- Eine neue Studie in PLOS ONE zeigt auf, dass die Biomasse der fliegenden Insekten in Deutschland in den letzten 27 Jahren um 76 Prozent zurück gegangen ist, während eine andere berichtet, dass die Vogelpopulation in gut einem Jahrzehnt um 15 Prozent geschrumpft ist.
- Obwohl der Grund für den Rückgang der Insektenbevölkerung bis jetzt noch nicht eindeutig untersucht worden ist, legt die PLOS ONE Studie nahe, dass die Intensivierung der Landwirtschaft, zum Beispiel die Verwendung von Pestiziden, möglicherweise zu diesem Rückgang beitragen könnte.
- Neonikotinoide Pflanzenschutzmittel wurden für das Dahinschwinden der Bienen verantwortlich gemacht und Studien bringen sie auch mit der Verminderung der Wasserinsektenpopulation in Verbindung. Viele fliegende Insekten haben aquatile Lebensphasen.
- Weitere Untersuchungen werden bereits durchgeführt, um die Gründe und Auswirkungen eines so starken Rückgangs der Biomasse fliegender Insekten besser zu verstehen.
Die Biomasse fliegender Insekten in Deutschland ist in den letzten 27 Jahren um 76 Prozent gefallen, so eine Studie die Mitte Oktober 2017 in PLOS ONE veröffentlicht wurde. Die Erkenntnisse haben Biologen auf der ganzen Welt verblüfft und Besorgnis darüber ausgelöst, welche möglicherweise katastrophalen ökologischen Folgen dies haben könnte, da eine andere Studie zeigt, dass das Land in gut einem Jahrzehnt 15 Prozent seiner Vogelpopulation verloren hat.
Die Studie wurde von Forschern an deutschen und niederländischen Instituten durchgeführt. Im Verlauf von fast 30 Jahren haben sie fliegende Insekten in geschützten Gebieten im westlichen Tiefland in Deutschland gesammelt, indem sie diese mit Zeltnetzen fingen, die in mit Alkohol gefüllten Flaschen führten. Anschließend maßen sie die Biomasse, im Grund genommen das kombinierte Gewicht der Insekten, um zu sehen wie es sich von Jahr zu Jahr verändert.
Insgesamt sammelten die Forscher 53,56 Kilogramm fliegender Insektenbiomasse von 1989 bis 2016. Das klingt vielleicht nicht nach viel, doch die Forscher sagen, dass dies Millionen individueller Insekten repräsentiert.
Die Ergebnisse zeigen einen dramatischen Rückgang der fliegenden Insekten. Insgesamt ist ihre Biomasse in den 27 Jahren, in denen die Proben genommen wurden, um 76 Prozent geschrumpft. Sammlungen aus dem Hochsommer zeigten sogar einen noch stärkeren Rückgang: 82 Prozent.
Während der Rückgang der Bienen und Schmetterlinge in vielen Regionen auf der ganzen Welt recht gut dokumentiert ist, so ist dies eine der wenigen Studien, die den allgemeinen Biomassentrend der fliegenden Insekten untersucht. Die Forscher sagen, dass ihre Ergebnisse auf ein Problem hindeuten, das größer ist als man bisher gedacht hatte.
“Unsere Ergebnisse zeigen, dass vor kurzem gemeldete Rückgänge in mehreren Taxa wie zum Beispiel Schmetterlinge, wilde Bienen und Motten, parallel zu einem schweren Verlust der gesamten Insektenbiomasse in der Luft verlaufen”, schreibt der Autor. “Dies lässt vermuten, dass es nicht die einzige verletzliche Spezies ist, sondern die fliegende Insektenpopulation im allgemeinen, die in den letzten Jahrzehnten dezimiert wurde.”
Die Studie wird von Forschern von außerhalb gelobt. Axel Ssymank ist ein Entomologe und Vorsitzender der Natura 2000 & Habitatrichtlinie, ein Programm das vom deutschen Bundesamt für Naturschutz geleitet wird (das wiederum dem Umweltministerium unterstellt ist). Er sagte, dass die Studie das Material das an den Probeorten gesammelt wurde effektiv dokumentiert und bewahrt, und, dass die Sammlungsmethoden voll standardisiert seien. Als Ergebnis zeige die Studie “keinerlei methodologische Voreingenommenheit und die Resultate “sind über jeden Zweifel erhaben und sehr gut dokumentiert.”
“Die Studie ist die umfassendste und detaillierteste Studie über den Verlust der Insektenbiomasse…auf mitteleuropäischer Ebene, wenn nicht sogar darüber hinaus.”, so Ssymank in seiner E-Mail an Mongabay.
Warum dieser große Rückgang?
Während die Insektenpopulationen auf der ganzen Welt abnehmen, so bleibt doch nach wie vor die Frage nach dem “Warum?”. Beweise lassen vermuten, dass es unzählige Gründe geben könnte: Pestizide die bei Nutzpflanzen auf der ganzen Welt verwendet werden wurden mit dem Verschwinden der Bienen in Verbindung gebracht, die globale Erwärmung scheint den Gemeinen Bärenspinner im Vereinigten Königreich zu gefährden, die Zerstörung von Grassteppen im Landesinneren der USA hat die Ockergelben Dickkopffalter in Richtung Auslöschung katapultiert.
