an Wissenschaftlern, um gemeinsam ein einziges Ziel anzustreben: definieren, was die Grenzen für einen „sicheren Betriebsraum für die Menschheit“ auf Erden sind. Sie fragten sich: Was sind die sicheren Betriebsgrenzen unseres Planeten und welche Veränderungen können wir ihm aufzwingen, bevor wir einen schnell voranschreitenden, katastrophalen Umweltschaden anrichten?
Das Zentrum veröffentlichte 2009 das Planetary Boundaries Framework (dt.: Rahmenplan der planetarischen Grenzen), das neun Kernprozesse beschrieb, die von der Menschheit beeinflusst werden und die Stabilität des gesamten Erdsystems bedrohen. Diese sind: Klimawandel, Integrität der Artenvielfalt (funktional und genetisch), Meeresversauerung, Abbau der Ozonschicht, Luftverschmutzung durch Aerosole, biogeochemische Kreisläufe zwischen Stickstoff und Phosphor, Süßwassernutzung, Landnutzungsänderungen und der Ausstoß neuartiger Substanzen (einschließlich Schwermetalle, radioaktiver Materialen, Plastik, etc.)
Zusammen genommen ist die Stabilität dieser neun Prozesse essentiell, um die Atmosphäre, Ozeane und Ökosysteme der Erde in dem empfindlichen Gleichgewicht zu halten, dass es der menschlichen Zivilisation erlaubt hat zu gedeihen. Dies sind jedoch auch die Prozesse, die am grundlegendsten von menschlicher Aktivität beeinflusst werden.
Die Forscher haben dann geschätzt, was das Limit ist, das menschliche Aktivitäten ausschöpfen könnten und wie sehr jeder dieser Prozesse verändert werden könnte, bevor das weltweite System einen Wendepunkt erreicht: eine Grenze, bei der wir, wenn wir sie überschreiten, riskieren, dass die Erde in einen Zustand verfällt, wie es ihn während der gesamten menschlichen Existenz noch nicht gab und der extreme Veränderungen mit sich bringt, die zu einem Zusammenbruch der Zivilisation führen und die Menschheit gefährden könnte.
„Systeme – von den Ozeanen bis hin zu den Eisplatten, über die Klimasysteme bis hin zu den Ökosystemen – können verschiedene stabile Stadien haben, die durch Wendepunkte getrennt sind.“, erkärte Rockström, der jetzt Leiter des Potsdam-Institus für Klimafolgenforschung ist. Wenn diese „stabilen“ Systeme zu sehr verändert werden, sagte er, dann verlieren sie ihre Widerstandsfähigkeit und können aprubt und unwiderruflich in ein neues, sich selbst verstärkendes Stadium übergehen – das möglicherweise für die Menschheit nicht geeignet ist.
Im ursprünglichen Bericht über planetare Grenzen 2009 und dem darauffolgenden Update 2015 findet sich eine schonungslose Einschätzung: Die Forscher fanden heraus, dass sich die Menschheit bei vier der neun planetaren Grenzen bereits außerhalb des sicheren Betriebsraumes befindet: Klimawandel, Artenvielfalt, Landnutzungsänderung und biogeochemische Kreisläufe (Stickstoff und Phosphorkreisläufe der Erde, die durch die weltweite Agrarindustrie und die Industrie im allgemeinen stark beeinträchtigt werden).
Die Experten warnen jedoch, dass die Grenzen Schätzungen sind: Was wir nicht wissen, ist, wie lang wir diese wichtigsten planetaren Grenzen noch ausweiten können, bevor der kombinierte Druck zu unwiderruflichen Veränderungen und Schaden führt. Wenn man sich vorstellt, dass die Menschheit mit verbundenen Augen auf neun Abgründe gleichzeitig zu geht, dann hat man eine ungefähre Vorstellung davon, wie Ernst und dringend die Lage ist.
