- Der Bestand des Gelbflossenthunfischs im Indischen Ozean steht kurz vor dem Kollaps; manche Experten fordern von der EU mehr Einsatz für seinen Erhalt, da sie von dieser Fischerei jahrzehntelang am meisten profitiert hat.
- Von der EU kontrollierte Schiffe, auch solche, die unter der Flagge von kleineren Küstenstaaten wie den Seychellen fahren, holen den Löwenanteil des Thunfischs aus dem Indischen Ozean und beliefern damit einen Milliarden Dollar schweren Markt.
- Die Überfischung durch diese Schiffe und der nicht besonders ambitionierte Vorschlag der EU, den Bestand des Gelbflossenthunfischs wiederaufzubauen, haben zu Anschuldigungen eines „neokolonialen“ Raubzugs auf Ressourcen geführt, von denen viele Entwicklungsländer abhängen.
Ein spanisches Thunfischfangschiff, benannt nach dem spanischen Strand Playa de Anzoras, fuhr bis zum 9. Januar 2014 unter spanischer Flagge. Dann, am 10. Januar desselben Jahres, wechselte das 2.200-Tonnen-Schiff von der spanischen zur Flagge der Seychellen, einem kleinen Inselstaat im Indischen Ozean.
Weder Spanien noch das sonstige europäische Festland sind Anrainer des Indischen Ozeans, in dem die Playa de Anzoras operiert. Trotzdem dominiert die Europäische Union die dortige Thunfischerei und ist größter Profiteur. Diese Vorherrschaft lässt sich teilweise mit Schiffen wie die Playa de Anzoras erklären, die unter seychellischer Flagge fährt, aber letztlich von europäischen Unternehmen kontrolliert wird, wie von Mongabay gesichtete Unterlagen zeigen.
Seit mehr als drei Jahrzehnten holen sich die von der EU kontrollierten Schiffe den Löwenanteil des wertvollen regionalen Gelbflossenthunfischs (Thunnus albacares). Nun steht der Bestand kurz vor dem Zusammenbruch. Ein Plan zur Beendigung der Überfischung und zur Bestandserholung ist gescheitert.
Gespräche im März dieses Jahres endeten in einer Sackgasse. Die EU fordert größere Restriktionen auch für andere Mitglieder der Indian Ocean Tuna Commission (IOTC), der in der Region für das Management der Thunfischerei zuständigen zwischenstaatlichen Kommission, der auch Indien angehört. Gleichwohl versagt die EU selbst bei der Einhaltung der Regeln und der Sicherung eines Bestands, von dem sie so stark profitiert, wie einige Beobachter anmerken. Viele der am Indischen Ozean gelegenen Länder erreichten erst im letzten Jahrhundert die Unabhängigkeit von der europäischen Kolonialherrschaft. Manche betrachten den Zugriff von EU-Staaten auf Ressourcen wie Thunfisch als Fortsetzung einer ausbeuterischen Beziehung.
„Die Haltung der EU ist scheinheilig und neokolonialistisch“, erklärt Nirmal Shah, Geschäftsführer der gemeinnützigen Organisation Nature Seychelles und ehemaliger Leiter der Seychelles Fishing Authority (SFA), gegenüber Mongabay. „Da überfischen einige der reichsten Länder der Welt die Ressourcen und geben ärmeren Ländern die Schuld daran.“
„Plunder“ für „Juwelen“
Thunfischereien sind lukrativ und füttern einen Milliarden Dollar schweren Markt. Die Thunfischerei im Indischen Ozean ist die zweitproduktivste der Welt, der meiste Thun davon stammt aus dem Westindischen Ozean.
1982 erkannte die UN das Hoheitsrecht von Staaten auf eine Meereszone von 200 Seemeilen (370 Kilometer) ab der Küstenbasislinie an: die ausschließliche Wirtschaftszone (AWZ). Die Seychellen, eine junge Nation, die ihre Unabhängigkeit vom Vereinigten Königreich 1976 erlangte, sollte davon enorm profitieren können. Die rund 100 im Westindischen Ozean knapp südlich vom Äquator verstreuten Inseln haben zusammen eine AWZ von 1,37 Millionen Quadratkilometern (530.000 Quadratmeilen), das ist etwas weniger als die Hälfte der Größe Indiens.
Die Gewässer der Seychellen sind einer der wichtigsten Fanggründe für Thunfisch, wobei Gelbflossenthun, Großaugenthun (Thunnus obesus) und Skipjack (Katsuwonus pelamis) die Hauptbeute ausmachen.