Die PLOS ONE Studie hat zwei mögliche Auslöser genauer untersucht, um herauszufinden, wie groß ihre Auswirkungen auf die fliegenden Insekten in Deutschland sein könnten: Klimawandel und Habitatveränderungen. Man kam zu dem Ergebnis, dass diese zwei Einflüsse wahrscheinlich Auswirkungen auf die Insekten des Landes haben, sie jedoch alleine nicht so einen großen Rückgang verursachen könnten.
Es wurde zwar in der Studie nicht analysiert, doch die Forscher vermuten, dass “landwirtschaftliche Intensivierung”, wie zum Beispiel der Gebrauch von mehr Düngemitteln und Pestiziden, zu dem Rückgang beitragen könnte. Sie erklärten, dass alle Gebiete wo sie Insekten gesammelten hatten trotz ihres Schutzstatus von Getreideland umgeben waren. Sie sind der Meinung, dass diese geschützten Gebiete als “Erdfall oder sogar als ökologische Falle” dienen könnten, wo sich der landwirtschaftliche Abfluss sammeln und das Ökosystem vergiften könnte.
Wissenschaftler haben die Nutzung von Pestiziden schon lange mit dem Rückgang der Insekten in Verbindung gebracht. Dies ist eine vernünftige Annahme, da dies ihr tatsächlicher Zweck ist. Doch Forschungsergebnisse zeigen, dass Pestizide mehr Insekten abtöten, als nur die Insekten auf die man es abgesehen hatte. Eine 2008 durchgeführte Studie in den Archives of Environmental Contamination and Toxicology (dt.: Archive der Umweltverschmutzung und Toxikologie) zeigte zum Beispiel, dass ein niedriges, aber beständiges Level allgemein verwendeter Neonikotinoide im Wasserökosystem das Wachstum der sich im Wasser befindlichen wirbellosen Tiere verlangsamen oder sie sogar töten kann. Eine PLOS ONE Studie die 2013 veröffentlich wurde zeigte einen Zusammenhang zwischen Neonikotinoiden in niederländischen Gewässern und einem großen Abfall der Insektenfülle im Wasser auf.
Viele fliegende Insekten haben eine aquatische Phase. Libellen verbringen zum Beispiel den Großteil ihres Lebens unter Wasser – manche Spezies bis zu sechs oder sieben Jahre – bevor sie für ein paar Wochen in ihre wundervolle fliegende Form wechseln, um zu brüten. Während sie Zeit unter Wasser verbringen sind sie Schadstoffen ausgesetzt, die aus Feldern oder anderen menschlichen Entwicklungsgebieten durchsickern könnten. Wenn die Kontamination zu hoch ist leiden manche Bestände darunter. Einige Spezies sind so sensibel, dass sie von Wissenschaftlern als “Bioindikatoren” verwendet werden, um die Gesundheit der Gewässer zu messen. Libellenlarven scheinen auf die Wasserverschmutzung besonders sensibel zu reagieren.
Es scheint immer mehr Neonikotinoide in den Wassersystemen zu geben. Eine weitere Studie die 2014 in PLOS ONE veröffentlicht wurde zeigte, dass Neonikotinoide in den kanadischen Sumpfgebieten der Prairie Potholes weit verbreitet waren, wo üblicherweise Nutzpflanzen angebaut werden, die mit Neonikotinoiden behandelt werden. Die Forscher fanden sogar Spuren der Pestizide in Sumpfgebieten, die weit weg von den Feldern waren “was vermuten lässt, dass es leicht zu transportieren ist und, dass es Auswirkungen auf die Sumpfgebiete haben könnte, die von der landwirtschaftlichen Produktion isoliert sind.”, heißt es in der Studie.
Man vermutet auch, dass Neonikotinoide Erd- und Bauminsekten töten und, dass sie vielleicht mit dem berüchtigten Rückgang der Bienenbevölkerung zu tun haben. Sie sind eine der am meisten verwendeten Pestizidklassen weltweit. 2009 wurden ungefähr 95 Prozent der Getreide- und Rapsfelder in den USA mit Neonikotinoiden behandelt. Es wird berichtet, dass die Europäische Kommission ein rundum Verbot dieser Pestizide in allen EU Mitgliedsstaaten in Erwägung zieht.
Der Verfasser der deutschen Studie die im Oktober veröffentlicht wurde hat die Studiengebiete nicht direkt auf Spuren von Neonikotinoiden oder anderen Pestiziden untersucht, sagt jedoch, dass es entscheidend sei, den Grund für den Rückgang zu finden.
“Was auch die Kausalfaktoren für den Rückgang sind, sie haben einen viel verheerenderen Effekt auf die gesamte Insektenbiomasse als man es ursprünglich wahrgenommen hat.”, schreibt der Autor.
