- Die vom Aussterben bedrohten Saigas (Saiga tatarica) zählten einst Millionen. Diese großen Antilopen waren wohl am besten für eine der letzten großen Säugetierwanderungen der Welt bekannt - zwei Mal im Jahr fegen sie quer durch die zentralasiatischen Steppen.
- Bis 2004 waren die Saigapopulationen laut der IUCN um mehr als 95 Prozent zurückgegangen. In Kasachstan und Usbekistan wurde in den 1990er Jahren die Jagd verboten. Das Horn der männlichen Saigas wird in der traditionellen chinesischen Medizin jedoch sehr geschätzt und der illegale Handel stellt eine große Gefahr dar. Wenn dieser nicht eingedämmt wird, könnte er das Ende der Spezies bedeuten.
- Im 21. Jahrhundert schlossen sich internationale NGOs und regionale Organisationen wie die Saiga Conservation Alliance (SCA) und die Association for the Conservation of Biodiversity of Kazakhstan (ACBK) mit zentralasiatischen Ländern zusammen, um die Spezies besser schützen zu können. Und ihre Arbeit zahlte sich aus - bis 2015.
- Damals tötete eine Krankheit über 200.000 erwachsene Saigas der Population in der Hungersteppe in Zentralkasachstan. Ende 2016 wurde die mongolische Herde von einer neuen Virusinfektion schwer getroffen. Bisher wurden 4.000 Saigakadaver begraben. Aufgrund ihrer hohen Fortpflanzungsaktivität könnten die Saigas laut Umweltschützer_innen jedoch gerettet werden, wenn die Spezies genügend Aufmerksamkeit erhält.
Die Schönheit der Saigas straft den ersten Eindruck Lügen. Vielleicht ist es schwer, hinter die große Nase zu sehen – ein knolliger Zinken, der wie ein Stück des Stoßzahns eines Elefanten aussieht. Und die spindeldürren Beine geben das Rätsel auf, wie diese kräftigen Antilopen so schnell und weit laufen können.
Dennoch ist dieses komisch aussehende Tier auf seine eigene Art schön. Es ist perfekt geeignet für das Leben in den trockenen, windgepeitschten Steppen Kasachstans, Usbekistans, der Mongolei und in den entlegenen Gegenden Südrusslands.
Die erstaunliche Nase der Saigas kann in diesem rauen, unversöhnlichen Klima im Sommer feinen, trockenen Staub aus der Luft herausfiltern und im Winter Luft mit Temperaturen unter null Grad Celsius erwärmen und so das Einfrieren der Lungen verhindern. Und die Beine, die für Geschwindigkeit und Ausdauer gemacht sind, sind der beste Schutz in einer größtenteils kargen Landschaft, die lange jährliche Wanderungen erforderlich macht.
Leider sind die vom Aussterben bedrohten Saigas der sich schnell und drastisch verändernden asiatischen Ökologie und den nationalen Ökonomien, die jetzt ihr Überleben bedrohen, ausgeliefert. Obwohl die prähistorische Vergangenheit der Saigas in Höhlenmalereien bewahrt wurde, befürchten Umweltschützer_innen, dass die Zukunft dieser „Geister der Steppe“ gefährdet sein könnte.
Zähe Reisende der trockenen Ebene
Neben ihrem außergewöhnlichem Aussehen sind die Saigas (Saiga tatarica) für eine der letzten großen Säugetierwanderungen der Welt bekannt. Jeden Frühling und Herbst verschmelzen die über die riesige Steppe verbreiteten Antilopen zu einer gewaltigen, zimtfarbenen Herde und strömen durch die Landschaft, die die Spezies seit der Eiszeit bewohnt.
Die Saigapopulationen, die einst mehrere Millionen zählten, waren bis 2004 um mehr als 95 Prozent zurückgegangen, weshalb sie von der IUCN auf die Liste der vom Aussterben bedrohten Arten gesetzt wurden. Eine der größten Gefahren: Die vom Aussterben bedrohten Antilopen werden wegen ihres Horns gewildert und wegen ihres Fleischs gejagt. Außerdem stellen die extreme Dürre – die mit dem sich verschärfendem Klimawandel zunimmt -, die Konkurrenz um Grasland mit Nutztieren sowie Veränderungen in der Landnutzung zugunsten der Produktion fossiler Brennstoffe eine Bedrohung für die Saigas dar.
2015 traf die Saigas, die bereits gefährdet waren, ein unerwarteter Schlag, als eine plötzliche Krankheit fast zwei Drittel der weltweiten Population in einem einzigen Monat tötete. Ihre Zahl sank auf bloße 31.300 Saigas in Kasachstan und auf ungefähr 100.000 weltweit.
