- Der größte Menschenaffe, der Östliche Flachlandgorilla (Gorilla beringei graueri), ist während der letzten beiden Jahrzehnte fast vollständig verschwunden. Die Population ging um 77 Prozent zurück; es gibt vielleicht noch 3800 Tiere. Dieses Tier, auch "der vergessene Gorilla" genannt, da er so schlecht erforscht ist und in den meisten Zoos nicht zu finden ist, ist ernsthaft vom Aussterben bedroht.
- Ihre Abschlachtung wurde durch den Bürgerkrieg der Demokratischen Republik Kongo ausgelöst und durch den Abbau von Coltan- und Zinnerz, "Konfliktmineralien", die für Handys, Laptops und Elektrogeräte verwendet werden. Gorillas sind das Ziel intensiver Wilderei durch bewaffnete Milizen, Minenarbeiter und seltener durch Geflüchtete: die Tiere werden gegessen, bis sie beinahe ausgestorben sind.
- Den Gorillas könnte durch Kriegsherren und Minenarbeiter noch mehr Gefahr drohen, wenn Präsident Trump ein von Reuters aufgedecktes präsidiales Memorandum unterzeichnet. Dadurch würde es amerikanischen Unternehmen erlaubt, Konfliktmineralien zu erwerben, ohne es öffentlich zu machen, wodurch wahrscheinlich der Rohstoffabbau im Kongobecken zunähme - und die Wilderei.
- Trumps Vorhaben würde die aktuelle US Conflict Mineral Rule aufheben, die im Jahr 2010 mit parteiübergreifender Unterstützung verabschiedet und als Teil des Securities and Exchange Commission's Dodd Frank Act erlassen wurde. Währenddessen haben Umweltschützer Hoffnung, dass der Östliche Flachlandgorilla gerettet werden kann - aber nur wenn die Demokratische Republik Kongo und die ganze Welt sich beteiligen.

Wochenlang folgten die Primatologen einer Gruppe Östlicher Flachlandgorillas durch raues Terrain – sie schlugen sich durch dicht wachsende Regenwälder, gefolgt von Schluchten mit messerscharfen Kanten und durchquerten eine nahezu undurchdringliche Berglandschaft im östlichen Teil der Demokratischen Republik Kongo (DRC).
Stuart Nixon, Chryso Kaghoma und deren kongolesisches Team verfolgten den Gorilla beringei graueri mittels GPS. Sie sammelten Daten darüber, wohin sich die Tiere nachts zurückzogen, was sie fraßen und über andere Gewohnheiten. Aber die Forscher blieben auf Abstand, sie blieben einen Tag hinter der Primatenfamilie, um das Verhalten der Gruppe nicht zu beeinflussen oder sie an Menschen zu gewöhnen.
Jedenfalls dachten die Wissenschaftler das. Eines Tages, als Nixon still im Wald saß, hörte er, dass sich etwa drei Meter entfernt etwas in den Büschen bewegte. Er sah auf und blickte in das blau-schwarze Gesicht eines männlichen Silberrückens. Sie hatten für ein paar sehr lange Sekunden Augenkontakt, bevor der Gorilla sich umdrehte und mit dem Rest der Familie zurück ins dichte Unterholz rannte.