Beginn des Anthropozäns
Die Dynamik zwischen großen, komplexen und untereinander verbundenen biogeochemischen Systemen, wie denen, die auf dem Planeten Erde vorhanden sind, kann man sich als Pfade und Laufbahnen vorstellen, die zwischen unterschiedlichen Stadien hin und her wechseln. Die Laufbahn der Erde kann durch Wendepunkte verändert werden, die uns von einem Stadium in ein anderes befördern (ungefähr wie ein Gangwechsel beim Auto). Einige komplizierte Feedbackprozesse können das derzeitige stabile Stadium entweder stärken oder schwächen und den Planeten somit in ein komplett neues Stadium befördern, genau wie ein Bowlingball der sich auf Grund einer Seitwärtsdrehung auf die Rinne zubewegt.
Der Klimawandel, die bekannteste der neuen planetaren Grenzen die wir immer weiter ausdehnen, ist ein gutes Beispiel dafür wie dieser Balanceprozess funktioniert.
Heute „laufen wir Gefahr, zum Teil etwas auszulösen, das dazu führen könnte, dass sich das Erdsystem in eine ‚Treibhauserde‘ verwandelt und es wäre sehr schwierig, sich hiervon wieder zu erholen und auf ein vorindustrielles Klima zurück zu kommen.“, so Steven Lade, ein Forscher am Stockholm Resilience Centre, der auf die Erstellung sozio-ökologischer Modelle spezialisiert ist.
Es ist jedoch so, dass wir „durch eine rasche Dekarbonisierung möglicherweise eine ‚stabilisierte Erde‘ erreichen könnten“, fügte er hinzu, was unser Klima in dem sicheren Bereich halten würde, an den sich die Menschheit über die letzten 12.000 Jahre hinweg angepasst hat.
Die Periode in der das Erdklima stabil war und in der unsere Gesellschaft floriert ist nennt sich das Holozän. Es begann vor circa 12.000 Jahren und setzte dem Wechsel zwischen Eiszeit und Zwischeneiszeit der vorangegangenen 100.000 Jahre, in denen die Temperaturen des Planeten um bis zu 6 Grad Celsius (10,8 Grad Fahrenheit) schwanken konnten, ein Ende.
Der heutige Mensch existiert bereits seit ungefähr 200.000 Jahren, doch „erst in den letzten 10.000 Jahren konnten wir Zivilisationen wie wir sie kennen entwickeln“, so Rockström. „Die grundlegenden Anfänge der modernen Zivilisation, sprich die Domestizierung von Tieren und Pflanzen und die Einführung der Landwirtschaft, fanden im Holozän statt.“
Claire Asher spricht über planetare Grenzen, Herausforderungen und Lösungen in Mongabays Podcast:
Doch genau diese Merkmale unseres unglaublichen Erfolgs (Landwirtschaft, eine sitzende Lebensweise, industrielle Produktion) ändern heute viele Prozesse des Erdsystems, die dafür verantwortlich sind, dass die Bedingungen auf der Erde stabil bleiben, grundlegend.
In der Tat ist es so, dass wir die neun planetaren Grenzen so extrem überschritten haben, dass Geologen der Meinung sind, dass wir uns in einer neuen Epoche der Erdgeschichte befinden. Der Beginn des Antropozäns, einer Zeit, die von Menschen beeinflusst wurde und die, laut Wissenschaftlern, irgenwann vor 10.000 bis 70 Jahren begann, ist geprägt von schnellen, von Menschen ausgelösten Anstiegen der Treibhausgasemissionen, groß-angelegten Landnutzungsänderungen, extremem Verlust der Artenvielfalt und massivem weltweiten Konsum und Verschmutzung, die durch sich schnell entwickelnde Technologien und eine schnell anwachsende Homo Sapiens Bevölkerung verursacht wurde.
