- Sklaverei, Kinderarbeit, Misshandlungen und Mord sind gut dokumentierte Vorfälle in den Lieferketten der Fischereiindustrie.
- Es gibt neue Ansätze zur Verbesserung der Menschenrechtssituation in dieser Branche. Diese beinhalten oft eine soziale Dimension für Zertifizierungen für nachhaltige Fischerei oder die Verbesserung der Überwachung durch technische Mittel.
- Expert_innen sind sich jedoch noch uneinig darüber, welche Ansätze sinnvoll oder zu begrüßen sind.
Als Bayani durch einen Vermittler in seinem Heimatland, den Philippinen, einen Arbeitsplatz in der Fischereiindustrie im Ausland fand, ging es darum, Arbeit zu finden, für die er qualifiziert war und die ihm Spaß machte und es ihm ermöglichte, seine Familie zu ernähren. Er hatte nicht erwartet, dazu gezwungen zu werden, illegal zu fischen, auf einem Fangschiff gefangen gehalten zu werden oder seinen Pass und andere Dokumente von seinem Arbeitgeber abgenommen zu bekommen. Dennoch hätte er vielleicht nichts gesagt, sagte er, wenn seine Familie zu Hause seinen Lohn erhalten hätte, wovon er ausgegangen war. Aber als Bayani erfuhr, dass ein Dritter seine Bezahlung aufgrund angeblicher Schulden seines Arbeitgebers einzog, entschied er sich, sein Schweigen ungeachtet der Konsequenzen zu brechen.
Bayanis Leidensweg dauerte Monate, während derer er sich um sein eigenes Wohl und um das seiner Familie sorgte. Aber weil er Zugang zu einem Mobiltelefon und dadurch zu einem früheren Arbeitgeber hatte, der seinen aktuellen Arbeitgeber beeinflussen konnte, entkam er schließlich seiner Tortur. Viele andere Fischer_innen in der globalen Fischereiindustrie haben nicht so viel Glück. Bayani wurde nicht entführt und versklavt. Er musste weder Mord noch Kinderarbeit oder sexuelle Misshandlungen miterleben – alles gut dokumentierte Vorfälle in der Fischereiindustrie.
Menschenrechtsverletzungen in der Fischereiindustrie haben Schlagzeilen gemacht, die Regierungen, NGOs, Unternehmen und Konsument_innen dazu gebracht haben, eine ganzheitlichere Sichtweise von Nachhaltigkeit in Betracht zu ziehen – eine, die sowohl soziale als auch ökologische Verantwortung einbezieht. In letzter Zeit gibt es neue Ansätze zur Verbesserung der Menschenrechtssituation in dieser Branche. Diese beinhalten oft das Hinzufügen einer sozialen Dimension zu Zertifikaten für nachhaltige Fischerei oder die Verbesserung der Überwachung durch technische Mittel. Expert_innen sind sich jedoch noch uneinig darüber, welche Ansätze sinnvoll oder zu begrüßen sind, je nachdem, wie gravierend die Situation ist.
„Es ist schwer, das Ausmaß von Ausbeutung zu verstehen, die in den Lieferketten der Fischereiindustrie auf der ganzen Welt stattfindet,“ sagte Shawn MacDonald, verantwortlicher Projektleiter der Arbeitsrechtsorganisation Verité mit Sitz in Massachusetts, gegenüber Mongabay. „Wir beobachten schwere Ausbeutung – Menschenhandel in der Fischereiindustrie – in vielen Regionen, nicht nur in den Regionen, die die meiste Aufmerksamkeit erhalten, wie Südostasien.“
Das Außenministerium der Vereinigten Staaten hat über 50 Länder identifiziert, aus denen so genannte „mit Sklaverei behaftete“ Fischereierzeugnisse kommen. Viele dieser Länder beliefern europäische und US-amerikanische Märkte. MacDonald sagte, dass das Problem in den Lieferketten sowohl des Wildfangs als auch von in Aquakultur gezüchteter Fischereierzeugnisse systemisch sei. Die Arbeit sei üblicherweise durch „die drei Ds“ – dirty, dangerous und difficult (dreckig, gefährlich und schwierig) – charakterisiert. Quer durch alle Branchen fallen solche Arbeitsplätze oft mit Menschenrechtsverletzungen wie Menschenhandel, Sklaverei, Kinderarbeit und sexueller Misshandlung zusammen, besonders, wenn sie mit rechtswidrigen Handlungen verbunden sind.