Mit sinkender Wirtschaftlichkeit der Thunfischerei im Atlantik suchten europäische Nationen wie Spanien und Frankreich nach neuen Fischgründen. Die Einrichtung der AWZ zwang sie zu Abkommen mit ärmeren Küstenstaaten, um den wachsenden Appetit auf Fisch und Meeresfrüchte auf dem Kontinent zu stillen. (Beim Konsum von Fisch und Meeresfrüchten steht die EU gleich an zweiter Stelle nach China.)
„Wir haben diesen herrlichen Apfelbaumgarten, doch derzeit keine Leiter, um hochzuklettern und die Äpfel zu pflücken“, verdeutlicht Jeremy Raguain von der Seychelles Islands Foundation die Situation. Die EU und andere Länder mit Technologie und Schiffen nach modernstem Standard sagen uns: ‚Schaut, wir haben die Leitern, um die Äpfel zu pflücken, die ihr nicht pflücken könnt.‘“
Für den Westindischen Ozean schloss die European Economic Community (EEC), der Vorläufer der EU, Abkommen mit Madagaskar und kleinen Inselnationen wie den Seychellen, Mauritius und den Komoren, die teils wegen der jahrzehntelangen Kolonisation weder die finanziellen noch die technischen Möglichkeiten besaßen, ihre eigenen Meeresressourcen kommerziell auszubeuten.
1983 unterzeichnete Spanien ein Abkommen mit den Seychellen, das es spanischen Schiffen gestattete, wandernde Arten wie Thunfische in den Inselgewässern zu fangen. 1984 begannen die ersten spanischen Ringwadenfischer mit ihrer Arbeit. Doch mit Spaniens Eintritt in die EEC 1986 unterlagen spanische, wie nun auch französische Fischereiaktivitäten den Abkommen zwischen der EEC und den Seychellen.
Diese Abkommen stehen schon lange in der Kritik, weil sie kleinere, ärmere Nationen benachteiligen.
Staaten wie die Seychellen haben davon zwar direkte Vorteile. Fischereizugangsgebühren sind eine wichtige Einkommensquelle für das Land. Gemäß dem jüngsten Abkommen mit der EU ist eine jährliche Summe von 5,3 Millionen Euro vorgesehen. Außerdem zahlen EU-Schiffseigner etwa 80–85 Euro pro Tonne Thunfisch. Bei Amazon ist Gelbflossenthunfisch in der Dose für rund 17 US-Dollar das Kilo erhältlich. Eine Tonne Thunfisch — 1.000 Kilo — würde bei diesem Preis 17.000 US-Dollar (14.145 Euro) kosten.
„Ja, es bringt etwas Geld ein, und ja, wir erhalten Lizenzgebühren. Doch vergleichen Sie das einmal mit den Gewinnen, die diese Leute einfahren“, sagt Shah. „Man gibt uns Plunder für unsere Juwelen.“
Für mit Ringwaden im Indischen Ozean gefangenen Gelbflossenthunfisch in der Dose oder im Beutel zahlen die Kunden jedes Jahr 1 Milliarde US-Dollar, wie eine Analyse von der Policy Research Group des The Pew Charitable Trusts ergab, die ihren Sitz in den USA hat. Fast 80 % dieses Thunfischs wird von europäisch kontrollierten Schiffen gefangen.
Dabei handelt es sich größtenteils um Ringwadenfänger, die zu den weltweit größten Industriefangschiffen gehören. Mit einem Ringwadennetz, das flach ausgelegt bis zu 2 km (1, lang sein kann, werden Fischschwärme eingekreist und das Netz dann unten wie ein Kordelzugbeutel zusammengezogen.
Ein über die Ozeane gespanntes Netz
Derzeit dürfen 15 Ringwadenschiffe unter spanischer Flagge und 12 unter französischer Flagge im Indischen Ozean fischen. Auf dem Papier besitzen die Seychellen eine im Indischen Ozean operierende Ringwadenfangflotte, die es mit der von Spanien, der größten Fischereination in der EU, aufnehmen kann. Doch tatsächlich ist die gesamte Flotte mit 13 Schiffen unter seychellischer Flagge in europäischer Hand.