Der Beginn des Anthropozäns, einer neuen Epoche, sollte uns eine Warnung dafür sein, so Rockström, dass „wir langsam das Ende der Fahnenstange erreicht haben, wenn es um die Bewältigungskapazität des gesamten Erdsystems geht.“
Klima- und Artenvielfaltgrenze bald überschritten
Sechs Jahre nach dem letzten Update des Stockholm Resilience Centres (ein weiteres soll dieses Jahr kommen) merkte Rockström an, dass es kaum so aussieht als hätten wir unseren Kurs geändert, um drohende Umkehrpunkte zu meiden. „Wenn überhaupt, dann haben wir die Grenzen beim Klima, der Artenvielfalt, dem Landnutzen und Stickstoff und Phosphor noch weiter überschritten. Es gab also [seit 2015] keine Trendwende.”
Forscher sagen, dass von den vier Grenzen, die wir bereits überschritten haben, Klimawandel und die Integrität der Biosphäre „Kerngrenzen“ des Planeten sind, da jede ganz alleine dafür sorgen könnte, dass sich der Entwicklungsverlauf der Erde ändert und die Menschheit gefährdet wird.
„Es gibt heutzutage genug wissenschaftliche Beweise dafür, dass [ein von Menschen verursachter Klimawandel] alleine dafür sorgen kann, dass das Holozän des Planeten endet.“, so Rockström. „Ähnlich ist es, wenn das Massenaussterben weitergeht und wir immer mehr Spezies verlieren, vom Phytoplankton bis hin zu den Spitzenprädatoren. Wir werden an einen Punkt kommen, wo das gesamte Planeten [System] kollabiert.“
Es gibt starke Anzeichen dafür, dass wir uns bereits mitten in einem weltweiten Massenaussterben befinden. Eine Einschätzung der Zwischenstaatlichen Wissenschaftspolitischen Plattform für Biodiversität und ökosystemare Dienstleistungen (IPBES) von 2019 zeigte, dass 25% der Pflanzen und Tiere die beurteilt wurden, insgesamt eine Millionen Spezies weltweit, vom Aussterben bedroht sind. Eine weitere Studie zeigte, dass über 500 Wirbeltierspezies kurz davor stehen, da es jeweils noch weniger als tausend Individuen in freier Wildbahn gibt.
Wichtig ist hier, dass Wissenschaftler der Meinung sind, dass wir keine Ahnung haben wie viel Verlust an Quantität oder Qualität der Artenvielfalt das Ökosystem hinnehmen kann, bevor unwiderrufliche Veränderungen ausgelöst werden.
„IPBES hat deutlich gezeigt, dass wir bereits extrem hohe Aussterberaten haben und, dass sie ansteigen.“, so Rebecca Shaw, leitende Wissenschaftlerin und Senior-Vizepräsidentin des WWF. Daten die sich nicht mit dem Aussterben, sondern mit dem Rückgang gesamter Populationen befassen sind jedoch tatsächlich informativer wenn es um die Einschätzung der Biosphärengesundheit geht, sagte sie und merkte an: „Wenn Spezies kurz vor dem Aussterben stehen, kann man kaum noch etwas machen.“
„Wir sollten uns wirklich mit dem Rückgang der Population [Fülle] weltweit befassen, und das dann mit den Maßstäben für die Ökosystemintegrität verbinden und das dann wiederum mit [den Maßstäben] wie die Ökosysteme funktionieren, damit sie Dienstleistungen für die Menschen erbringen.“
Laut dem Living Planet Report (dt.: Lebender Planet Bericht) des WWF und der Zoologischen Gesellschaft London (ZSL) von 2020 ist die Populationsgröße von Säugetieren, Vögeln, Amphibien, Reptilien und Fischen zwischen 1970 und 2016 im Durchschnitt um 68 % gesunken. Dies ist ein deutlicher Weckruf.
Erste Warnzeichen
Wissenschaftler sehen jetzt die ersten blinkenden Warnlichter auf dem Amaturenbrett des Erdsystems, die uns zeigen, dass die Menschheit sich bei mehreren planetaren Grenzen bereits außerhalb des sicheren Betriebsraums unserer Welt befindet und sich auf Wendepunkte zubewegt.
