- Emmylou Harris reiste im Juni nach Rom, um sich über die europäische Flüchtlingskrise zu informieren, sich mit dem Jesuiten-Flüchtlingsdienst (JRS) zu treffen und für dessen Globale Bildungsinitiative zu werben. Diese ist Teil des Jahres der Barmherzigkeit, das die katholische Kirche 2016 ausgerufen hat.
- Mithilfe einer Konzerttournee zugunsten der Flüchtlinge in Europa unter der Leitung von Emmylou Harris, die den Titel „Lampedusa, Shine a Light, Call for Compassion“ (auf Deutsch etwa: Lampedusa, lass ein Licht erstrahlen, Ruf nach Mitgefühl) trägt und ab Oktober in 11 US-amerikanischen Städten Halt machen wird, soll Geld für das Flüchtlings-Bildungsprogramm des JRS gesammelt werden. Eine Europatournee im Sommer 2017 ist ebenfalls im Gespräch.
- Die UNO ist ebenso wie eine steigende Anzahl von Klimaforschern zu dem Schluss gelangt, dass die globale Erwärmung zur zunehmenden Flüchtlingskrise auf der ganzen Welt beitrage, da sie Dürren, den Anstieg des Meeresspiegels, Missernten, Hunger, Armut, innere Unruhen, Kriege und menschliches Elend weiter verschärfe.
ROM, Italien: Während sie sich einer weiteren globalen humanitären Krise widmete — mit der Absicht, eine helfende Hand zu reichen und ihre Stimme zu erheben — verwies die ikonische Singer-Songwriterin des Americana-Stils, Emmylou Harris, auf eine Ursache für das große Leid im Zusammenhang mit der Flüchtlingskrise, mit der die Europäische Union zu kämpfen hat:
die Erderwärmung.
„Ich weiß, dass dies neben all den Kriegen und inneren Unruhen eine weitere Ursache ist“, erklärte mir Harris am 3. Juni in Rom in einem Exklusivinterview mit Mongabay. „Ich weiß, dass es in den Vereinigten Staaten so viele Leugner gibt. Doch man kann die offensichtlichen Tatsachen nicht leugnen.“
Jack Brady, ein Berater des Jesuiten-Flüchtlingsdienstes, der Organisation, die Harris nach Rom eingeladen hatte, fügte hinzu: „Wenn man die Flüchtlingskrise als Problem der [nationalen] Sicherheit präsentiert, erregt dies deutlich mehr Aufmerksamkeit. Und der Klimawandel stellt sicherlich für viele Nationen ein Sicherheitsrisiko dar. Bangladesch und die Inselstaaten [die nur knapp über dem Meeresspiegel liegen] sind bereits jetzt in Gefahr.“
Ein kürzlich veröffentlichter Bericht der Vereinten Nationen zeigt dieselben Zusammenhänge auf, die auch Harris erkannt hat: „Oft vertreiben Dürrekatastrophen, Überschwemmungen und gefährliche Wetterereignisse Menschen aus ihrer Heimat, und sie werden manchmal vom Klimawandel ausgelöst oder verschlimmert. Die schleichenden Auswirkungen des Klimawandels, wie etwa Trockenheit und der steigende Meeresspiegel, können Menschen im Laufe der Zeit ebenfalls dazu zwingen, ihr Zuhause zu verlassen. Die indirekten Folgen der Erderwärmung, beispielsweise Konflikte oder Ressourcenknappheit, sind nicht so leicht zu definieren, können aber dennoch Auslöser für eine Massenmigration sein.“
Experten für die Flüchtlingskrise zeigen die globalen Zusammenhänge an den geopolitischen Hotspots auf der ganzen Welt auf: In Gebieten wie Syrien und Nordafrika sind die Menschen zwar vor allem wegen innerer Unruhen, gescheiterter Staaten, Armut und Hunger auf der Flucht, doch diese Probleme werden wiederum durch verheerende, langanhaltende Dürren und andere extreme Wetterereignisse noch weiter verschärft, während auf der Erde Jahr für Jahr aufs Neue Hitzerekorde gebrochen werden.
In Indien leiden 330 Millionen Menschen unter einer Wasserknappheit, die von der wahrscheinlich schlimmsten Dürre in der Geschichte des Landes ausgelöst wurde. In Afrika stehen 36 Millionen Menschen am Rande einer Hungersnot. Diese beiden Krisen sind auf ein El-Niño-Ereignis von noch nie dagewesener Intensität zurückzuführen, dessen Auswirkungen durch die mit dem Klimawandel einhergehende Trockenheit weiter verschlimmert wurden. Und beide Katastrophen könnten eine verzweifelte Flüchtlingswelle auslösen.