EU-Dokumente und andere Fischereiabkommen zeigen, dass die Playa de Anzoras dem Unternehmen Pesquería Vasco Montañesa SA (Pevasa) gehört, einem Gründungsmitglied der spanischen Pevaeche Group. Albacora SA besitzt vier weitere Schiffe unter Seychellen-Flagge, S. Echebastar drei, Inpesca zwei and Atunsa eines. All diese Unternehmen sind im spanischen Baskenland ansässig, einer traditionellen Hochburg der Industriefischerei in Europa.
Das französische Unternehmen SAPMER SA kontrolliert die zwei übrigen Schiffe der seychellischen Flotte. Zudem besitzt es drei Schiffe, die die gesamte Ringwadenflotte von Mauritius, einer weiteren kleinen Inselnation im Westindischen Ozean, ausmachen.
Die Albacora Group, der vier Fischereifahrzeuge in der Seychellen-Flotte gehören und deren Jahreseinkommen mehr als 100 Millionen US-Dollar beträgt, ist ein Hauptakteur in der Thunfischerei. Die Gruppe besitzt Fischereifahrzeuge, Konservenfabriken und Thunfischvertriebsgesellschaften. Sie startete als Familienunternehmen in den frühen 1970er-Jahren in Spanien und operiert jetzt im Atlantik, Pazifik sowie im Indischen Ozean, in dem sie sowohl EU-beflaggte als auch seychellisch beflaggte Schiffe hat.
Die Nutzung von Billigflaggen ist eine weitverbreitete, wenngleich umstrittene Praxis. Sie ermöglicht es Schiffseignern, Steuern zu sparen, arbeitsrechtliche Bestimmungen zu umgehen sowie härtere Überwachungsmaßnahmen und in ihrem Land möglicherweise existierende, zunehmend strengere Umweltkontrollen zu vermeiden.
Gemäß dem letztes Jahr von der EU und den Seychellen unterzeichneten Abkommen wurden erstmals rund 175.000 Euro jährlich bereitgestellt, die EU-Eigner von Ringwadenfangschiffen in einen Umweltfonds zahlen müssen. Des Weiteren sollen unter diesem Abkommen schädliche Fischsammler (FADs, Fish Aggregating Devices), zur Überfischung der Gelbflossenthunbestände beitragende Fischfanghilfen, stufenweise abgeschafft werden. Allerdings gelten die Bestimmungen des Abkommens nicht für die Playa de Anzoras und die 12 weiteren seychellisch beflaggten Schiffe, obwohl die wirtschaftlichen Eigner, die letztendlich von den Schiffen profitieren, Europäer sind.
Während EU-Unterlagen das spanische Unternehmen Pevasa als Eigner der Playa de Anzoras ausweisen, ist dies laut IOTC-Dokumenten die Sea Breeze Ventures Limited mit Sitz im Karibikstaat Belize. Die Firma hat nach dem D&B Business Directory einen Mitarbeiter. Zwar bleibt die Verbindung zwischen Pevasa und Sea Breeze im Unklaren, jedoch trägt sie die Kennzeichen eines in der Fischereiindustrie üblichen Arrangements, bei dem ein größeres etabliertes Unternehmen als wirtschaftlicher Eigner zu Geschäftszwecken eine oder mehrere Firmen in einem Steuerparadies als nominelle Inhaber seiner gesamten oder eines Teils seiner Flotte gründet.
Alle seychellisch beflaggten Schiffe mit spanischem Hintergrund haben anscheinend nominelle Inhaber in Gerichtsbarkeiten wie Belize, die regelmäßig in der EU-Liste der Steuerparadiese auftauchen. Mongabays Bitte um Stellungnahme hierzu wurde weder von Pevasa noch von den anderen europäischen Unternehmen, die seychellisch beflaggte Ringwadenfangschiffe besitzen, beantwortet.
Die Flagge eines Schiffs bestimmt das für das Fahrzeug verantwortliche Land und, im Fall von Gelbflossenthun, die Quote des Landes, die der Schiffseigner ausnutzen kann. Indem ein nomineller Inhaber mit Sitz in einem Steuerparadies unter der Flagge eines kleinen Inselstaats fährt, kann sein Schiff den Gewinn maximieren und Kontrollen und Regulierungen minimieren. „Die Nutzung von Billigflaggen ist ein Schlupfloch,“ erklärte Vanya Vulperhorst, Kampagnenleiterin im europäischen Büro der NGO Oceana, die ihren Hauptsitz in Washington, D. C., hat. „Auf diese Weise können EU-Bestimmungen umgangen werden. Im Hinblick auf die Bemühungen, die Fischerei nachhaltiger zu gestalten, wurde hier wirklich etwas übersehen“, fügt sie hinzu.