Ein seltener Anblick des Menschenaffen, der einst “der vergessene Gorilla” genannt wurde, da er so schlecht erforscht und in den meisten Zoos der Welt nicht zu finden ist.
Innerhalb von zwei Jahrzehnten – also nur einer Generation – fielen die Zahlen des Östlichen Fachlandgorillas um 77 Prozent. Laut einer bedeutenden Studie, die im Jahr 2016 veröffentlicht wurde, gibt es nur noch ca. 3800 wild lebende Tiere.
Die Gründe dafür: Bürgerkrieg und der Abbau von “Konfliktmineralien”, darunter Zinnerz und Coltan, die beide in Mobiltelefonen, Laptops und anderer Unterhaltungselektronik verbaut werden. Die Gorillas fallen der starken Wilderei durch bewaffnete Bürgerwehr, Minenarbeiter und zum Teil durch Geflüchtete zum Opfer und landen auf dem Teller, was sie an den Rand des Aussterbens treibt.
“Die größte Gefahr ist die illegale Jagd nach Buschfleisch”, sagt Liz Williamson, eine Forscherin an der schottischen University of Stirling und Mitglied der IUCN Primate Specialist Group.
Trumps geplantes Gesetz eine Bedrohung für den Menschenaffen
Wenn Präsident Trump den Entwurf des Reuters Anfang Februar zugespielten Memorandums unterzeichnet, bedeutete das nicht nur für den Östliche Flachlandgorilla sondern auch für die Gemeinschaften vor Ort noch mehr Gefahr durch Kriegsherren, Milizen und Minenarbeiter.

Das neue Gesetz ermöglicht es amerikanischen Unternehmen, Konfliktmineralien wie Gold, Zinn, Tantalum, Coltan und Wolfram uneingeschränkt einzukaufen – ohne das offenlegen zu müssen. Wahrscheinlich würden dadurch die Bergbauaktivitäten im Kongobecken zunehmen, wodurch mehr Arbeiter kämen, die Buschfleisch jagen um zu überleben.
Trumps Memorandum würde die Conflict Mineral Rule für zwei Jahre außer Kraft setzen. Die Conflict Mineral Rule wurde mit überparteilicher Unterstützung vom Kongress im Jahr 2010 als Teil des Securities and Exchange Commission’s Dodd Frank Act verabschiedet. Damals standen ihr Geschäftsinteressen entgegen, während Menschenrechtsgruppen und Umweltschützer sie unterstützten.
Die Richtlinie, so wie sie aktuell besteht, verlangt von Unternehmen, dass sie die Herkunft von Konfliktmineralien aus der DR Kongo oder aus einem angrenzenden Land offenlegen. Als die Richtlinie verabschiedet wurde, sagte SEC Chairman Mary L. Schapiro dazu: “Mit der Verabschiedung dieser Bestimmung hat der Kongress seine Hoffnung ausgedrückt, dass die Meldeverpflichtungen der Sicherheitsgesetze dazu beitragen werden, die Gewalt im Osten der Demokratischen Republik Kongo einzudämmen.”
Die Begründung des Trump-Memorandums für die geplante Aussetzung der Richtlinie ist, dass sie zu “einigen Stellenverlusten” geführt hat. Die Regierung reagierte nicht auf Mongabays Bitte um eine Stellungnahme.
Die Nationen Afrikas äußerten allerdings sofort Bedenken: “Schlussendlich könnte das zu einer allgemeinen Ausbreitung terroristischer Gruppen, grenzüberschreitenden Geldwäsche und illegalen Geldflüssen in der Region führen”, so die International Conference on the Great Lakes Region (ICGLR) gegenüber Reuters. Zur ICGLR gehören 12 afrikanische Mitgliedsstaaten.
Zählung der Östlichen Flachlandgorillas
In einer Umfrage aus dem Jahr 2016 – der größten, die jemals über östliche Flachlandgorillas durchgeführt wurde – durchkämmten Parkangestellte, Anwohner und Wissenschaftler unter der Leitung der Wildlife Conservation Society (WCS) und der Fauna & Flora International 7.450 Quadratkilometer, um die Tiere im östlichen Teil des Kongo, deren einzigem Wohnraum, zu zählen. Die Wissenschaftler bedienten sich dann statistischer Analyse und Computermodellen, um die Größe der Population zu schätzen.
Die Ergebnisse führten zu weltweiten Berichten in den Medien und zu einer Triage-Reaktion aus der Gemeinschaft der Umweltschützer.