„Wir haben den Planeten so sehr verändert, dass es deutliche Auswirkungen haben wird und wir sehen diese Auswirkungen bereits seit fünf Jahren.“, so Shaw.
Ein Beispiel: Die Eisplatten in Grönland und der westlichen Antarktis schmelzen seit den frühen 1990er Jahren schneller, was vermuten lässt, dass diese riesigen Eisablagerungen jetzt in einem Zustand sind, wo sie sich ständig und immer schneller zurückziehen, nachdem sie über Jahrhunderte hinweg stabil waren. Innerhalb dieser jetzt gefährdeten Eisplatten befindet sich genug Wasser um den weltweiten Meersspiegel um mehr als 65 Meter anzuheben (213 Fuß).
Ganz ähnlich verhält es sich mit dem Meereseis in der Arktis, das sich zurückzieht. Wissenschaftler prognostizieren, dass die Region bereits im Jahr 2035 während des Sommers hauptsächlich eisfrei sein könnte und es gibt keine Gewissheit, welche extremen Veränderungen dies mit sich bringen könnte.
Weitere Frühwarnsignale, dass wir uns auf einen Wendepunkt beim Klimawandel zubewegen sind unter anderem immer häufigere und starke Dürren, Hitzewellen, Stürme und tropische Wirbelstürme.
„Die Anzahl der mit dem Klima in Verbindung stehenden Naturkatastrophen steigt alarmierend an, und hat deutliche Auswirkungen auf die Wirtschaft und die Gesundheit, vor allem für diejenigen, die schutzbedürftig sind.“, so Ana Maria Loboguerrereo Rodriguez, Leiterin der Global Policy Research for the CGIAR Research Program on Climate Change, Agriculture and Food Security (CCAFS; dt.: weltweite Politikforschung für das CGIAR Forschungsprogramm für Klimawandel, Landwirtschaft und Lebensmittelsicherheit).
Niemand weiß, wie viel Druck die Zivilisation standhalten kann, bevor sie beginnt zusammenzubrechen.
Eine Rückkopplungsschleife nach der anderen
Diese ersten Änderungen zeigen, dass wir kurz davor stehen, uns von den einst stabilen Holozänbedingungen wegzubewegen, so Wissenschaftler. Was noch bedenklicher ist: Man geht davon aus, dass viele dieser Veränderungen zu einer positiven Rückkopplung führen, die die Veränderungen weiter vorantreibt.
Es ist zum Beispiel so, dass die weitere Eisschmelze in Grönland nicht nur dazu führen wird, dass der Meeresspiegel extrem ansteigt, sondern es könnte auch dazu führen, dass sich die Oberflächentemperatur und der Salzgehalt der Ozeane verändert, was wiederum einen Umschwung in den Ozeanzirkulationssystemen auslösen könnte, wie zum Beispiel der Atlantisch Meridionalen Umwälzzirkulation (AMOC), was wiederum das weltweite Klima drastisch verändern und sogar den Verlust der Eisplatte in der östlichen Antarktis vorantreiben könnte.
Es gibt jedoch nicht unbedingt nur schlechte Nachrichten: Manche Rückkopplungssschleifen könnten einen ausgleichenden Effekt auf das Klima und andere planetare Grenzen haben. „Welche dieser Rückkopplungsschleifen gewinnt und wann ist eine der großen Fragen im Hinblick auf unser zukünftiges Klima.“, so Lade.