Doch diese Flüchtlingsbewegungen sind nicht nur ein Problem der Entwicklungsländer: Durch die jüngsten Waldbrände in Fort McMurray, Kanada, wurden 80.000 Menschen vertrieben. Diese Waldbrände sind zwar bislang noch nicht direkt mit dem Klimawandel in Verbindung gebracht worden, doch zu der Zeit wurde die Region von einer Rekordhitze und ungewöhnlich trockenen Wetterbedingungen heimgesucht. Wissenschaftler haben aufgrund der globalen Erwärmung einen dramatischen Anstieg der Anzahl von zerstörerischen a dramatic increase in disruptive Waldbränden prognostiziert.
Solche Probleme befinden sich weltweit auf dem Vormarsch und führen zu einem Anstieg der Zahl an Klimaflüchtlingen.
Eine Sängerin kommt nach Rom — mit Hoffnung im Gepäck und vom Papst inspiriert
Emmylou Harris reiste im Juni nach Rom, um dem Aufruf von Papst Franziskus zu folgen, der dazu aufgefordert hatte, Maßnahmen zur Linderung des durch die weltweite Flüchtlingskrise verursachten Leids zu ergreifen.
Zum 35-jährigen Jubiläum des Jesuiten-Flüchtlingsdienstes im November 2015 forderte der Papst die Organisation dazu auf, „Barmherzigkeit zu praktizieren“. Jenen Menschen, die ihre Heimat aus verzweifelten Gründen, wie etwa inneren Unruhen oder dem Klimawandel, verlassen, werde so vieles genommen, betonte der Jesuitenpapst, doch eine Sache, die ihnen niemand nehmen könne, sei ihre Bildung.
Als Reaktion darauf startete der JRS seine Globale Bildungsinitiative im Rahmen des Jahres der Barmherzigkeit, das die katholische Kirche 2016 ausgerufen hatte. Von diesem Programm sollen zehntausende Flüchtlinge in den 45 Ländern profitieren, in denen der JRS tätig ist. Der Papst forderte den JRS dazu heraus, die Zahl der Flüchtlinge, die an von dieser Organisation finanzierten Bildungsprojekten teilnehmen, bis zum Jahr 2020 auf 220.000 zu verdoppeln.
„Schulen sind Orte der Freiheit, die die Flamme der Hoffnung am Leben erhalten“, sagte Papst Franziskus letzten Herbst. „Ein Platz in der Schule ist das schönste Geschenk, das man einem Kind machen kann.“
In seiner beispiellosen Enzyklika Laudato Si, Über die Sorge für das gemeinsame Haus, deren Veröffentlichung durch den Vatikan vor fast einem Jahr weltweit für Aufsehen sorgte, stellte Papst Franziskus ebenfalls einen direkten Zusammenhang zwischen dem Klimawandel und seinen Auswirkungen auf die ärmsten Menschen der Welt her. Papst Franziskus spielte im Dezember auch eine führende Rolle als Befürworter des Pariser Klimaabkommens.
„Die Menschheit ist aufgerufen, sich der Notwendigkeit bewusst zu werden, Änderungen im Lebensstil, in der Produktion und im Konsum vorzunehmen, um diese Erwärmung oder zumindest die menschlichen Ursachen, die sie hervorrufen oder verschärfen, zu bekämpfen“, schrieb der Papst in seiner Enzyklika.
Am 3. Juni traf Emmylou Harris, eine lebende Legende der amerikanischen Musikszene und eine Frau, deren Engagement für humanitäre Zwecke tief verwurzelt ist, in Rom ein, um drei Tage mit ihren Gastgebern des JRS zu verbringen. Sie kam nach Rom, um tiefere Einblicke in die Flüchtlingskrise zu gewinnen, und flog anschließend nach Äthiopien, um dort eines der größten Flüchtlingslager der Welt zu besuchen.
„Wie können wir so viel Schmerz und Leid sehen und denken, dass es normal sei?“, fragte die 13-fache Grammy-Gewinnerin. „Das kann nicht normal sein. Wir dürfen die Hoffnung nicht aufgeben. Wir dürfen den Glauben nicht verlieren. Wir müssen tun, was wir können.“
Harris wurde daran erinnert, dass die Mission des JRS trotz ihres katholischen Namens und ihrer Verbindungen zu Papst Franziskus ökumenisch und religionsunabhängig ist. „Es spielt keine Rolle, welcher Glaubensgemeinschaft Sie angehören“, sagte Jill Drzewiecki, eine Fundraiserin des JRS, „es findet keine Evangelisierung statt. Tatsächlich sind weit mehr als die Hälfte der Menschen, denen wir helfen, Moslems.“
Erfahrung im weltweiten Einsatz für gute Zwecke
Für Harris, die 69 Jahre alt ist und immer noch den Enthusiasmus und die natürliche Schönheit ihrer Jugend ausstrahlt, ist das Engagement für humanitäre Zwecke nichts Neues. Ende der 90er-Jahre wurde sie von ihrer langjährigen Freundin Gail Griffith, der heutigen Leiterin der Globalen Bildungsinitiative des JRS, eingeladen, sich dem Kampf um ein Verbot von Landminen in Südostasien anzuschließen.