Nach wenigen Monaten wurde der Status des Östlichen Flachlandgorillas durch die International Union for Conservation of Nature (IUCN) auf Alarmstufe Rot, die letzte Stufe vor dem Aussterben in der Wildnis, geändert.: Vom Aussterben bedroht.
Der Östliche Flachlandgorilla gesellte sich damit zu drei weiteren Unterarten des Gorillas auf der der Liste der IUCN: zum Westlichen Flachlandgorilla (G. g. gorilla) und den Cross-River-Gorillas (G. g. diehli), zusammen mit den anderen und deutlich bekannteren Unterarten des Östlichen Gorillas, dem Berggorilla (G. b. beringei), der Touristen aus aller Welt anzieht, die anreisen, um ihn in den Bergen der Virunga-Vulkane zu Gesicht zu bekommen.
Alle Gorillaarten sind nun vom Aussterben bedroht.
“Die meisten Menschen haben nie vom [Östlichen Flachlandgorilla] gehört und [dennoch] könnte das die erste Affenart sein, die ausstirbt”, sagt Sonya Kahlenberg, die das Rehabilitation and Conservation Education Center (GRACE) leitet, die einzige Auffangstation der Welt für verwaiste Östliche Flachlandgorillas.
Katastrophal niedrige Zahlen
Damals im Jahr 1994, als die Wildlife Conservation Society die Östlichen Flachlandgorillas (im damaligen Zaire) untersuchte, zählten die Wissenschaftler eine Population von 17 000 Tieren.
Aber im April 1994 startete die ethnische Mehrheit der Hutu im Nachbarland Ruanda eine mörderische Kampagne gegen die Tutsi-Minderheit, einen Genozid, der etwa zwei Millionen Flüchtlinge über die Grenzen nach Zaire und Uganda trieb. Viele fanden Zuflucht in Nationalparks und Wäldern und die Democratic Forces for the Liberation of Rwanda und andere Milizen begannen dort zu operieren. Viele überlebten durch Buschfleisch, was zu dem führte, was zu einem andauernden Gorilla-“Ökozid” geworden ist.
Die Regierung der Demokratischen Republik Kongo verteilte Waffen an die Gemeinden vor Ort, damit diese sich wehren konnten. Viele Menschen flohen. Die Wälder wurden zu einem der Hauptopfer – illegal abgeholzt sowohl für Treibstoff als auch für den Holzhandel. Die Jagd nahm aufgrund der tödlichen Kombination aus hungrigen Menschen und reichlich vorhandenen Waffen überhand. Parkaufseher und andere Ordnungshüter waren dazu gezwungen, die Nationalparks und andere geschützte Landflächen aufzugeben. Die Wälder wurden zu Schlachthäusern.

Der stämmige Östliche Flachlandgorilla wurde zu einem beliebten Ziel. Da sie sich in Gruppen auf dem Boden fortbewegen, sind sie einfach aufzuspüren und die Fleischausbeute pro Tier, also pro Kugel, ist enorm: Sie sind die größten Primaten der Welt; ein Männchen wiegt im Schnitt etwa 400 Pfund. Die größten werden bis bis zu 1,90 m groß und wiegen 600 Pfund.
Durch die Konfliktmineralien kommt Bewegung in die Sache
Bis der Krieg im Jahr 2003 für beendet erklärt wurde, waren etwa 5,4 Millionen Menschen gestorben. Aber es herrschen immer noch Konflikte in der Demokratischen Republik Kongo – im Heimatland des Östlichen Flachlandgorillas – angetrieben von der Suche nach den üppigen Vorkommen an Mineralien in dieser Region.
Obwohl das Land das zweitniedrigste Bruttoinlandsprodukt der Welt hat, gehört es zu dem Land mit dem reichsten Vorkommen an Bodenschätzen, darunter laut der gemeinnützigen Organisation World Without Genocide. Mineralvorkommen im Wert von mindestens 24 Trillionen Dollar. Darunter fallen Goldvorkommen im Wert von geschätzt 28 Milliarden Dollar und enorme Vorkommen des für die Verwendung in Elektrogeräten begehrten Kolumbit-Tantalit oder Coltan.