Und rechtswidrige Handlungen sind in der Fischereiindustrie sehr verbreitet. Laut einer aktuellen Studie sind 32 % der wild gefangenen Fischereierzeugnisse, die in die USA importiert werden, illegal. Ungefähr 90 % der Fischereierzeugnisse, die von Amerikaner_innen konsumiert werden, sind importiert. Bezüglich der Aquakultur, die inzwischen ungefähr die Hälfte der US-amerikanischen Importe von Fischereierzeugnissen ausmacht, gibt es ebenfalls ernste Bedenken.
Dennoch bleibt MacDonald zuversichtlich, dass die Menschenrechtsverletzungen in der Fischereiindustrie beseitigt werden können. „Obwohl die Herausforderungen im Fischereisektor besonders heftig erscheinen (…) ist es wichtig, zu sehen, dass es Lösungen gibt,“ sagte er.
Die Fischereiindustrie ist seit Langem wegen ökologischen Problemen wie Überfischung und Habitatbeeinträchtigung in der Kritik. Durch die teilweise gemeinsame Entwicklung von Instrumenten durch NGOs, Branchengruppen und Regierungen hat das Blatt jedoch begonnen sich zu wenden. Das am stärksten öffentlich ausgerichtete dieser Instrumente ist die Zertifizierung, wobei ein Fischereierzeugnis ein Siegel erhält, das den Konsument_innen zeigt, dass es gewisse Kriterien erfüllt. Das bekannteste Zertifikat ist das des Marine Stewardship Council (MSC) mit Sitz in London, welches Fischereizonen zertifiziert, in denen nachhaltig gefischt wird sowie Lieferketten, die nachweisen können, dass der Fisch in der Verpackung mit dem Etikett übereinstimmt. Aber eine Fülle weiterer solcher Zertifikate ergänzt das des MSC und konkurriert in manchen Fällen direkt mit diesem.
Einige Expert_innen für Fischereierzeugnisse arbeiten jetzt an Zertifizierungen, die Menschenrechtsrisiken und andere soziale Belange einbeziehen, da es wirklich nachhaltige Fischereierzeugnisse nur geben könne, wenn auch die Arbeitsbedingungen verbessert würden.
Mia Newman, Investment-Managerin der Stiftung Humanity United mit Sitz in San Francisco, ist eine von ihnen. „Es ist unsere Überzeugung, dass wir sowohl ökologische als auch soziale Praktiken und Standards in die Instrumente, die bereits für ökologische Zwecke bestehen, einbeziehen müssen,“ sagte Newman gegenüber Mongabay. „Immer mehr Umweltexpert_innen denken darüber nach, wie bestehende Grundlagen um einige der Kriterien und Indikatoren für Zwangsarbeit und andere soziale Probleme ergänzt werden können.“
Allerdings sind nicht alle der Meinung, dass Zertifizierungen allumfassend sein sollten.
„Nachhaltigkeitszertifizierungen durch Dritte waren eine große Verbesserung gegenüber der alten Vorgehensweise,“ sagte Grimur Valdimarsson, früherer Geschäftsführer der Fish Products and Industry Division der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen gegenüber Mongabay. „Ich gebe zu, dass man ein ziemlich schlechter Mensch sein muss, um gegen verbesserte Menschenrechte, Krankenversicherung für Arbeiter_innen, sichere Arbeitsbedingungen oder eine gewisse Absicherung gegen Kinderarbeit zu sein. Aber wenn dieser starke Ruf nach dem allumfassenden Ansatz beginnt, wirklichen Fortschritt aufzuhalten, dann ist es meiner Meinung nach ernst.“
Als Beispiel nannte Valdimarsson die Global Sustainable Seafood Initiative, ein internationaler Versuch, Klarheit in die verwirrende Fülle an Zertifikaten für Fischereierzeugnisse zu bringen. Im letzten Herbst kritisierte die Umweltorganisation World Wide Fund for Nature (WWF) – Gründungsmitglied des MSC – diese Initiative. Ein Grund hierfür war deren Entscheidung, soziale Belange, die die Nachhaltigkeit von Fangeinsätzen beeinflussen, nicht zu berücksichtigen. „Dieser Ruf nach Perfektion fängt an, den Fortschritt dabei, Fischereien unter Kontrolle zu bringen, aufzuhalten,“ sagte Valdimarsson.