Die Spezies fing gerade an, sich zu erholen – ihre Population überstieg im Juni 2016 100.000 erwachsene Tiere auf vier Länder verteilt -, als sie im Dezember 2016 erneut von einer Krankheit befallen wurde. Dieses Mal kostete ein Virus namens peste des petits ruminants, der typischerweise Hausziegen und -schafe infiziert, Saigas mongolischer Herden das Leben. Das ganze Ausmaß dieser neuen Epidemie wird aktuell möglicherweise aufgrund winterlichen Schnees und entlegener Habitate nicht sichtbar, sagte Enkhtuvshin Shiilegdamba, Wildtierärztin der Wildlife Conservation Society in der Mongolei, in einem Artikel in der New York Times vom Februar 2017.
„Die Saigas sind für Katastrophen gemacht, um dann wieder auf die Beine zu kommen,“ bemerkt E. J. Milner-Gulland, Zoologin an der University of Oxford im Vereinigten Königreich, die seit ihrer ersten Reise nach Russland als Doktorandin von diesen großen Herbivoren fasziniert ist.
Die Steppenantilope hat sich unter anderem dadurch an das extreme Klima, in dem sie lebt, angepasst, dass sie sich zu einem der fruchtbarsten Huftiere des Planeten entwickelt hat, sagt Milner-Gulland. Die weiblichen Tiere leben und gebären für ungefähr zwölf Jahre, beginnend in ihrem ersten Lebensjahr. Von ihrem zweiten Lebensjahr an gebären sie regelmäßig Zwillinge.
Diese Fortpflanzungsstrategie macht das Leben in der Steppe für die einzelnen Tiere jedoch nicht weniger gefährlich. Wenn sich die Saigas in riesigen Herden versammeln, kann ihre bloße Zahl dazu beitragen, Räuber wie Steinadler, Wölfe oder Rotfüchse abzuschrecken. Das Kalben unter so vielen großen, grasenden Tieren hat allerdings seine eigenen Risiken, die durch extrem unberechenbares Wetter verstärkt werden. Im einen Moment wird die Herde von starkem Wind hin und her geworfen und im nächsten von Hagelkörnern getroffen. All dies kann die Stresspegel der Saigas erhöhen, sagt Milner-Gulland.
Das Leben bleibt für die Steppenantilopen also ein rauer Tanz, bei dem ein ausgeprägtes Gespür für sich schnell verändernde Bedingungen durch die hohe Fortpflanzungsaktivität ergänzt wird. Ohne Beeinträchtigung durch den Menschen steigen die Saigapopulationen natürlicherweise an, dann gibt es einen Einbruch, woraufhin sie sich wieder erholen.
Die Herden schützen
Eine der gefährdetsten Saigapopulationen lebt auf dem Ustjurt-Plateau, eine Wüste zwischen dem Kaspischen Meer und dem Aralsee in Zentralasien, die für extreme tägliche Temperaturschwankungen und geringe Niederschläge bekannt ist.
Dieses riesige Gebiet umfasst ungefähr 200.000 Quadratkilometer (ungefähr 77.000 Quadratmeilen) und liegt in Usbekistan und Kasachstan. Die meisten Saigas dort überqueren jahreszeitlich bedingt die Landesgrenzen, wobei sie den Sommer in Kasachstan verbringen und im Winter in den Süden nach Usbekistan migrieren, wenn winterlicher Schnee im Norden das Futter bedeckt.
Aktuell besteht diese grenzüberschreitende Herde nur noch aus ungefähr 2.000 Tieren. Vor weniger als zwei Jahrzehnten waren es noch 200.000. Zu diesem enormen Rückgang kam es trotz langjähriger Maßnahmen zu ihrem Schutz durch die Regierungen von Kasachstan und Usbekistan sowie der Unterstützung durch eine Vielzahl von NGOs.
Usbekistan hat 1991 die Saiga-Jagd verboten und das eine Million Hektar (3.861 Quadratmeilen) große Saigachy-Reservat eingerichtet, unter anderem, um die Brutgebiete der Saigas zu schützen. In Kasachstan ist die Jagd seit 1998 verboten.
Aber das war nicht genug. Die Ustjurt-Population ging weiterhin zurück, sogar als die Maßnahmen zum Schutz der anderen Populationen, besonders der Herde in der Hungersteppe, begannen, Wirkung zu zeigen.
Die SCA und die ADCI
2006 unterzeichneten eine Koalition asiatischer Regierungen sowie NGOs wie die Saiga Conservation Alliance (SCA) das Memorandum of Understanding der Convention on Migratory Species, um die Saigas zu schützen.