Die Ausbeutung dieser Reichtümer hat Heerscharen von Kleinbergbauern, skrupellosen Firmen, das Militär und korrupte Regierungsangestellte angezogen. Die Angst wächst und gedeiht. Aber die größte Bedrohung geht von mehr als 70 schwer bewaffneten Milizen aus, sagt Damien Caillaud, der Forschungsleiter des Programms für den Östlichen Flachlandgorilla des Dian Fossey Gorilla Fund in der Demokratischen Republik Kongo und ein Professor der Universität von Kalifornien, Davis.
Viele der Milizen kontrollieren Minen mit “Konfliktmineralien”, die sich zu einem Äquivalent des Lehensguts entwickelt haben, sie existieren außerhalb der Kontrolle der Regierung, manchmal werden dort Sklaven angestellt und die Gewinne werden benutzt, um Waffen zu kaufen und andauernde bewaffnete Konflikte zu unterstützen.
Die Minenarbeiter graben nun tief innerhalb der Nationalparks der Demokratischen Republik Kongo und in ungeschützten Wäldern – an den Orten, an welchen es einigen Gorillagruppen gelungen ist, den Bürgerkrieg zu überleben und einige der letzten Gebiete, in welchen Östliche Flachlandgorillas leben. Der in Belgien angesiedelte International Peace Information Service hat in dem Gebiet mehr als 1000 Minen aufgezeichnet, fast alle davon sind illegal.
Die illegalen Minenarbeiter sind die größte Bedrohung für das endgültige Überleben des Östlichen Flachlandgorillas.
Es ist sowohl unter nationalem als auch unter internationalem Recht illegal, Gorillas zu töten, zu fangen oder entweder mit lebenden Gorillas oder Teilen oder Erzeugnissen von ihnen zu handeln. Aber bewaffnete Gruppen und Minenarbeiter machen mit erstaunlicher Geschwindigkeit Jagd auf die Affen und gleichzeitig verunreinigen sie das Land, reduzieren üppige Regenwälder zu verschmutzten, schlammigen Kraterlandschaften.
Menschen in der Nähe von Flachlandgorillas stellen ebenfalls eine Gefahr durch Krankheitserreger dar: Gorillas sind so eng mit dem Menschen verwandt, dass sie für menschliche Erkrankungen der Atemwege und andere Krankheiten anfällig sind. Eine gewöhnliche Erkältung könnte einen Gorilla töten.

In die Falle getappte Gorillas
Eine in den USA ansässige Organisation, Gorilla Doctors kümmert sich, wenn möglich, um in Fallen gefangene Gorillas. Ein Hoffnungsschimmer inmitten des Massakers: mehr kongolesische Tiermedizinstudenten als jemals zuvor belegen Kurse in Medizin für Menschenaffen, einer Disziplin, für die spezielle Fähigkeiten benötigt werden, beinahe so komplex wie bei der Behandlung eines Menschen.
Einen Gorilla zu töten, kann umfangreiche Kollateralschäden bedeuten, schlussendlich den Tod von vier oder fünf anderen, sagt Caillaud und erklärt warum. 90% der Östlichen Flachlandgorillas leben in Gruppen, die von nur einem Männchen geführt werden, dem Silberrücken. Jäger nehmen ihn meist zum Ziel, da er der größte mit dem meisten Fleisch ist und weil er angreifen wird, um seine Familie zu schützen. Wird er getötet, zerfällt die Gruppe. Es werden keine Jungen mehr geboren, bis die Weibchen eine neue Gruppe finden, der sie sich anschließen. Für die, die bereits ein Junges haben, bedeutet das, dass es möglicherweise nicht überleben wird: ein Silberrücken könnte den Nachkommen eines anderen Männchens töten, so wie es bei den Löwen vorkommt.
Waisen retten
Es gab keinen Ort, um sich um die jungen, verwaisten Östlichen Flachlandgorillas zu kümmern, die bis zum Jahr 2010 von den Wildtierbehörden gefangen wurden. Deshalb wurde GRACE in der Demokratischen Republik Kongo als Auffangstelle mit dem Ziel gegründet, junge, verwaiste Gorillas aufzuziehen und ihnen die Fähigkeiten zu vermitteln, die sie brauchen, um im Wald als neue Familie zu überleben. Die ersten vier Gorillas wurden auf dem Luftweg von einem Helikopter, geflogen von der Friedenstruppe der Vereinten Nationen, in die Demokratische Republik Kongo transportiert.
Waisen bedürfen besonderer Pflege und leiden oft an einer Vielzahl von psychischen und physischen Traumata. Im Jahr 2011 wurde z. B. ein 17 Monate altes Männchen in einem Dorf gefunden, wo es illegal zum Kauf angeboten wurde. Es war zu jung zum Abstillen, hatte aber keine Milch bekommen und war monatelang nur mit Maniok gefüttert – was nicht für Gorillas geeignet ist. Als “Lubutu” GRACE erreichte, war er schwer unterernährt, hatte viel Fell verloren, war schwach und dehydriert. Aber er hatte Glück; er hat überlebt und er ist aufgeblüht.


