- In einem kürzlich in der Fachzeitschrift Nature veröffentlichten Gutachten stellen mehrere Ökologen die jüngsten Bemühungen in Frage, Wildnisgebiete und die weltweite Unberührtheit zu definieren, um Schutzziele festzulegen.
- Sie argumentieren, dass es besser wäre, einen breiten Konsens zu finden, der die Perspektiven lokaler und indigener Gemeinschaften einschließt.
- Der Leiter eines Teams, das kürzlich die verbleibende Wildnis auf Land und im Ozean feststellte, sagte jedoch, dass die Identifizierung dieser Gebiete und die Entwicklung neuer Ziele, die ihre Erhaltung einbeziehen, von entscheidender Bedeutung ist, da die derzeitigen internationalen Abkommen ihren Schutz nicht priorisieren.
Ökosysteme in ihrem natürlichen Zustand verschwinden schnell auf der ganzen Welt. Darin sind sich die meisten Wissenschaftler einig. Es wird jedoch heiß diskutiert, wie man diesen Verluste durch Naturschutzmaßnahmen entgegenwirken kann. Viele glauben, dass man sich auf die Identifizierung dessen konzentrieren sollte, was indigene Gemeinschaften, oft als überlegene Naturwächter anerkannt, als schützenswert ansehen. Dieser lokale Fokus, so die Argumentation, sollte die Erstellung neuer Karten, internationaler Ziele und Definitionen für Begriffe wie „Wildnis“ und „Unversehrtheit“ ersetzen.
„Warum brauchen wir eine andere Definition?“, fragte Douglas Sheil, Forstökologe an der Norwegischen Universität für Biowissenschaften und leitender Mitarbeiter des Zentrums für internationale Waldforschung (CIFOR) in Bogor, Indonesien.
In einem Gutachten für die Fachzeitschrift Nature vom 23. Januar, argumentieren Sheil und seine Kollegen, dass man sich über den Kampf gegen den Klimawandel, die Förderung einer nachhaltigen wirtschaftlichen Entwicklung sowie den Schutz der Überreste der weltweiten Wildnis einig sei. Bestehende „Rahmen“, wie die auf der Tagung der Internationalen Biodiversitätskonvention 2010 verabschiedeten Aichi-Ziele für Biodiversität tragen bereits dazu bei, vorrangige Schutzgebiete zu ermitteln.
„Mehrere parallele Ziele macht diese Bemühungen komplizierter“, schreiben die Forscher in einem verwandten Blogbeitrag auf CIFOR’s Forests News.
Sie wiesen auf mehrere kürzlich unternommene Bemühungen hin, sich auf kritische Orte des Naturschutzes zu konzentrieren. 2017 sammelte ein Team von Fernerkundungswissenschaftlern an der University of Maryland Informationen zu Blöcken von mindestens 500 Quadratkilometern Waldfläche in Gebieten, die man „intakte Waldlandschaften“ nannte. Sie fanden heraus, dass weltweit sieben Prozent dieser intakten Landschaften zwischen 2000 und 2013 verschwunden waren. Unter Leitung von James Watson, Ökologe der University of Queensland, kartierte 2018 die Wildlife Conservation Society (WCS) zusammen mit einer Gruppe von Forschern die weltweiten Wildnisgebiete, auf die der „menschlichen Druck“ in Blöcken von 10.000 Quadratkilometern oder mehr nur wenig oder gar keine Auswirkungen zeigten. Ihre Forschung zeigte, dass nur 23 Prozent der Erdoberfläche und 13 Prozent des Ozeans unberührt blieben.
Sheil stellte die Vorteile des harten Kurses in Frage, die diese Bestrebungen hervorbrachten, und die Auswirkungen des Ausschlusses bestimmter Orte.
„Was bedeutet es für einen Ort, von der Karte ausgeschlossen zu werden?“, fragte Sheil in einer E-Mail an Mongabay.
Er stellte fest, dass es trotz der einzigartigen Arten in den Foja-Bergen von Neuguinea und den Torfgebieten der Cuvette Centrale-Region im afrikanischen Kongobecken, keine der beiden Regionen auf Watsons Karten geschafft hat, da sie nicht die 10.000 Quadratkilometer-Schwelle erreichen.
„Es wirkt etwas zu dumm, finde ich“, sagte Sheil und fügte hinzu, dass Verantwortliche das Fehlen dieser Orte als Zeichen dafür deuten könnten, dort keinen Schutz zu rechtfertigen.
Watson stimmte Sheil zu.
„Sie haben in gewisser Weise recht“, sagte er. „Es gibt keine Karte, die in Bezug auf den Erhalt oder die Unversehrtheit der Wildnis korrekt ist.“
Watson fügte jedoch hinzu, dass die Karten nicht dazu gedacht waren, die einzigen Orte zu finden, die geschützt werden sollten. Er stimme nicht zu, dass die vorhandenen Ziele und Karten ausreichen, um den Schutz der Reste der Biodiversitätsräume und funktionierenden Ökosysteme der Welt zu bestimmen.