„Ich war gerade durch den Film und das Buch, Der englische Patient [von Michael Ondaatje], darauf aufmerksam geworden“, erzählte Harris. „Das war etwas, das den Amerikanern einfach nicht bewusst war. Doch noch lange nach dem [Vietnam-]Krieg waren so viele Menschen davon betroffen. Menschen wurden durch Waffen getötet und verletzt. Ihre Leben wurden zerstört. Ganze Länder wurden dadurch in Geiselhaft gehalten. Doch es kümmerte niemanden, da der Krieg vorbei war.“
Ihre Freundin Griffith erinnerte sich: Ich rief Emmylou an und fragte: Möchtest du mit mir an der Landminen-Kampagne arbeiten?“, und sie sagte: „Ja. Ich werde alles dafür tun.“
Daraufhin organisierten sie über einen Zeitraum von vier Jahren hinweg eine Reihe von kleinen, intimen Konzerten in den USA, Kanada und Europa, die die Menschen für diese Problematik sensibilisierten und der Kampagne Millionen Dollar einbrachten. Bei den Konzerten handelte es sich um intime akustische Veranstaltungen in mittelgroßen Räumlichkeiten, wo Musiker wie Harris, Elvis Costello, Buddy Miller, John Prine und Steve Earle Lieder spielten, die zum Moment passten und an geeigneter Stelle Botschaften gegen den Einsatz von Landminen enthielten. Das Publikum liebte diese Konzerte.
„Ich nutze den Star-Faktor und die transformative Macht der Musik“, sagte Gail Griffith. „Und ich weiß auch, dass die Menschen die Konzerte nicht wegen der guten Sache besuchen, sondern wegen der Musiker. Doch sobald sie einmal dort sind, kann man ihnen die Geschichte erzählen.“
Die Rechnung ging auf, und zwar so gut, dass die Geschichte noch größere Ausmaße annahm. Der amerikanische Vietnamveteran Bobby Muller, der auf vielen der Konzerte eine Rede gehalten hatte, wurde wegen seines Engagements für dieses Thema im Jahr 1997 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. Emmylou Harris wurde eingeladen, im folgenden Jahr auf der Verleihungszeremonie in Oslo zu singen.
Lass ein Licht erstrahlen, Ruf nach Mitgefühl
Harris und Griffith zeichnen sich beide durch ihren festen Glauben an das große Potenzial an Mitgefühl aus, das in den wohlhabendsten Menschen der Industrieländer schlummert. Daher möchten sie mit einer Konzerttournee unter der Leitung von Harris mit dem Titel „Lampedusa, Shine a Light, Call for Compassion“ (Lampedusa, Lass ein Licht erstrahlen, Ruf nach Mitgefühl) an den Erfolg der Anti-Landminen-Kampagne anknüpfen.
Im Oktober sind Konzerte in elf Städten in den USA vorgesehen, das erste in Boulder, Colorado, am 6. Oktober und das letzte drei Wochen später in Washington, D.C. Sie alle dienen dazu, Geld für die Flüchtlings-Bildungsinitiative des JRS zu sammeln. Eine Europatournee im Sommer 2017 ist ebenfalls im Gespräch. Der U2-Sänger Bono, ein großer Unterstützer humanitärer Zwecke, wurde gebeten, ein zweiminütiges Informationsvideo zu erstellen, mit dem die Shows eröffnet werden sollen.
Am 3. Juni begann Harris damit, in Rom die Lernkurve der eskalierenden Flüchtlingskrise in Europa zu beschreiten: „Ich erfahre gerade die komplizierten Einzelheiten“, erzählte sie mir beim Frühstück. „Die Leute vom JRS beschäftigen sich mit der Situation. Ich werde dort nur hingehen und das machen, was ich mache. Hoffentlich wird es etwas bewirken.“
Ihr Engagement kommt zur rechten Zeit. Zwei Wochen zuvor waren 700 Flüchtlinge in überfüllten Booten im Mittelmeer ums Leben gekommen. Am 2. Juni wurden weitere 85 Leichen in Libyen an Land gespült. Schätzungen zufolge werden diesen Sommer noch tausende Flüchtlinge nach Griechenland und Italien strömen. Rund eine Million Flüchtlinge und Migranten befinden sich bereits in den 28 Mitgliedsstaaten der Europäischen Union.
