- Im Jahr 2014 erklärten die Vereinten Nationen die sinkende Wirksamkeit der Antibiotika zu einer „ernsthaften Bedrohung“ für die globale Gesundheit.
- Eine Gruppe von Wissenschaftlern hat ein resistenzsicheres Antibiotikum entdeckt.
- Der iChip, ein neues Gerät, könnte der Schlüssel zur Entdeckung möglicher neuer Antibiotika sein.
Seit der Mitte des 20. Jahrhunderts haben Antibiotika unzählige Leben gerettet. Doch ihre lebenspendende Kraft schwindet aufgrund der zunehmenden Bakterienresistenz rasant. Im Jahr 2014 erklärten die Vereinten Nationen dieses Problem zu einer „ernsthaften Bedrohung“ für die globale Gesundheit.
Vor Kurzem berichtete jedoch eine neue Studie, die im Fachblatt Nature veröffentlicht wurde, über die Entdeckung eines resistenzsicheren Antibiotikums, die möglicherweise einen Meilenstein im Kampf gegen Infektionskrankheiten darstellen könnte.
Weltweit werden rund 50.000 Todesfälle pro Jahr durch antibiotikaresistente Keime verursacht. Laut dem Bericht zur Mikrobiellen Resistenz der britischen Regierung könnte diese Zahl bis 2050 auf 10 Millionen steigen, wenn sich die derzeitigen Resistenzraten fortsetzen und keine neuen Antibiotika entdeckt werden, die eine brauchbare Alternative darstellen.
Der weit verbreitete und wahllose Antibiotikaeinsatz durch landwirtschaftliche Großbetriebe und die Lebensmittelindustrie gilt als bedeutender Einflussfaktor im Zusammenhang mit dem Anstieg der Antibiotikaresistenz in den letzten Jahren. Außerdem ist die schwindende Wirksamkeit der Antibiotika zur Behandlung von Infektionskrankheiten auch auf den Übergebrauch und die unsachgemäße Anwendung durch die Gesamtbevölkerung zurückzuführen, wodurch die Resistenzbildung bei Bakterien weiter gefördert wird.
„Ohne sofortige und zwischen vielen Akteuren koordinierte Maßnahmen steuert die Welt auf ein postantibiotisches Zeitalter zu, in dem gewöhnliche Infektionen und leichte Verletzungen, die seit Jahrzehnten behandelbar sind, erneut tödlich verlaufen können“, sagte Dr. Keiji Fukuda, der Stellvertretende Generaldirektor für Gesundheitssicherheit der Weltgesundheitsorganisation.
Beim Versuch, eine Trendwende in der Entwicklung von Antibiotikaresistenzen herbeizuführen, ist eine Gruppe von Wissenschaftlern des Pharmaunternehmens NovoBiotic Pharmaceuticals und der Northeastern Universität auf eine mögliche Goldgrube an neuen Wirkstoffen gestoßen, die unter unseren Füßen vergraben liegt. Dort – in einem Fleckchen Erde im US-Bundesstaat Maine – entdeckten sie ein faszinierendes, resistenzsicheres Antibiotikum, dem sie den Namen Teixobactin gaben.
Die Suche nach Antibiotika in der Erde
Bis vor Kurzem beschränkte sich die Entdeckung neuer Wirkstoffe auf die Erforschung von rund einem Prozent aller Bakterien – und zwar auf jene, die sich leicht unter Laborbedingungen kultivieren lassen. Aus diesem Bereich stammen alle Antibiotika, die heute in Apotheken und Krankenhäusern erhältlich sind. Am Ende der 1960er-Jahre gab es jedoch nur noch wenig zu entdecken, da der Vorrat an im Labor kultivierbaren Bodenmikroorganismen bereits ausgeschöpft worden war. Damit war die erste Ära der Antibiotikaentdeckungen praktisch zu Ende, und seither sind nur wenige neue Antibiotika auf den Markt gekommen.
Der Leiter der Studie, Kim Lewis, und sein Team wollten die verbleibenden 99 Prozent der unkultivierbaren, im Boden lebenden Bakterien nutzen. Dabei handelt es sich genau um jene Bakterien, die von Wissenschaftlern bislang nicht erforscht werden konnten, da es ihnen nicht gelungen war, sie unter Laborbedingungen zu züchten. Um diese Hindernisse zu überwinden, mussten die Forscher den natürlichen Lebensraum der Bakterien ins Labor bringen, doch dafür war eine neue Technologie erforderlich.
Hier kommen Lewis und Slava Epstein ins Spiel. Sie arbeiteten mehrere Jahre lang mit einer Gruppe von Technikern zusammen, um eine Möglichkeit zu finden, mit deren Hilfe jene 99 Prozent der nur in der Natur vorkommenden Bodenbakterien im Labor gezüchtet werden können. Dies gelang ihnen im Jahr 2002, doch es gab immer noch ein schwerwiegendes Problem: Alle Arten von Bodenbakterien waren miteinander vermischt. Zur Erforschung einzelner Bakterienstämme mussten sie einen Weg zur Isolation einer einzelnen Bakterie finden, um diese im Anschluss unter natürlichen Bedingungen kultivieren zu können.
So entstand der iChip
Der iChip war die Lösung. Dabei handelt es sich um ein kleines, einfaches Gerät, das in rund fünf Minuten zusammengebaut werden kann. Eine einzelne Bodenbakterie – jene, die die Wissenschaftler kultivieren möchten – wird in einer der von einer porösen Membran umgebenen „Kammern“ des iChips eingeschlossen. Die Löcher in der Membran sind groß genug, um das Eindringen von Wasser und Nährstoffen zu erlauben, aber so klein, dass die Bakterie die Kammer nicht verlassen kann. Dadurch wird sie isoliert und kann sich nicht mehr mit anderen Bakterien vermischen. Der gesamte iChip wird anschließend wieder in der Erde vergraben, wo die Bakterie nun erfolgreich wachsen kann. Auf diese Weise wird die Erforschung ihrer antibiotischen Eigenschaften ermöglicht.