Gelbflossenthunfisch im roten Bereich
Die Fischerei auf Gelbflossenthunfisch im Indischen Ozean ist eine der einträglichsten der Welt, allerdings ist die Art eine der am stärksten gefährdeten. Der Bestand könnte bereits 2026 zusammenbrechen, wie eine von der IOTC beauftragte Untersuchung ergab. Die Organisation zur Bewirtschaftung der Thunfischbestände hat 31 Mitglieder, sowohl regionale wie die Seychellen als auch andere wie die EU, China und Japan, die mit ihren Hochseefischereiflotten dort aktiv sind.
2016 lancierte die IOTC einen Wiederaufbauplan für den Gelbflossenthunfisch, unter dem die Mitgliedsstaaten ihre Ringwadenfänge um 15 % gegenüber den Fängen aus dem Jahr 2014 senken sollten. Ein IOTC-Bericht aus dem Jahr 2021 zeigt jedoch, dass die EU-beflaggten Ringwadenfangschiffe in den Jahren 2017 und 2018, also nach Umsetzung des Wiederaufbauplans, Gelbflossenthunfisch überfischten. „Jeder hat die gleiche Verantwortung zur Einhaltung seiner Fangquoten“, sagt Glen Holmes, Fischereiexperte von The Pew Charitable Trusts. „Doch als gut ausgestatteter Länderblock hat die EU eine moralische Verpflichtung, den höchsten Standard zu setzen.“
Die seychellisch beflaggte Ringwadenflotte fing 2017 und 2018 ebenfalls mehr, als die Quote erlaubte. Ihr UN-Sonderstatus als kleines Inselentwicklungsland ermöglichte es den Seychellen, selbst zu entscheiden, welches Referenzjahr für die Zielquote gelten soll. Und so nahm man nicht das Jahr 2014, als die Fangmenge nur 23.463 Tonnen betrug, sondern 2015, als sich der Fang auf 39.072 Tonnen belief. Daraus ergab sich eine weitaus höhere Zielquote unter dem Wiederaufbauplan – ein weiterer Vorteil für die seychellisch beflaggten Fischereifahrzeuge in europäischem Besitz.
Mauritius ist ebenfalls als kleines Inselentwicklungsland anerkannt und wählte als Referenzjahr 2018, als der Fang 11.322 Tonnen betrug, und nicht 2014, als die mauritische Flotte nur 4.844 Tonnen Gelbflossenthunfisch fing. Folglich darf die Ringwadenfangflotte der Insel heute rund 10.500 Tonnen Thunfisch fangen, mehr als doppelt so viel wie im Jahr 2014.
Christopher O’Brien, Geschäftsführer der IOTC, erklärte gegenüber Mongabay, dass eine Flotte bei Überschreitung der Fangquote für das Folgejahr eine niedrigere Fangquote erhalte, dass es aber keine weiteren Strafen gebe.
Experten halten die derzeitigen Fangreduzierungen ohnehin nicht für ausreichend, um den Bestand zu erhalten. „Mit dem 2016 von der IOTC eingeführten Wiederaufbauplan für den Bestand des Gelbflossenthunfischs ist es bislang nicht gelungen, die Fänge im Vergleich zum Referenzjahr auch nur im Geringsten zu reduzieren, geschweige denn um 25 Prozent, die nötig wären, um den Bestand vor dem Zusammenbruch zu bewahren“, heißt es in einem Bericht von Jess Rattle von der Blue Marine Foundation aus dem Jahr 2020.