Dennoch könnten diese sich selbstverstärkenden Schleifen eine kompliziertere Kaskade an Änderungen auslösen. „Das gesamte Erdsystem ist ein komplexes, sich selbst-regulierendes System.“, so Rockström. „Wenn man eine [planetare Grenze] überstrapaziert, dann kann es zu einem Dominoeffekt kommen und die anderen auch beeinflussen.“
Zum Beispiel ist die Landnutzungsänderung auf Grund der Landwirtschaft einer der Hauptgründe weltweit für Abholzung. Es wird weniger Wasser von Pflanzenblättern in die Luft abgegeben. Im Amazonasbecken sind diese Ausdünstungen eine der Hauptquellen für Regen. Doch es gibt starke Anzeichen dafür, dass die schnelle Abholzung des Amazonas, in Verbindung mit dem weltweiten Klimawandel, möglicherweise stärkere Dürren auslöst, was zu einem abrupten Wandel von Regenwald hin zu einer degradierten Savanne führt, was wiederum grundlegende Auswirkungen für den gesamten Planeten hat. Diese Veränderung eines gesamten Bioms würde eine ganze Menge alter, gebundener Kohlenstoffe freisetzen und somit den Klimawandel verstärken, was wiederum zu mehr Dürren und Baumsterben führen würde. Es ist ein sich selbstverstärkender Teufelskreis.
„Die Bedenken wachsen, dass wir auf Grund der ansteigenden Abholzungsraten in letzter Zeit unter der brasilianischen [Jair] Bolsonaro Regierung möglicherweise einen Wendepunkt für den Regenwald im Amazonas erreichen.“, so Will Steffen, ein emeritierter Professor an der Australian National Universität in Canberra, der Teil des Teams war, das die ursprünglichen Rahmenbedingungen für die planetaren Grenzen entwickelt hat. „Die drei [Wendepunkte des Erdsystems] die in meinen Augen am bedenklichsten sind, sind der Amazonas-Regenwald, die Eisplatte in Grönland und der sibirische Permafrostboden.“
Das Beispiel das Amazonas-Regenwalds zeigt, wie Einschnitte in die regionalen Prozesse, wie der Wasserzyklus der Bäume, akkumulieren und uns auf einen planetaren Umkehrpunkt hinführen können.
Ein weiteres Beispiel für einen Umkehrpunkt: Die verheerenden Flächenbrände in Australien und Kalifornien 2019 und 2020. Sie entstanden durch mehrere Faktoren die sich langsam angesammelt haben: stärkere Dürren auf Grund des Klimawandels, angesammeltes Laub, ungewöhnliche Windmuster. Dann gibt es einen kleinen menschlichen Eingriff, wie zum Beispiel in Kalifornien der Funke eines Netztransformators eines Energieunternehmens und es ist genug um „einen Wald über Nacht durch den Klimawandel in eine Trockensavanne zu verwandeln“ und möglicherweise die Artenvielfalt zu verändern, so Shaw. „Der Klimawandel zeigt sich in den Ausbrüchen dieser Katastrophen so richtig.“
Regionale Interaktionen zwischen den planetaren Grenzen sorgen möglicherweise bereits dafür, dass sich die Erde schneller von einem sicheren Betriebsraum weg bewegt. „Auf planetarer Ebene sieht man [noch] nicht [deutlich], was diese Dinge sind, doch auf regionaler Ebene ist es wirklich gewaltig, wie die [Interaktion zwischen] Klimawandel und Artenvielfaltsverlust [zum Beispiel] sichtbar wird.“, merkte Shaw an. „Wir hätten nie gedacht, dass wir [die Artenvielfalt] so einbrechen sehen würden, wie wir es jetzt sehr früh auf regionaler Ebene tun.“
Auf Grund der Intensivierung regionaler und globaler Veränderungen warnen Wissenschaftler, dass sie sich am meisten Sorgen darüber machen, was wir über die unglaublich komplexen Interaktionen zwischen den Prozessen der Erdsysteme noch nicht wissen, da nur ein Teil von ihnen gut erforscht ist.
„Es ist ziemlich frustrierend, wenn man zugeben muss, dass wir die grundlegenden Interaktionen zwischen den planetaren Grenzen noch nicht ganz verstehen.”, so Rockström. Selbst wenn wir in der Lage sind, das Klimasystem wieder in einen sicheren Betriebsbereich zu bringen, fügte er hinzu, „dann haben wir bis dahin vielleicht so viel Waldsterben ausgelöst und so viel Permafrostabtau und so viel Eisschmelze…dass der Planet bereits einen anderen Weg eingeschlagen hat.“ Eine andere Laufbahn und einen Dauerzustand der für die menschliche Zivilisation vielleicht nicht geeignet ist.