Ssymank unterstreicht außerdem, dass 76 Prozent des Rückgangs der fliegenden Insekten in geschützten Gebieten stattfindet und warnt, dass die Zahlen in den landwirtschaftlichen Gebieten Deutschlands “möglicherweise viel höher sein könnten”.
Nicht nur Insekten
Der Rückgang der Insektenbevölkerung in Deutschland ist nicht nur für Entomologen bedenklich. Fliegende Insekten sind für andere Wildtiere und ökologische Prozesse wichtig: Sie sind eine entscheidende Nahrungsquelle für viele Vogelspezies und zahlreiche Pflanzen sind von ihnen für die Bestäubung abhängig. Diese Effekte lassen sich also in Vorteile für die Menschheit umrechnen, da der totale wirtschaftliche Wert der Bestäubung auf rund 177 Milliarden Dollar in 2009 geschätzt wurde. Bauern berichten, dass es auf Grund des Rückgangs der Bienen schwieriger für sie wird, Nutzpflanzen zu züchten, die für die Bestäubung von den Bienen abhängig sind.
Wissenschaftler denken, dass die Vogelpopulation als Antwort auf den Rückgang der Insekten bereits gesunken ist. In einer vor kurzem veröffentlichten Studie von Regierungsdaten durch die deutsche Umweltorganisation Naturschutzbund Deutschland (NABU) wird geschätzt, dass in den letzten zwölf Jahren über 25 Millionen Vögel in Deutschland verschwunden sind. Das sind ungefähr 15 Prozent der gesamten Vogelpopulation des Landes.
Die Autoren der NABU Studie sagen, dass ein direkter Zusammenhang zwischen dem Rückgang der Insekten und der Vögel in Deutschland sehr wahrscheinlich ist. Die Studie zeigte auch, dass der Rückgang der Vögel in Zusammenhang mit einer Verschiebung der landwirtschaftlichen Nutzung von Weide- und Brachland hin zu intensiv bewirtschafteten Getreide- und Rapsfeldern steht.
Das Verschwinden von Vögeln ist nicht allein auf Deutschland beschränkt. Auf der anderen Seite des Atlantiks, in Nordamerika, ist die Anzahl der Rauchschwalben in den letzten 40 Jahren um 95 Prozent zurückgegangen. Andere Schwalbenarten scheinen auch abzunehmen. Da Schwalben von fliegenden Insekten stark abhängig sind (sie fangen ihre Nahrung im Flug) denken Wissenschaftler, dass der Rückgang der Insekten auch hierfür verantwortlich ist.
Forscher geben zu, dass es im Hinblick auf gründliche Untersuchungen der Insektenfülle und Trends eine Lücke gibt, und sagen, dass die neueste deutsche Studie über Insekten einer der ersten Versuche ist, dies zu ändern.
“Es gibt einen großen Mangel an Daten für die historischen Muster der Insektenpopulation und die Arbeit an ökologischen Phänomenen, die von den Insekten abhängen hat auf Grund dieser Lücke in unserem Wissen schon lange gelitten.”, erklärte Joe Nocera, ein Bevölkerungsökologe der Universität von New Brunswick in Kanada dem Magazin “The Scientist”. “Und hier, mit dieser Abhandlung, sehen wir den ersten großen Schritt, um dies zu korrigieren.”
Axel Ssymank sagte auch, dass die deutsche Regierung ein Forschungsprojekt finanziert, dass sich die Insektenbiomasse und mögliche Gründe für den Rückgang genauer anschaut. Die Ergebnisse des Projektes, das unter der Habitatrichtlinie der EU durchgeführt wird, sollen Ende des Jahres veröffentlicht werden.
“Da Habitate, die von den EU Naturschutzregulierungen abgedeckt sind diesen Rückgang [ebenfalls] aufzeigen, machen wir uns große Sorgen darum, dass wir qualitative und charakteristische Spezies verlieren, ebenso wie um die Konsequenzen und Effekte auf andere Teile des Ökosystems.”, erzählte Ssymank Mongabay.
Die Forscher, die hinter der PLOS ONE Studie stehen, versuchen auch noch genauere Erkenntnisse über den Insektenrückgang in Deutschland zu erhalten, und sagten The Scientist, dass sie derzeit an einer Analyse der Konsequenzen des 76-prozentigen Rückgangs der fliegenden Insekten in Deutschland arbeiten und was diese für die Funktion des Ökosystems und die Wildtiere die von den Insekten abhängig sind bedeuten.
“Es ist dringend notwendig, die Gründe für diesen Rückgang zu finden, ebenso wie das geographische Ausmaß, und zu verstehen, welche Auswirkungen der Rückgang für das Ökosystem und die Ökosystemdienstleistungen hat.”, schreiben sie in ihrer Studie.
Zitate:
- Hallmann, C. A., Sorg, M., Jongejans, E., Siepel, H., Hofland, N., Schwan, H., … & Goulson, D. (2017). More than 75 percent decline over 27 years in total flying insect biomass in protected areas. PloS one, 12(10), e0185809.