Da der Wiederaufbauplan scheiterte, rief die IOTC eine Reihe von Sondersitzungen ein, um einen Konsens über die Maßnahmen zur Eindämmung der Überfischung zu finden. Bei einem Treffen im März schlug die EU eine geringfügige Erhöhung der Fangreduzierung für Ringwaden von 15 % auf 18 % vor. Die Malediven dagegen, eine weitere kleine Inselnation, fordern höhere Reduzierungen, nämlich um 35 % für Ringwadenfangschiffe aus Industriestaaten und 28 % für solche aus Entwicklungsländern. „Der Vorschlag der Europäischen Union ist nicht besonders ambitioniert“, sagt Holmes. „Er sieht weniger Veränderungen vor als der von den Malediven. Der maledivische Vorschlag würde den Gesamtfang höchstwahrscheinlich auf ein Niveau senken, auf dem die Überfischung reduziert oder verhindert würde.“
Julio Morón Ayala, Hauptgeschäftsführer der die spanische industrielle Thunfischerei vertretenden OPAGAC, darunter auch Albacora, erklärte gegenüber Mongabay in einer Antwort-E-Mail, dass nach dem Willen seiner Organisation auch die Flotten der derzeit von den Reduzierungen ausgenommenen IOTC-Mitgliedsstaaten Fangreduzierungen auferlegt bekommen sollen. „Die IOTC-Regulierung sieht seit 2016 für Ringwadenfanggerät eine höhere Reduzierung (15 %) vor als für anderes Fanggerät (10–5 %) und schließt fast alle Anrainerstaaten aus“, so Ayala. „Der EU wurde und wird weiterhin die höchste Reduzierung beim Gelbflossenthunfischfang auferlegt, doch da der Fang mit anderen Fangtechniken angestiegen ist, wird die erreichte Senkung letztendlich wieder aufgehoben.“
Fast alle der derzeit von den Reduzierungen ausgenommenen Länder sind Entwicklungsländer, die an den Indischen Ozean angrenzen, wie etwa Jemen und Madagaskar, die zu den ärmsten Ländern der Welt gehören. Die meisten besitzen gar keine Industrieflotten, sondern nur in ihrer AWZ operierende Kleinfischereien, die größtenteils die Einheimischen beliefern. Ihr jeweiliger Anteil am Gelbflossenthunfischfang kommt nicht einmal in die Nähe des EU-Fangs. Allerdings hat der kombinierte Fang dieser rund 12 Länder in den letzten Jahren zugenommen. Experten warnen, dass auch die illegale Fischerei die Bestände in der Region dezimiert, wenn keine ordentlichen Kontrollen durchgeführt werden.
Grauzonen in der Regulierung
Auch bei einer Senkung der Quoten bleibt es schwer, deren Einhaltung zu kontrollieren. Die IOTC verlässt sich beim Nachverfolgen der Fänge auf die Selbstauskünfte der Mitgliedsstaaten, sodass Verstöße nur schwer in unabhängiger Weise festgestellt werden können. Eine Diskrepanz in Spaniens Fangberichten kam 2018 erst ans Licht, als die Blue Marine Foundation darauf aufmerksam machte. Die IOTC bestätigte später, dass Spanien seine Fangmenge von Gelbflossenthunfisch in dem Jahr um 30 % zu niedrig angegeben hatte.
Es darf bezweifelt werden, dass ein kleiner Küstenstaat wie die Seychellen, dessen gesamte Staatseinnahmen bei rund 400 Millionen US-Dollar liegen, Multimillionen Dollar schwere Unternehmen mit wirtschaftlichen Eignern im Ausland kontrollieren kann, wie die Beteiligung der seychellischen Flotte an der Überfischung des Gelbflossenthunfischs nahelegt. Einem IOTC-Bericht zufolge kennzeichnen schlechte Schulung und mangelnde Unterstützung das Beobachterprogramm des Inselstaats, bei dem Mitarbeiter an Bord der Schiffe gehen, um Daten zu erheben und die Praktiken zu überwachen. Das Programm wird zum Teil von der Industrie finanziert.
„Die Betreiber können selbst entscheiden, wo sie ihre Schiffe registrieren“, erklärt das für die Seychellen und Mauritius zuständige EU-Büro in einer Stellungnahme auf Mongabays Anfrage über den Einsatz von Billigflaggen. Das Büro befasst sich erst damit, wenn Schiffe ihre Flagge regelmäßig wechselten, um „Verpflichtungen zu entkommen oder ihre Quote zu umgehen“. Da viele der Schiffe bereits seit etlichen Jahren unter seychellischer Flagge fahren, handele es sich hier nicht um Missbrauch, wie es weiter heißt.
„Die Seychellen müssen ihre Flaggenstaatverantwortung gegenüber ihren Flotten ausüben und über die Einhaltung der Vorgaben an die für ihre AWZ zuständigen RFMOs (Regionale Fischerei-Management-Organisationen) berichten“, heißt es weiter. Mongabays wiederholte Bitte um Stellungnahme blieb von der Fischereibehörde und dem Fischereiministerium der Seychellen beantwortet.