Nahrungsmittelsysteme: Der Schlüssel zu Erhaltung einer bewohnbaren Erde
Wenn wir unseren Planeten von einem zerstörerischen neuen Entwicklungsverlauf wegsteuern wollen, dann ist eine der Hauptprioritäten das stufenweise aus dem Verkehr ziehen der fossilen Brennstoffe, damit die Weltwirtschaft bei den Treibhausgasemissionen einen Nettonullbetrag erreicht. Doch noch dringlicher, so die Experten, ist die Veränderung unserer Nahrungsmittelsysteme.
Die Lebensmittelproduktion macht beinahe 25 % unserer, das Klima verändernden Treibhausgasemissionen aus, ist der führende Faktor für den Artenvielfaltsverlust, der Hauptgrund für die Landnutzungsänderungen, eine der größten Quellen für Stickstoff und Phosphorverschmutzung und generiert eine riesigie Nachfrage nach Süßwasser. Da die Lebensmittelproduktion so hohe Kohlenstoffemissionen generiert trägt sie auch zur Meeresversauerung bei. Das sind sechs der neun planetaren Grenzen.
Zusammen „würden uns eine Veränderung des Lebensmittelsystems und der Energiegewinnung wieder in einen sehr sicheren Bereich bringen.“, so Rockström.
„Es braucht nicht weniger als eine systemische Transformation unseres Lebensmittelsystems, damit wir die derzeitige und zukünftige Bevölkerung des Planeten mitten im Klimawandel nachhaltig versorgen können.“, so Loboquerrero von CGIAR. Wenn diese grundlegende Veränderung vorgenommen werden würde, dann würde dies nicht nur Emissionen reduzieren, sondern auch die Gesundheit und Lebensmittelsicherheit verbessern, „was mehrere Anreize für eine Verhaltensänderung sind.“
Ambitionierte politische Schwerpunkte setzen
Die nächsten 12 Monate bieten der weltweiten Gemeinschaft einmalige Gelegenheiten sich zu treffen und auf politische Schwerpunkte zu einigen, damit die Erde auf dem Kurs zu einer langfristigen Stabilität ist.
Drei große internationale Treffen sind für 2021 angesetzt: das 15. Treffen der Konferenz der Vertragsparteien der Biodiversitäts-Konvention in Kunming, China, vom 11. bis 24. Oktober, die UN-Konferenz über Klimaänderungen in Glasgow, Vereinigtes Königreich, vom 1. bis 12. November und der UN-Ernährungssystemegipfel in Rom vom 19. bis 21. Juli. Übereinkommen mit messbaren, implementierbaren, nachweisbaren, zeitnahen und, am allerwichtigsten, verbindlichen Zielen und Vereinbarungen sind unverzichtbar.
„Es ist ein wichtiges Jahr in dem Ergebnisse erzielt und Zusagen für die nächsten zehn Jahre gemacht werden und die darüber entscheiden, ob wir innerhalb dieser planetaren Grenzen bleiben, oder nicht.“, so Shaw. Beim WWF, so fügte sie hinzu „wollen wir mit anderen Interessenvertretern bei diesen Treffen zussammenarbeiten, damit Aktionspunkte ausgearbeitet werden, die dafür sorgen, dass wir sowohl auf regionaler, als auch auf planetarer Ebene im sicheren Betriebsraum bleiben.“
In einer Abhandlung die letzten Oktober in Science (dt.: Wissenschaft) erschien, tat sich Shaw mit einem internationalen Team zusammen, das die CBD dazu aufrief im Hinblick auf Artenvielfalt und Nachhaltigkeit „ambitionierte Ziele“ zu setzen, wie zum Beispiel kein Nettoverlust der Artenvielfalt mehr ab 2030.
Die Treffen dieses Jahr sind aus folgenden Gründen wichtiger als jemals zuvor: Die Erinnerungen an vergangene globale Treffen, die gescheitert sind, und, das klare Verständnis, dass die Zeit sehr schnell knapp wird.