Heute kümmert sich GRACE um 14 Östliche Flachlandgorillas, vom zwei Jahre alten Kleinkind bis zum 16-jährigen Erwachsenen. Die Affen leben im Wald, ihrer natürlichen Umgebung, in einer Ersatzfamiliengruppe, in der die älteren Gorillas Mutterrollen übernehmen, also die Neuankömmlinge tragen und beschützen. Menschenkontakt wird auf ein Minimum reduziert.
“Gorillas sind soziale Tiere und wir können die Veränderung in den Waisen schnell erkennen, sobald sie wieder unter anderen Gorillas sind. Sie brauchen sich gegenseitig genauso sehr, wie sie die Notversorgung brauchen”, sagt Kahlenberg.
Ein Grund für den Erfolg von GRACE bei der Rettung von Waisen ist, erklärt sie, dass die Einrichtung mit einigen der besten Zoos der Welt zusammenarbeitet, deren Gorillaexperten die kongolesischen Mitarbeiter der Auffangstation schulen und anleiten. Die Zoos werden häufig via Skype kontaktiert und die Experten haben GRACE seit 2010 bereits 63 Mal besucht.


Die Region litt unter einigen der größten Grausamkeiten während des Krieges und fast alle Mitarbeiter von GRACE haben ein Familienmitglied während des Konflikts oder danach verloren.
Aber die ortsansässige Gemeinde will nach vorne schauen und hat sich stark dem Naturschutz verschrieben. GRACE hat vor Kurzem eine Farm gegründet, die Nahrungsmittel für Gorillas anbaut, sagt Kahlenberg, und jede Woche kommen etwa 40 Kinder nach der Schule und helfen dabei, Unkraut zu jäten und sich um die Feldfrüchte zu kümmern. “Die Menschen hier geben mir so viel Hoffnung!”.
Da nun weniger Gorillas in der Wildnis übrig sind, sinkt die Zahl der Neuankömmlinge in der Auffangstation. Letztes Jahr wurde nur einer aufgenommen. Das Ziel ist es, schließlich mindestens ein paar Gorillas wieder auszuwildern und damit dem isolierten Bestand in den Wäldern zu helfen. GRACE hat eine potenzielle Stelle zur Freilassung ausgewählt. Aber das ist Neuland: Noch nie hat jemand einen Östlichen Flachlandgorilla aus der Gefangenschaft wieder in die Wildnis entlassen.
Wilde Gorillas akzeptieren Veränderungen in ihrer Familiengruppe, zeigt Kahlenberg auf, “aber wir wissen nicht, wie viel davon erlerntes Gruppenverhalten ist. Wir wissen nicht, wie sich die [in der Auffangstation aufgezogenen Tiere] in der Nähe eines wilden Silberrückens verhalten werden. Es gibt so viele Fragen.”