Bis 2010 hatten alle fünf Arealstaaten der Saigas (Kasachstan, Usbekistan, Turkmenistan, die Mongolei und die Russische Föderation) Schritte eingeleitet, einen Aktionsplan zum Schutz der Saigas umzusetzen. Im selben Jahr wurde die Saiga Conservation Alliance, bis dahin eher ein lockeres Netzwerk verschiedener Gruppen, zu einer offiziellen Non-Profit-Organisation. Ihr Ziel war es, Umweltschützer_innen, Wissenschaftler_innen, NGOs und Regierungen in allen Arealstaaten zusammenzubringen, einschließlich der Mongolei sowie in China – ein bedeutender Konsument.
„Wir versuchen, alle zusammen zu bringen,“ sagt Milner-Gulland, Vorsitzende der SCA, die während ihrer Promotion über den illegalen Handel mit Elfenbein und Nashorn-Horn erstmals von der Situation der Saigas erfuhr. In der traditionellen chinesischen Medizin wird Saiga-Horn seit Langem ähnlich wie Nashorn-Horn verwendet. Dies war vor allem der Fall, als die Antilopen noch zahlreicher waren.
Seit 2005 arbeitet die Altyn Dala Conservation Initiative (ADCI) daran, die Saigapopulation in der Hungersteppe zu schützen. Zu dieser Initiative gehören das kasachische Komitee für Forst- und Jagdwesen, die Association for the Conservation of Biodiversity of Kazakhstan (ACBK), Fauna & Flora International, die Zoologische Gesellschaft Frankfurt und die Royal Society for the Protection of Birds. Obwohl sich die ADCI nicht allein auf den Schutz der Saigas konzentriert, sind die Beteiligten der Ansicht, dass alles, was den Antilopen hilft, wahrscheinlich auch die Ökologie der Steppe für andere Pflanzen und Tiere verbessert.
Einige Jahre später schloss sich die SCA mit anderen NGOs sowie lokalen Partnern zusammen, um ein Langzeitprojekt zur besseren Festlegung der Grenzen des Saigachy-Reservats sowie zur Verbesserung der Wildtierkorridore für die Migration der Saigas zwischen Usbekistan und Kasachstan ins Leben zu rufen. Innerhalb von acht Jahren, in 2015, wurde das Saigachy-Reservat neu ausgewiesen. Mit 7.000 Quadratkilometern (2.700 Quadratmeilen) ist es das größte Schutzgebiet Usbekistans und bietet sicherere Routen zu Kalbungs- und Paarungsplätzen.
Ein weiterer Versuch ist die Ustyurt Landscape Conservation Initiative, die von 2009 bis 2014 von der USAID finanziert wurde. Projekte, die in Zusammenarbeit mit der ACBK und Fauna & Flora International durchgeführt werden, widmen sich unter anderem dem besseren Verständnis der Biodiversität der Region, der Einrichtung von Öko-Clubs für junge Menschen und der Stärkung der Strafverfolgung. Das Vorgehen gegen den illegalen Handel mit Saiga-Horn wurde durch den Einsatz von vier „Spürhunden“ beschleunigt, die an der kasachischen Grenze eingesetzt wurden. 2007 wurde in Usbekistan der Saiga Day eingeführt, der sich zu einem internationalen Festival entwickelte, das für den Schutz der Saigas in Gemeinschaften in ihrem gesamten Areal eintritt.
Plötzliches Massensterben, plötzlicher Rückschlag
Gerade als es danach aussah, dass all diese Schutzbestrebungen sich auszahlen würden, kam es zum Massensterben. Im Mai 2015, auf dem Höhepunkt der Kalbungszeit, starben in weniger als einem Monat über 200.000 erwachsene Saigas. Die Herde in der Hungersteppe in Zentralkasachstan wurde fast ausgelöscht. Die Zahl der toten Steppenantilopen überstieg schließlich 200.000 Tiere.
„Es war eine Tragödie,“ erinnert sich Milner-Gulland. „Es ging soweit, dass Kolleg_innen, die die Situation aus der Luft überwachten, sagten: ‚Es sieht wirklich so aus, wie vor der ganzen Wilderei.‘“
Dies war jedoch nicht das erste große Sterben von Huftieren. Für dieselbe Population gibt es Aufzeichnungen über Massensterben für den Zeitraum von 1981 bis 1988. Auch in anderen Herden gab es solche Ereignisse. Dennoch haben sich die Saigas immer wieder erholt.