Die Schiffseigner sehen die Arrangements als Investitionen und verweisen auf die Vorteile für die Küstenstaaten. „Unsere Aktivitäten begannen bereits in den 1960er-Jahren, und so investierten einige Unternehmen nicht nur mit ihrer Flotte in die Küstenstaaten, sondern auch mit Thunfischverarbeitungsanlagen im Inland“, erklärte Ayala von der OPAGAC in seiner E-Mail. „Die seit 1987 im Indischen Ozean aktive EU-Flotte baute die Thunfischindustrie auf den Seychellen, auf Mauritius, Madagaskar und in Kenia auf, mit mehr als 15.000 von der Thunfischerei abhängigen direkten Arbeitsplätzen.“ Allerdings sind Arbeiter aus dem Ausland hier überrepräsentiert. Von den rund 2.000 Angestellten bei Indian Ocean Tuna Ltd. (IOT), der größten Konservenfabrik auf den Seychellen, sind zum Beispiel fast 70 % Ausländer. Das Unternehmen Thai Union Group, dem die Konservenfabrik gehört, beliefert einige der führenden europäischen Fisch- und Meeresfrüchtemarken, darunter John West, Petit Navire, Parmentier und Mareblu.
Unterm Radar: Fischfang in ausländischen Gewässern
Nicht nur die Besitzverhältnisse der seychellischen Ringwadenfangschiffe sind undurchsichtig, oft operieren diese unterm Radar. Eine jüngst durchgeführte Studie zeigte, dass ein Großteil der Thunfisch-Ringwadenfänger unter spanischer Kontrolle internationale Gesetze verletzte, indem sie ihre Positionen nicht kontinuierlich über das Automatische Identifikationssystem (AIS) übertrugen.
Mit AIS werden Schiffe anhand ihrer spezifischen alphanumerischen Signatur nachverfolgt, das System erlaubt es Seeleuten, die Positionen anderer Schiffe auszumachen, und es hilft bei der Navigation. Für die Küstenstaaten spielt AIS aber auch bei der Überwachung der Schiffe eine wesentliche Rolle, um sicherzustellen, dass diese nicht in Schutzzonen eindringen oder dort fischen, wo sie es nicht dürfen.
Bei der Studie der britischen NGO OceanMind und der Blue Marine Foundation wurde zwischen 2017 und 2019 an 850 Tagen die Verwendung von AIS auf Thunfisch-Ringwadenfängern im Westindischen Ozean überprüft. Es zeigte sich, dass spanisch und seychellisch beflaggte Schiffe niedrige AIS-Übertragungsraten aufwiesen.
Die Playa de Anzoras übertrug ihre Position in weniger als 40 % von den 850 Tagen. Und damit war sie immer noch besser als die meisten anderen. Die zu Atunsa gehörende Artza übertrug ihre Positionen gar nicht. Bei den neun übrigen Schiffen unter spanischer Kontrolle rangierte die Zahl zwischen 3 % und 33 %. Ähnliche Zahlen ergaben sich bei den im Bericht berücksichtigten 14 Schiffen unter spanischer Flagge.
Subventionen für nicht nachhaltige Fischerei
Weil die wirtschaftlichen Eigner dieser Schiffe in Europa sitzen, können sie außerdem von Fischereisubventionen der EU profitieren. Zwischen 2000 und 2010 erhielt die weltweit tätige spanische Fischereiindustrie Subventionen in Höhe von mehr als 8 Milliarden US-Dollar. Die Albacora Group hat dabei nicht nur von EU-Fördermitteln profitiert, sondern zusätzlich auch noch von spanischen.
Kritikern zufolge erhalten solche staatlichen Subventionen nicht-wirtschaftlichen Fischfang am Leben und fördern Überfischung.
Während die EU einerseits die Fischerei seit Jahren subventioniert, versucht sie andererseits die Fischereien, die zu Überfischung führen, zu beseitigen. Berichte, wonach die EU angeblich schädliche Fischereisubventionen als Teil der Europäischen Meeres- und Fischereifonds wiedereinführen will, sorgen für Aufregung.
„Zwischen 2021 und 2027 werden rund sieben Milliarden Euro öffentlicher Gelder in die Meereswirtschaft fließen. Unzählige Studien und Berichte zeigen jedoch, dass das meiste davon verwendet wird, um Überfischung und den Untergang der marinen Natur zu fördern“, schrieb eine Gruppe von mehr als 100 Wissenschaftlern in einem im November 2020 veröffentlichten offenen Brief.