„In keiner Konvention, in keinem internationalen Ziel priorisieren wir die Unversehrtheit oder den Schutz der Wildnis”, sagte Watson. „Das ist ein Zerrbild.“
Es sei entscheidend, Landkarten zu haben, die solche Bereiche genau bestimmen, da es wichtig und dringend sei, sie vor der Entwicklung zu schützen.
„Sobald die erste Straße verlegt wird, sobald die erste blutige Kettensäge zu sägen beginnt, sind diese Orte verloren. Sie verschwinden”, sagte Watson. „Das zeigt uns die Wissenschaft. Das Zulassen einer kleinen Menge Erosion sorgt für eine komplette Zerstörung.“
Aus Sicht von Sheil umfassen die Art und Weise, in der diese Ziele festgelegt werden, und die Werte, die in diesen Karten wiedergegeben werden, keine lokalen Perspektiven. Sie beziehen sich auf die Konservierung aus der Kolonialzeit, die oft zum Scheitern verurteilt ist. Die daraus resultierenden Schutzbemühungen werden auferlegt, „als ob wir in einer Welt leben, in der zentralisierte Naturschützer globale Kaiser sind und Urteile fällen, die von ihren Schergen umgesetzt werden.“
„Eine solche Ungerechtigkeit verursacht Entfremdung, Misstrauen sowie Konflikte und erschweren auch Naturschutzmaßnahmen“, sagte Sheil. „Wir brauchen Maßnahmen, die vor Ort auf die lokalen Bedürfnisse und Bedingungen zugeschnitten sind — mehr von unten nach oben und weniger von oben nach unten.“
Watson sagte, diese Bedenken machten es wichtig, klar zu definieren, was „Wildnis“ bedeutet.
„Das Wort schließt Menschen nicht mit ein“, sagte er. Ihre Analysen unterstreichen jedoch die Bedeutung der Anerkennung der Eigentumsrechte von Einheimischen und indigenen Menschen.
Watson ist auch der Meinung, dass es von entscheidender Bedeutung ist, einen weitgehend breiten Konsens über die Orte zu erreichen, die geschützt werden müssen, und den einzelnen Ländern zu gestatten, die Schutzstrategie festzulegen, „die am besten zu ihren Leuten passt“. Aber die Nichtdarstellung, was von den Ökosystemen der Welt in ihrem natürlichen Zustand übrig geblieben ist — in welcher Art auch immer sie definiert werden — brigt das Risiko, sie für immer zu verlieren, sagte er.
„Diese letzten intakten Orte sind von so großer Bedeutung. Nicht nur, um Arten vor dem Aussterben zu bewahren, sondern auch um ökologische Gemeinschaften zu sichern, um gemeinsame Arten zu pflegen und sicherzustellen, dass Ökosysteme auf eine Weise funktionieren, die dem Klimawandel standhalten“, sagte Watson.
„Dies sind Dinge, die momentan nicht angestrebt werden. Wir navigieren uns in eine Krise des Aussterbens, wenn wir uns jetzt keine Ziele setzen.“
Bannerbild eines Mahi-Mahi (Coryphaena Hippurus) von Rhett A. Butler/Mongabay..
John Cannon ist ein Mongabay-Schriftsteller, der im Nahen Osten lebt. Besuchen Sie ihn auf Twitter: @johnccannon
Anmerkung des Herausgebers: Mongabay hat eine dauerhafte Partnerschaft mit CIFOR. Douglas Sheil ist auch an der Norwegischen Universität für Biowissenschaften (NMBU) in Ås, Norwegen, tätig.
Quellen
Jones, K. R., Klein, C. J., Halpern, B. S., Venter, O., Grantham, H., Kuempel, C. D., … & Watson, J. E. (2018). The location and protection status of Earth’s diminishing marine wilderness. Current Biology, 28(15), 2506-2512.
Potapov, P., Hansen, M. C., Laestadius, L., Turubanova, S., Yaroshenko, A., Thies, C., … Esipova, E. (2017). The last frontiers of wilderness: Tracking loss of intact forest landscapes from 2000 to 2013. Science Advances, 3(1), e1600821.
Sheil, D., Cerutti, P. O., & Martius, C. (2019). Call of the wild: define it or lose it. Nature, 565(7740).
Watson, J. E., Evans, T., Venter, O., Williams, B., Tulloch, A., Stewart, C., … & McAlpine, C. (2018). The exceptional value of intact forest ecosystems. Nature Ecology & Evolution, 1.
Watson, J. E., Venter, O., Lee, J., Jones, K. R., Robinson, J. G., Possingham, H. P., & Allan, J. R. (2018). Protect the last of the wild. Nature, 563, 27-30.