Das Massensterben von 2015 wurde zwar durch Bakterien verursacht, Wissenschaftler_innen versuchen jedoch immer noch herauszufinden, warum die Antilopen so anfällig waren. Die Infektion, die von Pasteurella verursacht wird, gilt als opportunistisch – zunächst muss etwas anderes das Immunsystem der Saigas geschwächt haben, damit diese gewöhnliche Bakterie plötzlich zu einem bösartigen Killer werden konnte.
„Da es nur noch so wenige Antilopen gibt, müssen wir genau verstehen, was passiert ist,“ sagt Steffen Zuther, internationaler Koordinator der ADCI bei der ACBK. „Wir müssen uns außerdem darauf konzentrieren, überlebensfähige Populationsgrößen zu erreichen, die große [zukünftige] Katastrophen bewältigen können.“
Die Sorgen bezüglich der mongolischen Herden sind etwas andere, aber sie sind nicht weniger schrecklich. Es handelt sich hierbei um eine einzigartige Unterart (Saiga tatarica mongolica), die einem Virus erliegt, der von infizierten Hausschafen und -ziegen übertragen wird. Laut dem World Wildlife Fund in der Mongolei erkrankten die Saigas in den Gebieten, in denen zuvor die „Ziegenplage“ ausgebrochen war. Obwohl Haustierherden gegen das Virus geimpft wurden, sprechen die meisten aktuellen Berichte von 4.000 Saigakadavern, die bisher begraben worden seien. Darüber hinaus haben Expert_innen herausgefunden, dass auch andere wilde Huftiere wie Steinböcke und Kropfgazellen infiziert sind.
Illegaler Handel mit Saiga-Horn
Sollten sich überlebensfähige Populationen jemals wieder dauerhaft etablieren, muss den sehr ernsten Herausforderungen der zügellosen Wilderei begegnet werden.
Männliche Saigas haben gezahnte Hörner, die bis zu 3.000 US-Dollar pro Kilogramm wert sind und in der traditionellen chinesischen Medizin verwendet werden. Für ein Kilogramm pulverisierten Horns werden ungefährt drei tote Saigas benötigt.
Durch die Wilderei der männlichen Tiere für ihr Horn wird der Spezies auf zweifache Weise geschadet: Das Geschlechterverhältnis der Population wird aus dem Gleichgewicht gebracht und es gibt zu wenige männliche Tiere für einen Harem an weiblichen Tieren. Oft überleben die jungen männlichen Tiere, die manchmal nicht erfahren oder reif genug sind, um sich effektiv fortzupflanzen.
Zuther von der ACBK erwähnt, dass die kasachische Regierung den Dienst von Rangern unterstützt. Wie bei Wilderei-Hotspots in Afrika ziehen jedoch auch hier die hohen Preise für Saiga-Horn das organisierte Verbrechen an, das schwer zu bekämpfen ist.
Das Land ist außerdem riesig. Mit fast drei Millionen Quadratkilometern (1.052.085 Quadratmeilen) hat es ungefähr die Größe Westeuropas. Ein Großteil des Gebiets der Saigas ist felsig, das Patrouillieren fast unmöglich, weshalb die Spezies nicht in ihrem gesamten Areal geschützt werden kann – jedenfalls nicht zu einem akzeptablen Preis.
Zuther sieht noch ein größeres Problem: „Saiga-Horn wird in großen, internationalen Foren zu Wildtierkriminalität nicht diskutiert,“ erklärt er. „Alle reden über Nashörner und Elefanten. Das ist wichtig, aber es gibt noch mehr: Saigas. Sie müssen Teil der Debatte werden.“
Große Ölkonzerne, große Probleme
Obwohl die Wilderei in wirtschaftlichen Problemen begründet liegt, leiden die Saigas paradoxerweise auch aufgrund des Öl-Booms in Kasachstan, das nach Russland der größte Ölproduzent unter den postsowjetischen Staaten ist. Letzten Sommer schloss die kasachische Regierung ein Geschäft über 36,8 Milliarden Dollar mit Investor_innen ab, um die Entwicklung des Ölfelds Tengiz am nordöstlichen Ufer des Kaspischen Meers voranzutreiben.
Diese Pläne haben zu einem Boom beim Bau von Gaspipelines, Schienen und Straßen geführt, durch die die Herden behindert werden. Saigas können bis zu 80 Kilometer pro Stunde laufen, aber sie können nicht über Pipelines springen oder sicher die Schienen und Straßen der neuen Infrastruktur überqueren.