Beschützen und erforschen: eine gefährliche Angelegenheit
Die Wildtiere in der Demokratischen Republik Kongo zu beschützen, ist eine extrem gefährliche Angelegenheit. Für Strafverfolgungsbehörden, darunter Service Rangers von Nationalparks oder das Umweltministerium, ist es sehr schwierig und risikoreich, Zugang zu diesen abgelegenen Bereichen zu bekommen. Mehr als 200 Parkwächter wurden in den letzten 20 Jahren beim Schutz von Wildtieren ermordet. Die beiden jüngsten Opfer sind Oscar Mianziro und Munganga Nzonga Jacques, denen 2016 in zwei getrennten Vorfällen von bewaffneten Milizen im Nationalpark Kahuzi-Biega aufgelauert wurde.
Vielen von denen, die ihr Leben im Kampf um den Schutz von Gorillas, Elefanten und anderer Tiere verloren haben, hatten selbst große Familien mit acht, neun, zehn Kindern, sagt Stuart Nixon. Die Morde betreffen nicht nur diese Familien, aber auch die eng verwobenen Dorfgemeinschaften, in welchen die Männer lebten. “Es ist ziemlich Ehrfurcht einflößend”, sagt Nixon. “Man sieht diese Art von Hingabe im Westen nicht oft, geschweige denn in den Entwicklungsländern.”
Gesetzeslosigkeit und Gewalt in der Demokratischen Republik Kongo haben es beinahe unmöglich gemacht, den Östlichen Flachlandgorilla zu erforschen. Das führt dazu, dass viel von dem, was Wissenschaftler “wissen”, von dem ein Jahrhundert alten Berg an Forschung über in den nahegelegenen Bergen der Virunga-Vulkane in Ruanda und Uganda lebenden Gorillas abgeleitet ist.


G. b. graueri wurde nach Rudolf Grauer benannt, einem österreichischen Zoologen, der zur Jahrhundertwende des 20. Jahrhunderts in Afrika gearbeitet hat. Er war der erste, der erkannte, dass dieser Menschenaffe eine eigene Unterart ist. Zwar ähneln diese Tiere ihren Verwandten, den Berggorillas, aber ihre Gliedmaßen sind länger, sie haben kürzeres Fell und sie leben in geringeren Höhen, zwischen 580 und 2900 Meter über dem Meeresspiegel.
Der letzte Unterschied ist wichtig, merkt Caillaud an, denn der Wohnraum hat bedeutenden Einfluss auf das Verhalten. Das bedeutet, dass die Forschung über den Berggorilla nicht zu 100 Prozent übertragbar ist: Größe und Gebrauch des Lebensraums können sich zum Beispiel zwischen den Unterarten der Flach- und Hochlandgorillas unterscheiden. Selbiges gilt für die Ernährung – Wissenschaftler wissen, dass die Östlichen Flachlandgorillas deutlich mehr Früchte fressen, als ihre in den Hochgebirgen lebenden Cousins. Diese Unterschiede können einen deutlichen Einfluss auf die Sozialstrukturen und Gewohnheiten der Menschenaffen haben.
Trotz der ständig drohenden Gewalt arbeiten Wissenschaftler wie Andy Plumptre (ein Biologe des WCS), Williamson, Nixon und andere seit Jahren in den Regenwäldern der Demokratischen Republik Kongo.