Grund zur Hoffnung
Experten fordern eine transformative, holistische Herangehensweise, um gefährliche Umkehrpunkte zu vermeiden und, dass die Erdsysteme als gemeinschaftliches, globales Gut gesehen werden sollten, mit Menschen als Verwalter. „Die verflochtene Natur dieser Rahmenstrukturen gibt Anlass dazu, einen neuartigen ordnungspolitischen Ansatz auf globaler, regionaler und örtlicher Ebene zu entwickeln.“, so Loboguerrero.
Eine dieser Rahmenstrukturen ist die Global Commons Alliance (dt.: Weltweites Gemeingut Allianz), der über 50 internationale Nicht-Regierungsorganisationen, multinationale Unternehmen und städtische politische Entscheidungsträger angehören und die die Setzung wissenschaftsbasierter Ziele fördert, damit innerhalb der planetaren Grenzen gearbeitet wird. Doch diese Partnerschaft muss geometrisch wachsen, damit sie effektiv handeln kann.
Das ist ein schwieriges globales Ziel. Doch es gibt eine planetare Grenze, die erste bei der wir jemals realisiert haben, dass wir Gefahr laufen, sie zu überschreiten, die uns hoffen lässt: der Abbau der Ozonschicht. Weltweit erkannten die Nationen 1987 die Dringlichkeit und Stichhaltigkeit der Wissenschaft an und akzeptierten die politisch verbindlichen Auflagen des Montrealer Protokolls. Wir haben uns vom Kliff weg bewegt, das Ozonloch ist geschrumpft und es könnte nun bis 2050 komplett geschlossen sein.
Wenn sich die Nationen zusammen tun können, um den Klimawandel, den Verlust der Artenvielfalt und die Verschmutzung in Angriff zu nehmen, genau so wie sie die Gefährdung der Ozonschicht in Angriff genommen haben, dann besteht eine Chance, dass wir die derzeitigen Trends umkehren und die Laufbahn der Erde wieder in einen stabilen holozänen Status zurückführen können. Die Chance wird immer geringer, aber es ist dennoch eine Anstrengung, die wir unternehmen müssen.
Die neun planetaren Grenzen unter der Lupe
Das Planetary Boundaries Framework (letztes Update 2015) definiert neun Kernprozesse der Erdsysteme und stellt sichere Grenzen auf innerhalb derer die menschlichen Aktivitäten gehalten werden sollten. Diese sind:
Klimawandel: Eine ansteigende Konzentration der Treibhausgase in der Atmosphäre führt zu ansteigenden weltweiten Temperaturen. Die sichere Grenze von 350 parts per million CO2 wurde 1988 überschritten. Im Jahr 2020 lagen die Werte bei 417 ppm.
Neuartige Substanzen: Dies bezieht sich auf neue Dinge wie schädliche Chemikalien, Materialien und andere neue Substanzen (wie zum Beispiel Plastik), ebenso wie in der Natur vorkommende Substanzen wie Schwermetalle und radioaktive Materialien die durch menschliche Aktivität eingebracht werden und ist eine der schwerer zu definierenden planetaren Grenzen. Wir setzen jeden Tag zehntausende an synthetischen Substanzen in der Umwelt frei und wissen oft nicht, was die Auswirkungen sein werden. Beispiele für diese Risiken sind die Gefahr, die CFC für die Ozonschicht darstellt oder DDT für die Artenvielfalt.
Stratosphärischer Ozonabbau: Der O3 Abbau in der Stratosphäre auf Grund chemischer Schadstoffe wurde in den 1980er Jahren entdeckt und führte zum Montrealer Protokoll über Stoffe, die zum Abbau der Ozonschicht führen von 1987. Die Ozonschicht scheint sich nun zu erholen.