Valdimarsson behauptet, dass Menschenrechtsfragen politisch sind und dass Politiker_innen Fragen der sozialen Gerechtigkeit regeln sollten. „Wenn sie dies in demokratischen Ländern nicht schaffen, wählen wir neue Politiker_innen,“ sagte er. „Ich widerspreche entschieden denjenigen, die daran festhalten, dass es ohne die Berücksichtigung von Menschenrechtsfragen, so wichtig sie auch sind, keine nachhaltige Fischerei geben kann.“
Bisher gibt es keine dieser allumfassenden Zertifikate, die rigoros alle Faktoren einbeziehen, obwohl einige mit ökologischen Kriterien Schritte in diese Richtung unternommen haben. Beispielsweise führte der MSC 2014 ein neues Kriterium ein, wodurch Unternehmen, die wegen Zwangsarbeit erfolgreich strafrechtlich verfolgt wurden, nicht für Zertifikate des MSC in Frage kommen. „Der MSC verurteilt den Einsatz von Zwangsarbeit,“ sagte Jon Corsiglia, Medienmanager des MSC, gegenüber Mongabay und wies darauf hin, dass die Organisation regelmäßig mit anderen Organisationen zusammenarbeitet, um soziale Standards für die Fischereiindustrie zu entwickeln. „Zwangsarbeit und menschliches Wohlergehen sind zunehmend wichtige Überlegungen in Bezug auf den ethischen Konsum von Fischereierzeugnissen.“
Zwischenzeitlich gibt es einen ähnlichen Ansatz, der Zertifikate, die ausschließlich soziale Fragen berücksichtigen, rein ökologischen Zertifikaten hinzufügen will. Einer davon ist Seafish, eine öffentliche Einrichtung im Vereinigten Königreich, die die Fischereiindustrie repräsentiert. „Ich denke, die Fragen sind so vielfältig, dass wir eine Reihe von Werkzeugen in unserem Werkzeugkasten brauchen werden,“ sagte Tom Pickerell, technischer Leiter von Seafish, gegenüber Mongabay.
Seafish legt einen besonderen Schwerpunkt auf sein Projekt namens Responsible Fishing Scheme (RFS). Das RFS startete im Januar und ist ein freiwilliges, unabhängig geprüftes Programm zur Zertifizierung einzelner Fischereifahrzeuge, die hohen Standards in Bezug auf das Wohl der Crew und verantwortungsvolle Fangpraktiken entsprechen.
„Das RFS von Seafish ergänzt andere Standards und kann vor allem Zertifikaten für Wildfisch hinzugefügt werden, um zusätzliche Sicherheit bezüglich der betreffenden Schiffe und Crews zu bieten,“ sagte Pickerell. Seafish und der MSC arbeiten gemeinsam an einem Pilotprojekt in Südengland. Dabei sollen eine ganze Schalentierfischerei durch den MSC und die Schiffe der Fischerei durch das RFS zertifiziert werden. „Wir nennen das das „Matrjoschka-Prinzip“, sagte Pickerell.
Das Matrjoschka-Prinzip kann laut Pickerell bei der Aquakultur einen Schritt weiter geführt werden. Ein Fischzuchtbetrieb kann sich um die Zertifizierung seiner Aquakultur bemühen, und um die Zertifizierung der Fischerei, die das Futter liefert, und um die Zertifizierung der Fangschiffe der Futterfischerei.
Aurora Alifano, Projektleiterin der gemeinnützigen Organisation FishWise mit Sitz in Santa Cruz in Kalifornien, die sich für nachhaltige Fischerei einsetzt, unterstützt die grundlegende Idee, Zertifikate für Fischereierzeugnisse um Menschenrechtskriterien zu ergänzen. Sie wies darauf hin, dass diese Zertifikate verlangen, dass die Industrie neue Kompetenzen entwickelt, um die Herkunft der Fischereierzeugnisse nachvollziehen zu können. Sie sagte jedoch, dass die Industrie noch weiter gehen müsse, um ihr Menschenrechtsproblem in den Griff zu bekommen.