So groß diese Zahlen auch scheinen mögen, es könnte sich dabei nur um die Vorboten einer menschlichen Flut handeln. Eine Studie von Jeffrey D. Sachs, die in der populärwissenschaftlichen Zeitschrift Scientific American veröffentlicht wurde, kam zu folgendem Ergebnis: „Vom Menschen verursachte klimatische und hydrologische Veränderungen werden wahrscheinlich dazu führen, dass viele Teile der Welt unbewohnbar oder zumindest unwirtschaftlich werden. Innerhalb der nächsten paar Jahrzehnte, wenn nicht sogar noch früher, könnten sich hunderte Millionen Menschen aufgrund von Umweltbelastungen gezwungen sehen, ihre Heimat zu verlassen.“
Eine Studie aus dem Jahr 2016 kommt zu dem Schluss, dass die Temperaturen in Teilen Nordafrikas und des Nahen Ostens aufgrund des Klimawandels bis zum Ende des Jahrhunderts auf ein unerträglich hohes Niveau ansteigen und diese Gebiete dadurch unbewohnbar werden könnten — derzeit leben dort 500 Millionen Menschen.
Der Glaube an das Gute im Menschen
Mit offenem Mund und vorm Gesicht zusammengeschlagenen Händen hörte Harris den JRS-MitarbeiterInnen zu, die sie über die Flüchtlingszahlen und veralteten UN-Bestimmungen informierten, die eine effiziente Reaktion auf diese Krise erschweren würden. Sie besuchte das Joel-Nafuma-Flüchtlingszentrum nahe der Piazza della Repubblica im Herzen Roms und sprach mit verzweifelten Flüchtlingen, die aus ihrer Heimat in Afrika und im Nahen Osten fliehen mussten. Sie hörte die schreckliche Geschichte eines 25-jährigen, mehrsprachigen Waisen und Flüchtlings aus Mali, der sich in Rom seit vier Jahren in einer rechtlichen Grauzone befindet.
Doch trotz allem gab Harris die Hoffnung nicht auf. Sie glaubt, dass Musik eine Veränderung herbeiführen und so einen kleinen Beitrag zur Erfüllung der hohen Ziele des Papstes zur Linderung des Leids der Flüchtlinge leisten könne.
„Ich glaube an das Gute im Menschen. Vielleicht, weil ich so ein gesegnetes Leben hatte“, erzählte mir Harris. „Ich kann mich in vielerlei Hinsicht glücklich schätzen. Und vor allem, wenn man ein Musiker oder ein Künstler ist und so seinen Lebensunterhalt verdient, und zwar auf die bestmögliche Art und Weise und mit so viel Freude, dann möchte man etwas zurückgeben.“
„Ich sehe diese [Eigenschaft] in allen Künstlern und in allen Musikern, die ich kenne“, fügte sie hinzu. „Sie sagen: „Sag mir, was ich machen kann.“ Natürlich kann ich nicht die großen, schweren Aufgaben übernehmen, die die Menschen verrichten, die wir [hier in Rom] treffen. Wir verfügen nicht über ihre Erfahrung. Aber wir werden diese Shows zusammenstellen. Wir werden Geld sammeln und zur Bewusstseinsbildung beitragen, und wir werden versuchen, der fehlende Puzzlestein zu sein.“
Zurück in der Kirche, die das Flüchtlingszentrum beherbergt, nahm eine Gruppe von uns ein Mittagessen zu sich, das von einem afghanischen Flüchtling zubereitet wurde, dessen ganze Familie vor seiner Flucht nach Rom ermordet worden war.
In nur wenigen Stunden lernte Emmylou Harris viel Neues. Für andere wäre es zu viel oder zu entmutigend gewesen, doch nicht für sie.
„Der Wunsch, etwas zu bewirken, ist eine mächtige Kraft“, erzählte sie uns. „Ich glaube einfach, dass der Wille irgendwo da draußen vorhanden ist. All das ist so überwältigend, doch es ist nicht unmöglich.“
Justin Catanoso ist Professor für Journalismus an der Wake Forest University im US-Bundesstaat North Carolina und ein freiberuflicher Journalist, der diesen Frühling aus Europa berichtet. Er verfasst oft Reportagen für Mongabay.