- Die Strände in Nordzypern weisen die weltweit zweithöchste Menge an Mikroplastik unter den untersuchten Stränden auf. Dies hat eine neue Studie ergeben.
- Die Strände von Zypern sind wichtige Nistplätze für Grüne See- und Unechte Karettschildkröten. Ein hoher Anteil von Mikroplastik in ihren Nistplätzen könnte eine erhebliche Bedrohung für den Schlüpferfolg der Schildkröten darstellen, so die Forscher.
- Das derzeitige Ausmaß der Mikroplastikkontamination wird wahrscheinlich unterschätzt, warnen Forscher.
Die Mittelmeerinsel Zypern ist kein Ort, an dem man normalerweise Rekordmengen an Abfall erwarten würde. Der mythische Geburtsort von Aphrodite, der antiken griechischen Liebesgöttin, weckt Bilder weißer Sandstrände und eines schimmernd blaues Meeres.
Eine neue Studie sowie viele Grabungen haben jedoch ergeben, dass Strände in Nordzypern die zweithöchste Menge an Mikroplastik unter den weltweit untersuchten Stränden aufweisen. Nur an einem anderen Strand im südchinesischen Guangdong wurden laut Angaben der Forscher höhere Mikroplastikwerte gemessen.
Die von den Forschern untersuchten Strände Zyperns sind wichtige Brutplätze für zwei Arten von Schildkröten: Die Grüne Seeschildkröte (Chelonia mydas) und die Unechte Karettschildkröten (Caretta caretta). Beide Arten sind bedroht, und ihre Abhängigkeit von den Stränden in Zypern macht das dortige Mikroplastik besonders gefährlich für die Tiere. Die Aufnahme der winzigen Plastikpartikel ist eine offensichtliche Bedrohung für die nistenden Schildkröten und ihre Jungtiere. Der Kunststoff kann auch die Temperatur des Sandes erhöhen und den Schlüpferfolg beeinträchtigen.
„Obwohl uns klar war, dass die Situation schlecht war und sich verschlechtern würde, waren wir von der Tatsache erschüttert, dass nur ein Ort… schlimmer als die Strände in Zypern betroffen war“, teilte Brendan Godley Mongabay in einer E-Mail mit. Er ist Professor für Naturschutzwissenschaften an der University of Exeter, Großbritannien, und Mitautor der Studie, die im Marine Pollution Bulletin veröffentlicht wurde.
Grabungen im heißen Sand
Forscher sammelten an 17 Stränden im Norden der Insel, die von Schildkröten als Nistplätze genutzten werden, mehr als 1.000 Sedimentproben, um den Mikroplastikgehalt zu messen. Godley beschrieb die Arbeit als extrem anstengend und die anschließende Vorbereitung und Analyse der Proben im Labor als mühsam.
Die Forscher fanden an allen 17 untersuchten Stränden einen sehr hohen Anteil an Mikroplastik. Sie sammelten durchschnittlich 130.000 Kunststoffteile pro Kubikmeter auf der Sandoberfläche. In der Sandsäule fanden sie in Tiefen von bis zu 60 Zentimetern durchschnittlich 5.300 Partikel pro Kubikmeter.
Der Grund für eine derart hohe Anhäufung von Mikroplastik an Stränden ist, laut der Hauptautorin Emily Duncanm – eine promovierte Absolventin in Ökologie und Naturschutz der Universität von Exeter – auf die Meeresströmungen zurückzuführen, die Kunststoff ans Ufer spülen. Bei den Stränden in Nordzypern stammten die meisten Mikroplastiken aus der Nähe.
„Unsere Analyse zeigt, dass das meiste davon aus dem östlichen Mittelmeerraum stammt. Dies gilt auch für die großen Plastikartikel“, sagte Godley.
Mikroplastik, definiert als Bruchstücke mit einem Durchmesser von weniger als 5 Millimeter, dringt auf zwei Arten in das Wasser ein. Die Erste ist der direkte Weg über Industrieabfälle in Form von „Nurdles“, den Pellets, die bei der Kunststoffherstellung verwendet werden; über Mikrokügelchen oder in Industrieunfällen. Die zweite Art besteht indirekt darin, dass größere Kunststoffteile zerfallen und zersplittern.
Die meisten Forscher fanden auf Zypern eine Kombination aus direkten und indirekten Quellen.
„Die Mehrheit der Partikel bestand aus „Nurdeln“ aus der Vorproduktion und kleinen Plastikfragmenten“, sagte Godley. „Erstere gehen während des Transports oder durch schlechte Abfallbewirtschaftung verloren, Letztere werden von den Millionen großer Teile da draußen abgebaut. Ich denke, Letzeres ist allerdings nur die Spitze des Eisbergs.“
Das Junggesellinen-Dilemma
Strandlebensräume sind wichtige Brutplätze für Meeresschildkröten, die ihre Eier legen und brüten müssen – eine kritische Phase im Lebenszyklus der Tierart. Eine ausreichend hohe Konzentration an Mikroplastik in Nistplätzen könnte eine erhebliche Bedrohung für den Schlüpferfolg der Schildkröten sein, da die Temperatur der Nistplätze ansteigt, sagen die Forscher.