„Die Einführung verlässlicher Praktiken zur Nachvollziehbarkeit – bei denen jedes Glied in der Lieferkette den Eingang, die Verarbeitung und den Transport von Fischereierzeugnissen verfolgen kann – ist ein wichtiger erster Schritt zur Reduzierung von illegalem Fischfang, Menschenrechtsverletzungen sowie falscher Deklarierung und Betrug bei Fischereierzeugnissen (…) jedoch ist das nicht das einzige nötige Instrument zur Behebung sozialer Probleme,“ sagte sie gegenüber Mongabay.
Alifano glaubt, dass die Anwendung traditioneller Maßnahmen zum Arbeitnehmer_innenschutz auf die Fischereiindustrie – beispielsweise Beschwerdeverfahren, die Befähigung von Arbeiter_innen, sich zu organisieren, und die Sicherstellung gerechter Löhne – zusätzliche Sicherheit bieten wird.
Es stehen außerdem einige technische Instrumente in Aussicht, die helfen könnten. Seafish entwickelt zusammen mit dem Seafood Watch-Programm des Monterey Bay Aquarium und der NGO Sustainable Fisheries Partnership eine Online-Anwendung zur Risikobewertung für Menschenrechte. Diese soll kommerzielle Kund_innen von Fischereierzeugnissen über sämtliche Aspekte in Bezug auf Fischereien sowie Land oder Region, die erfasst wurden, informieren. Einer der Standards, die der Entwurf der Anwendung betrachtet, ist zum Beispiel, ob ein Land das Übereinkommen über Zwangsarbeit oder das Palermo-Protokoll der UN – internationale Vereinbarungen, die Sklavenarbeit, Menschenhandel und Schmuggel von Migrant_innen behandeln – unterzeichnet hat. „Das Instrument wird es Kund_innen ermöglichen, potentielle Risiken zu prüfen und, wo es möglich ist, Maßnahmen zu ergreifen oder zu verlangen,“ sagte Pickerell.
Newman von Humanity United wies auf andere Technologien hin, die gerade entwickelt werden, und die Praktiken und Arbeiter_innenrechte auf Schiffen auf See überwachen können. Zum Beispiel können durch GPS-Überwachung die Position eines Schiffs verfolgt und Orte ausfindig gemacht werden, an denen Fischer_innen an Bord oder von Bord eines Schiffs gehen könnten. Videoübertragungssysteme könnten Fischer_innen regelmäßige Gelegenheiten bieten, ihre Familien oder Arbeitsbehörden zu kontaktieren. Außerdem hat Newman bessere Lohnzahlungssysteme im Blick, die mobile Bezahlsysteme nutzen und es einer Kontrollinstanz wie einer NGO oder Regierungsbehörde ermöglichen würden, Fälle ausfindig zu machen, in denen Löhne nicht oder nur teilweise gezahlt werden.
Expert_innen sind sich darüber einig, dass diese neuen Ansätze – angewendet auf verschiedenen Ebenen, von der Fischereiindustrie selbst bis hin zu NGOs und Regierungsbehörden – gute Aussichten haben, die Menschenrechtssituation in dieser Branche zu verbessern. Sie sagen jedoch, dass es noch immer viel zu tun gibt.
„Mit diesen Instrumenten werden wir bedeutende Verbesserungen erleben, aber es wird lange dauern und nachhaltiges Engagement erfordern, um diese Veränderung wirklich zu erreichen,“ sagte Newman. „Wir müssen gemeinsam unsere Aufmerksamkeit und unsere Verantwortung darauf richten, für eine Bewusstseinsverschiebung zu sorgen und zu erkennen, was es wirklich kostet, unsere Fischereierzeugnisse aus der Fischerei, der Zucht oder der Fabrik bis auf die Teller der Konsument_innen zu bringen.“
Quellen
- Pramod, G., Nakamura, K., Pitcher, T. J., & Delagran, L. (2014). Estimates of illegal and unreported fish in seafood imports to the USA. Marine Policy48: 102-113.