Die Saigas werden durch weitere menschliche Eingriffe behindert. 2012 wurde an der kasachisch-usbekischen Grenze unter anderem zur Verhinderung von Drogenschmuggel ein Stacheldrahtzaun errichtet, der jedoch auch große Teile der Migrationsrouten der Saigas blockierte. Tiere, die durch den Zaun behindert wurden, waren leichte Beute für Wilderer_innen. Nach Bemühungen von Umweltschutzorganisationen hat die Regierung damit begonnen, Teile des Zauns so zu verändern, dass die Saigas ihn passieren können.
Die Produktion fossiler Brennstoffe stellt die Saigas vor eine weitere große, langfristige Herausforderung: den Klimawandel. „Die höheren Temperaturen beeinträchtigen die Grasqualität und führen dazu, dass die saisonalen Wasserquellen früher austrocknen,“ erklärt Elena Bykova, Geschäftsführerin der Saiga Conservation Alliance und führende Aktivistin für den Schutz der Saigas in ihrem Heimatland Usbekistan. Die Saigaherden verlegen ihre Kalbungsplätze langsam nach Norden.
Vielleicht wurde das Massensterben von 2015 sogar vom Klimawandel ausgelöst, vermutet Bykova. Höhere Temperaturen und Feuchtigkeit könnten optimale Bedingungen für das Wachstum der Pasteurellabakterien geschaffen haben, die die Saigas zu einem Zeitpunkt befallen haben, als sie bereits aufgrund des Kalbens gestresst waren. Eine weitere Möglichkeit: Die heimtückische Erderwärmung könnte die Fortpflanzungsaktivität der Spezies geschwächt haben.
Eine weitere unerwartete Gefahr ist durch das Austrocknen des Aralsees entstanden. Dieses enorme Binnengewässer im Tiefland vor dem Kaspischen Meer in Eurasien begann Mitte des 20. Jahrhunderts zu verschwinden – hauptsächlich aufgrund des Abschöpfens von Wasser aus Süßwasserzuflüssen des Aralsees für die Bewässerung beim intensiven Baumwollanbau in Usbekistan.
Nach und nach ging der Binnensee zurück und hinterließ eine Wüste, wodurch der Lebensraum der Saigas zerstört wird, erklärt Bykova. Der Verlust des Sees hat zu einem Anstieg der Land- und Lufttemperaturen beigetragen sowie Staub und Luftverschmutzung verursacht. Außerdem wurde Fischer_innen, die nahe des nun verschwundenen Sees lebten, die Existenzgrundlage entzogen, weshalb sie jetzt Saigas wildern, um ein Einkommen zu haben.
„Es muss einen Weg geben, wie den Saigas geholfen werden kann, sich an den Klimawandel anzupassen,“ sagt Milner-Gulland. „Alles, was sie brauchen, ist Platz. Sie können nicht eingesperrt werden. Das macht sie zu so wundervollen Wesen.“
Auf lange Sicht
Wenn es etwas Positives am Massensterben der Saigas gibt, ist es, dass der tragische Ausbruch der Krankheit die Welt auf schockierende Weise auf die prekäre Lage dieser seltsam aussehenden Steppenantilopen aufmerksam gemacht hat.
„Sie sind eine beeindruckende, anpassungsfähige Spezies, die [in der Vergangenheit] schreckliche Klimakatastrophen überlebt hat. Deshalb ist es jetzt die Aufgabe der Menschen, die den Saigas geschadet haben, ihnen zu helfen,“ sagt Bykova. Für ihr Engagement für den Schutz der Saigas in Zusammenarbeit mit Frauengruppen, Schulen, Regierungsvertreter_innen und sogar ehemaligen Jäger_innen wurde sie 2011 mit dem Whitley Award ausgezeichnet.
Bykova zählt die nächsten wesentlichen Schritte zum Schutz der Saigas auf: Sie weist auf die Bedeutung der internationalen Zusammenarbeit hinsichtlich wissenschaftlicher Daten und der besten Schutzmaßnahmen hin sowie auf den Aufbau einer besseren Vernetzung von NGOs, Regierungen und den Industriezweigen, die den Lebensraum der Saigas beeinträchtigen.
Vor allem, sagt sie, muss der illegale Handel mit Saiga-Horn gestoppt werden.
Können sich die Saigas erholen? Die neue Virusepidemie könnte die mongolische Population, die vor dem Ausbruch um die 10.000 Tiere zählte, stark strapazieren. Ein Jahr nach dem Massensterben von 2015 scheint sich das Kalben jedoch wieder normalisiert zu haben, berichtet Milner-Gulland. „Ich denke nicht, dass wir sie aufgeben sollten,“ sagt sie.