Auch auf den Seychellen zeigt man sich besorgt, da sich die EU-Aktivitäten stark auf den Fischereisektor der Insel auswirken. „Für uns im Westindischen Ozean, aus dem 40 Prozent des Thunfischfangs der EU stammt, könnte dies das Ende unserer Thunfischbestände bedeuten“, erklärte Shah örtlichen Nachrichtenagenturen.
In einem Interview mit Mongabay im März äußerte er, dass der Ruf der EU wegen der Aktionen zweier Länder „beschmutzt“ sei: Spanien und Frankreich. „Es sind ja noch nicht einmal zwei Länder, sondern die Privatunternehmen in zwei EU-Ländern, die von der EU unterstützt, verteidigt und bezahlt werden“, sagte er.
Thunfisch und Gewinne sind weg
In der Thunfischerei im Indischen Ozean herrschen europäische Interessen nicht nur beim Angebot vor, sondern auch bei der Nachfrage. Nahezu der gesamte verarbeitete Thunfisch von den Seychellen, Mauritius und Madagaskar wird exportiert und ist größtenteils für die EU bestimmt. Alle Konservenfabriken in diesen Ländern werden von den europäischen industriellen Ringwadenflotten beliefert. Die vornehmlich europäischen Schiffseigner bekommen so für ihre Fänge einen „(künstlich) verknappten Markt“, wie ein Bericht des EU-Thinktanks IDDRI von 2017 zeigt.
Diese Thunfischexporte haben unter Wirtschaftspartnerschaftsabkommen zollfreien Zugang zu europäischen Märkten, was ihnen einen Zolltarif in Höhe von 24 % erspart. „Nach den zu den Abkommen gehörenden Ursprungsregeln dürfen die Konservenfabriken in den Seychellen, Mauritius und Madagaskar nur Fisch verarbeiten, der entweder von ihren eigenen Flotten oder von denen der EU gefangen wurde“, erklärt Liam Campling, Welthandelsexperte für Thunfischereien von der Queen Mary University in London. „Die Ursprungsregeln sind eine massive Unterstützung für die Hochseefischereiflotte der EU, weil sie dadurch einen (künstlich) verknappten Markt hat.“ Da fast der gesamte Thunfisch von Schiffen unter EU-Kontrolle stammt, ist unklar, wie die drei Länder von diesen Steuererleichterungen profitieren.
„Wenn die Europäer sich ernsthaft des Gelbflossenthunproblems annehmen wollten, könnten sie es auch“, erklärt Campling. „Doch man will die wirtschaftlichen Konsequenzen nicht tragen.“
In gewisser Weise verkörpert die Indian Ocean Tuna Ltd. (IOT), die größte Konservenfabrik auf den Seychellen, die ungleiche Beziehung zwischen einigen Ländern des Indischen Ozeans und der EU im Hinblick auf Thunfisch. Die IOT gehört zu Thai Union/M.W. Brands, einem führenden Konserventhunfischlieferanten mit Sitz in Thailand. Sie erwirbt ihren Thunfisch nahezu ausschließlich von Schiffen im Besitz von EU-Eignern, sendet den Thunfisch zollfrei zurück in die EU und beschäftigt fast nur ausländische Arbeitnehmer*innen.
Jedes Jahr verlassen Thunfisch und das damit verdiente Geld die Seychellen, und es ist fraglich, ob die Gewinne des Landes die Verluste wettmachen. Sicher ist jedenfalls, dass die Gewinne selbst in Gefahr sind. „Wenn es zum Schlimmsten kommt und die Bestände auf ein Niveau sinken, auf dem wir sie nicht mehr befischen können, könnte die EU-Ringwadenflotte zum Fischfang höchst wahrscheinlich in einen anderen Ozean weiterziehen“, erklärt Rattle von der Blue Marine Foundation, „wohingegen die zurückgebliebenen Küstenstaaten nirgendwo anders hinkönnten und schlicht und einfach ohne Fisch dastünden.“ Auch für Shah sind es nicht nur die unmittelbaren wirtschaftlichen Gewinne, die auf dem Spiel stehen. „Finden Sie es richtig, unsere natürlichen Ressourcen, egal wie viel Geld man damit machen kann, zu zerstören?“, fragt er. „Und welche Möglichkeiten haben die Seycheller in Zukunft?“
Übersetzung: Deutsche Stiftung Meeresschutz