Nixon kontaktierte den angesehenen Feldbiologen George Schaller vor einer bedeutenden Reise, um ihn zu seiner Forschung, Feldarbeit aus dem Jahr 1959, zu befragen – der ersten grundlegenden Studie des Östlichen Flachlandgorillas. Unter Verwendung von Karten, die Schaller ihm gab, lokalisierte Nixon etwa 15 Gruppen, die an den exakt selben Orten lebten, an denen sie sich schon vor einem halben Jahrhundert befunden hatten. “Sie waren umgeben von tausenden Quadratkilometern von Wald, aber sie hatten ihre Reichweite nicht ausgebaut”, sagt Nixon. “Wir wissen nicht warum.”
Nixons Studie aus dem Jahr 2005 brachte einige verstörende Ergebnisse hervor: “Wir begannen zu verstehen, dass es große Areale gab, in denen sich in den 1960er Jahren [Östliche Flachlandgorillas befunden hatten] – und sie sind verschwunden”, sagt er. Neue Unterpopulationen, die sein Team in diesem Jahr entdeckt hatte, wurden bis zum Jahr 2010 ausgerottet. “Wir hatten das Gefühl, dass der Rückgang katastrophal war. Aber man muss an das denken, was übrig geblieben ist”, sagt er.
Die Menschen, die für die Arterhaltung des Östlichen Flachlandgorillas arbeiten – Regierungsvertreter, Parkwächter, Umweltschützer und Mitglieder der Gemeinden vor Ort – haben sich im Jahr 2012 zusammengesetzt, um einen Conservation Action Plan, also einen Aktionsplan für Artenerhalt, zu erstellen. Dabei wurden Strategien zur Zusammenarbeit bestimmt, um für die Gemeinschaften eine nachhaltige Lebensgrundlage zu bilden, Rollen und Kollaborationen für Abteilungen wurden definiert, darunter das unterfinanzierte Ministerium für Umwelt und die Congolese Wildlife Authority, deren Aufgabe der Schutz der Wildtiere in der Demokratischen Republik Kongo ist.

Das Konsortium erkannte die Notwendigkeit, das Ausmaß des Rückgangs der Population an Östlichen Flachlandgorillas mit einer breit angelegten Studie zu quantifizieren. Von 2013 bis 2015 durchkämmten riesige Teams, oft bestehend aus 10-15 Menschen, im Zuge körperlich anstrengender Expeditionen den Regenwald. Viele überlebende Gorillagruppen leben an beinahe unzugänglichen Orten, manche bis zu 30 Meilen vom nächsten Dorf oder einer befahrbaren Straße entfernt. Ausrüstung und Verpflegung musste getragen werden und es gab ständig Sicherheitsbedenken.
Die erschöpfende Studie bestätigte den fortlaufenden, drastischen Rückgang der Population der Östlichen Flachlandgorillas und führte direkt dazu, dass die IUCN die Unterspezies neu als vom Aussterben bedroht einstufte.
Lichtblicke
“Es kann sein, dass diese schreckliche Phase sich langsam dem Ende neigt”, sagt Liz Williamson mit überraschendem Optimismus. “An einigen Orten haben die Parkwächter [der Nationalparks] die Kontrolle zurückerlangt.”
Sie bezieht sich auf einen relativen Erfolg in einem Schlüsselgebiet für das Überleben der Gorillas: das Hochlandgebiet des Kahuzi-Biega-Nationalparks, der Ort, an dem in den 1970er Jahren zum ersten Mal Gorillatourismus stattfand. Vor dem Bürgerkrieg war dieses Gebiet das Zuhause von etwa 270 Östlichen Flachlandgorillas, eine Population, die durch das Abschlachten halbiert wurde.