Atmosphärische Aerosole: Die Verschmutzung durch atmosphärische Aerosole ist eine Gefahr für die menschliche Gesundheit und kann die Zirkulationssysteme der Luft und Ozeane beeinträchtigen, die wiederum das Klima beeinflussen. Es könnte zum Beispiel passieren, dass starke Aerosol Verschmutzung auf dem indischen Subkontinent dazu führt, dass das Monsoonsystem auf einmal trockener wird.
Meeresversauerung: Die ansteigenden CO2 Level in der Atmosphäre sorgen dafür, dass der Säuregehalt der Meere zunimmt. Dies stellt eine extreme Gefahr für die maritime Artenvielfalt dar, besonders für die wirbellosen Tiere, da sich ihre Schalen in säurehaltigem Wasser auflösen.
Biogeochemische Abläufe: Wir haben die natürlichen Stickstoff- und Phosphorzyklen des Planeten grundlegend geändert, indem wir diese lebenswichtigen Nährstoffe in großer Menge in der Landwirtschaft verwenden, was dazu führt, dass diese in benachbarte Ökosysteme eindringen.
Süßwassernutzung: Der Süßwasserzyklust ist durch die Landwirtschaft, Industrie und eine stetig wachsende weltweite Bevölkerung immer größeren Belastungen ausgesetzt, während der Klimawandel das Wettergeschehen verändert, was in einigen Regionen Dürren und in anderen Fluten verursacht.
Landnutzungsänderungen: Die Veränderung der Landnutzung, vor allem die Umwandlung von tropischen Wäldern zu Farmland, hat auf Grund der Auswirkungen der atmosphärischen Kohlendioxid-Konzentration auf Artenvielfalt, Süßwasser und die Reflektivität der Erdoberfläche sehr großen Einfluss auf das Klima.
Integrität der Biosphäre: Die funktionelle Integrität der Ökosysteme ist auf Grund der vielen natürlichen Dienstleistungen, die sie bereit stellen, von der Bestäubung bis hin zu sauberem Wasser und sauberer Luft, eine der wichtigsten planetaren Grenzen. Wissenschaftler zeigen sich darüber besorgt, wie schnell die Pflanzen- und Tierpopulationen zurückgehen, die Verschlechterung der Ökosysteme und der Verlust der genetischen Artenvielfalt, der essentielle biosphärische Dienstleistungen unterbrechen könnte.
Bild und Erklärungen mit freundlicher Genehmigung von J. Lokrantz/Azote, basierend auf Steffen et al. (2015) über das Stockholm Resilience Centre.
Bannerbild: Beobachtung der Eisschmelze: Eine vom WWF gesponserte Forschungsexpedition, um die Schmelze der Eisdecke in Grönland 2009 zu beobachten, geführt von Marco Tedesco von der City University of New York. In der Eisdecke Grönlands ist genug Wasser enthalten, um den weltweiten Meeresspiegel um mehr als 65 Meter ansteigen zu lassen (213 Fuß). Bild von James Balog / Extreme Ice Survey.
Quellen:
Rockström, J., Steffen, W., Noone, K., Persson, Å., Chapin, F. S., Lambin, E. F., … Foley, J. A. (2009). A safe operating space for humanity. Nature, 461(7263), 472-475. doi:10.1038/461472a
Steffen, W., Richardson, K., Rockström, J., Cornell, S. E., Fetzer, I., Bennett, E. M., … Sörlin, S. (2015). Planetary boundaries: Guiding human development on a changing planet. Science, 347(6223), 1259855. doi:10.1126/science.1259855
Steffen, W., Rockström, J., Richardson, K., Lenton, T. M., Folke, C., Liverman, D., … Schellnhuber, H. J. (2018). Trajectories of the Earth System in the Anthropocene. Proceedings of the National Academy of Sciences, 115(33), 8252-8259. doi:10.1073/pnas.1810141115
Díaz, S., Zafra-Calvo, N., Purvis, A., Verburg, P. H., Obura, D., Leadley, P., … Zanne, A. E. (2020). Set ambitious goals for biodiversity and sustainability. Science, 370(6515), 411-413. doi:10.1126/science.abe1530