Kunststoff, insbesondere dunkle Teile, erwärmen sich schneller als Sand, wenn sie hohen Temperaturen ausgesetzt werden, wodurch die Nesttemperaturen insgesamt ansteigen können. Die Temperatur bestimmt das Geschlecht der Schildkröten: Eine höhere Nesttemperatur führt dazu, dass mehr Weibchen geboren werden, ein Phänomen, das Mariana Fuentes, eine Meeresbiologin an der Florida State University, die nicht an der Zypern-Studie beteiligt war, das „Junggesellinen-Dilemma“ nennt.
Ein solches verdrehtes Geschlechterverhältnis wurde bereits in Folge der steigenden Temperatur des Klimawandels in Nordaustralien beobachtet. Eine Studie, die Anfang dieses Jahres veröffentlicht wurde, untersuchte Grüne Schildkröten im nördlichen Great Barrier Reef, dem Ort der weltweit größten Populationen dieser Art. Die Forscher fanden heraus, dass dort 99 % der Grünen Schildkröten weiblich waren.
Die Anhäufung von Mikroplastik in Nistplätzen könnten das Problem weiter verschärfen, warnten Fuentes und ihre Kollegen kürzlich in einem Artikel im Magazin Current Conservation.
Es gibt noch keine unmittelbaren Beweise, die darauf schließen lassen, dass die Schildkröten in Nordzypern dieses verdrehte Geschlechterverhältnis erleben, sagte Godley.
„Im Moment glauben wir nicht, dass diese Plastikniveaus das Nest schädlich beeinflussen, aber wir müssen herausfinden, auf welchem Niveau sie einen Einfluss ausüben werden“, sagte er. „Wir haben kürzlich eine globale Prüfung dieser Niveaus an den Schildkröten-Niststränden mit Kollegen aus über dreißig Ländern durchgeführt und hoffen, im kommenden Jahr detaillierte experimentelle Ergebnisse zu erhalten.“
Mikroplastik immer noch nicht ausreichend untersucht
Obwohl umfangreiche Untersuchungen über die Auswirkungen größerer Kunststoffabfälle durchgeführt wurden, haben die Auswirkungen von Mikroplastik deutlich weniger Beachtung gefunden, so die Forscher.
Die mangelnde Gewichtung letzteres kann auf Hindernisse bei der Untersuchung der kleineren Kunststoffe zurückzuführen sein.
„Die größte Herausforderung ist die interdisziplinäre Natur jeder Mikroplastik-Frage“, sagte Irina Chubarenko, Forscherin für Mikroplastik am P.P. Shirshov Institute of Oceanology in Moskau, das an der Studie nicht beteiligt war.
„Um zu untersuchen, wie Mikroplastik das Leben im Meer beeinflusst, muss man verstehen, welche Zusätze, Weichmacher und Farbstoffe aus diesem austreten“, sagte sie. „Kurz gesagt, es sind Kenntnisse über die Chemie der Kunststoffe und die komplizierten Details des Produktionsprozesses erforderlich.“
Eine solche Aufgabe erfordert „neue interdisziplinäre Ansätze und Ideen“, sagte sie.
Trotz der Schwierigkeiten wird jedoch ein verstärkter Fokus auf die Verschmutzung durch Plastik – aller Sorten – immer wichtiger, und zwar nicht nur für Schildkröten und andere Meereslebewesen. Eine kürzlich veröffentlichte Studie fand im letzten Monat erstmals Mikroplastik im menschlichen Stuhlgang.
„Wenn wir die Plastikwelle in den Ozeanen nicht eindämmen, werden sich die Dinge erheblich verschlimmern und einige der potenziellen Einflussfaktoren werden sich tatsächlich zu einer bedeutenden Bedrohung für das Meeresleben, den Tourismus und die mögliche Nahrungsmittelversorgung entwickeln“, betonte Godley.
Die wahrscheinlich größte Sorge ist, dass das derzeitige Ausmaß des Problems unterschätzt wird.
„Das schiere Ausmaß des Kunststoffproblems und der Verschmutzungsgrad der Umwelt ist wahrscheinlich weitaus höher, als wir bereits vermuten“, sagte Duncan.
Quellen:
Duncan, E. M., Arrowsmith, J., Bain, C., Broderick, A. C., Lee, J., Metcalfe, K., … & Godley, B. J. (2018). The true depth of the Mediterranean plastic problem: Extreme microplastic pollution on marine turtle nesting beaches in Cyprus. Marine Pollution Bulletin, 136, 334-340.
Beckwith, V.K., Fuentes, M.M.P.B., (2018). Microplastic at nesting grounds used by the northern Gulf of Mexico loggerhead recovery unit. Marine Pollution Bulletin, 131, 32–37