Bereiche des Parks, die nun relativ stabil sind, wurden durch engagierte und gemeinschaftliche Anstrengungen zwischen der kongolesischen Regierung, den Parkbehörden des Landes (ICCN), Fauna & Flora International, WCS und anderen Non-Profit-Organisationen, Parkwächtern (die mit dem Militär arbeiten) gemeinsam mit den Gemeinden vor Ort gesichert. Seit dem Jahr 2003 herrscht in Kahuzi-Biega ein gewisses Maß an Sicherheit, sagt Nixon. Heute ist die Population der Östlichen Flachlandgorillas in einem Teil des Parks wieder auf 200 Tiere angestiegen.
Es besteht also Hoffnung für die Gorillas in abgelegenen Regionen wie dem Usalawald im Herzen der 30 000 Quadratkilometer großen Maiko-Tayna-Region im Osten des Kongo. Nixons Team hat Einzelberichte von Schaller gelesen und bestätigte das Vorkommen des Östlichen Flachlandgorillas im Jahr 2007. Da das Gebiet weit abseits von Straßen oder Siedlungen liegt, besteht die Chance, dass die Menschenaffen hier über einen langen Zeitraum überleben konnten.
“Trotz des Drucks beweist das, was durch Konzentration und gezielt eingesetzten Ressourcen möglich ist”, sagt Nixon.
Der Dian Fossey Gorilla Fund betreibt seit 2012 eine Feldstation im isolierten Herzen des Territoriums der Östlichen Flachlandgorillas, im ungeschützten Wald, der zwischen den Reservaten liegt. Die kongolesischen Mitarbeiter der Einrichtung patrouillieren und sammeln Daten über die Gorillas und arbeiten eng mit den acht Familien zusammen, denen weite Teile des Gebiets gehören. Zusammen schützen sie Gorillas und andere Wildtiere. Die Familien sind arme Dorfbewohner, keine reichen Eigentümer, aber sie haben sich dazu entschlossen, menschliche Aktivitäten auf ihrem Land zu kontrollieren und zu reduzieren. Das führt dazu, dass das Wildleben langsam zunimmt.
“Innerhalb von nur wenigen Jahren hatte der Artenschutz spürbare Auswirkungen”, berichtet Caillaud.
Ca. 25% des Lebensraums des Östlichen Flachlandgorillas wie zuerst von George Schaller aufgezeichnet, war bis 2008 ausgelöscht worden. Obwohl einige Populationen isoliert wurden, ist heutzutage noch genug Regenwald übrig. Obwohl Umweltschützer anmerken, dass das aufgrund der wachsenden Bevölkerungszahl der Menschen nicht für immer der Fall sein wird.
Daher gibt es Bemühungen, um die Schlüsselgebiete der Wälder zu schützen und im Jahr 2016 wurde ein großer Erfolg an dieser Front verzeichnet. Ein neuer Mehrzweckbereich wurde erstellt, von dem sowohl Mensch als auch Wildleben profitieren – das Itombwe-Naturschutzgebiet, das sich vom Flachland bis zu den Bergen erstreckt und eines der Gebiete mit der höchsten Biodiversität in Afrika ist.



Kaufentscheidungen können dazu beitragen, Gorillas zu retten
Nur wenige Menschen wissen beim Kauf von Elektrogeräten, dass sich die Lieferkette for diese Produkte bis tief in die afrikanischen Regenwälder erstrecken kann. Teile dieser Produkte stammen aus Minen, die von skrupellosen Milizen betrieben werden und können “Blutcoltan” enthalten.
Der unstillbare weltweite Hunger nach Playstations, Laptops und Handys trägt – wenn er nicht entsprechend reguliert wird – zu Unsicherheit bei, bedroht die Sicherheit der Menschen vor Ort und tötet Gorillas und andere Tiere. Wenn es das Memorandum des Präsidenten der Trump-Regierung den amerikanischen Firmen erlaubt, problemlos Konfliktmineralien zu kaufen, ohne das offenzulegen, bedeutet das für die Gorillas – und viele Gemeinden – noch größere Gefahren durch die Ausbreitung der Minen.
“Ich hoffe, dass das Menschen dazu bringt, über die Lieferketten für diese Geräte nachzudenken”, sagt Williamson, als sie die wirklichen Kosten hinter den Konfliktmineralien kommentiert. Es läuft auf die Kaufentscheidungen hinaus: Wenn Leute sich für afrikanische Gemeinden und Menschenaffen interessieren, “sollten sie die Hersteller unter Druck setzen und herausfinden, ob sie ihre Rohstoffe aus zuverlässigen, seriösen Quellen beziehen, was in der Demokratischen Republik Kongo schwierig ist.” Selbst bei legalem Minenbetrieb kann es sein, dass hinter den Lieferketten Milizen als Mittelsmänner stehen, warnt sie.
Umweltschützer merken an, dass Konsumenten einen Beitrag leisten könnten, indem sie ihre Elektrogeräte länger benutzten.
Es steht viel auf dem Spiel: Es gibt weniger Östliche Flachlandgorillas in Gefangenschaft, so Kahlenbergs Aussage. Und wenn dieser Menschenaffe ausstirbt, ist er praktisch für immer verloren.