Durch den iChip war es bereits möglich, 10.000 zuvor unkultivierbare Bakterien zu isolieren und auf ihre antibiotischen Eigenschaften zu untersuchen. Ein Wirkstoff, der schon früh die Aufmerksamkeit der Wissenschaftler erregte, war Teixobactin – ein wirklich großer Fisch, wie der Wissenschaftsjournalist Ed Yong erklärt. „Teixobactin ist wie ein Fisch, und der iChip ist die Angel. Da wir nun über die Angel verfügen, werden wir damit sicherlich noch mehr Fische fangen – und das ist auch dringend notwendig.“ Die Forscher hoffen, dass es ihnen mithilfe des iChips gelingen wird, dem an Wirksamkeit einbüßenden Antibiotika-Arsenal der Menschheit neue wirksame Arzneimittel hinzuzufügen.
Teixobactin ist den Forschern zufolge eine besonders spannende Entdeckung, da dieser Wirkstoff einen schlauen Mechanismus zur Umgehung der Bakterienresistenz entwickelt hat. Im Gegensatz zu anderen Mikroben, die nur eine bestimmte Stelle in der Zellwand krankheitserregender Bakterien angreifen, greift Teixobactin an mehreren Stellen an und kann sich leicht an unterschiedlichen Regionen der Zellwand festsetzen. Durch diesen tödlichen Doppelschlag werden die Möglichkeiten zur erfolgreichen Resistenzentwicklung eingeschränkt.
In Tierversuchen hat sich gezeigt, dass Teixobactin einige antibiotikaresistente Krankheitserreger äußerst wirksam abtötet. Teixobactin wirkt sehr gut gegen infektiöse Bakterien, wie etwa den MRSA-Erreger clostridum dificile – eine Bakterie aus der Gruppe der Staphylokokken, die zu Durchfall führt und bereits gegen viele gängige Antibiotika resistent geworden ist. Dasselbe gilt für die Erreger von Anthrax und Tuberkulose.
Der neue Wirkstoff bindet an Lipid II (das die Bakterien zum Aufbau dicker Zellwände benötigen) und Lipid III (das den Zerfall bestehender Zellwände verhindert). Diese beiden Lipide werden den Krankheitserregern durch Teixobactin entzogen. Dadurch kommt es zur Freisetzung von Autolysin, einem Enzym, das den Zerfall einer Zelle hemmt. Dies wiederum führt zu einer unkontrollierten Hydrolyse in der Zellwand, wodurch der Krankheitserreger schließlich platzt und stirbt. Bei Vorhandensein dieses Wirkstoffs können sich keine neuen Bakterien bilden.

Es ist der ungewöhnliche Angriffsmechanismus, der zur charakteristischen Resistenz von Teixobactin führt. „Die meisten Antibiotika … greifen nur an einer Stelle an“, erklärte Dallas Hughes, der Leiter von NovoBiotic Pharmaceuticals, gegenüber mongabay.com. „Teixobactin greift an zwei Stellen an, daher müssten sich beide Stellen [durch Bakterienmutationen] verändern, damit es zur Resistenz kommen kann, und dies ist sehr unwahrscheinlich“, so Hughes. „Außerdem bindet Teixobactin an eine nicht-peptide Region seines Ziels, sodass die herkömmliche Resistenzbildung durch Mutationen in der Aminosäuresequenz nicht möglich ist.“
Dies bedeutet nicht, dass die Bildung von Resistenzen gegen Teixobactin unmöglich ist. Ganz im Gegenteil, irgendwann wird es sicherlich dazu kommen. Doch dieser Entwicklungsprozess wird langsamer vor sich gehen, als es bei den bisherigen Antibiotika der Fall war. „Wir schätzen, dass die Resistenzbildung zumindest beträchtlich langsamer verlaufen wird als bei anderen Antibiotika“, sagte Brian Conlon von der Northeastern Universität, ein Mitglied des Forscherteams.
Die Autoren vergleichen den neuen Wirkstoff mit dem Antibiotikum Vancomycin, das häufig gegen bakterielle Infektionen eingesetzt wird. Nachdem der Wirkstoff für die Medizin verfügbar wurde, habe es 30 Jahre gedauert, bis sich Resistenzen gegen Vancomycin entwickelten. Bei Teixobactin werde es durch seinen charakteristischen und neuartigen Angriffsmechanismus wahrscheinlich sogar noch länger dauern, bis sich Resistenzen einstellen.

Es wird noch mehrere Jahre dauern, bis Teixobactin in klinischen Studien an Menschen getestet werden kann. Wenn der Wirkstoff schließlich für den Einsatz durch Ärzte Und Krankenhäuser zugelassen wird, dann müsse er mit Bedacht verschrieben und richtig angewendet werden, warnen die Wissenschaftler. Ansonsten würde sein übermäßiger und inkonsequenter Einsatz die Bildung von Resistenzen unter den krankheitserregenden Bakterien und Viren beschleunigen.
„Wie bei allen Antibiotika reduziert deren kontrollierte Verschreibung in geeigneten Fällen das Risiko der Resistenzentwicklung“, stellte Conlon fest.
Der Wert von Teixobactin als Antibiotikum ist enorm. Doch noch deutlich wertvoller als dieser vielversprechende Wirkstoff könnte die neue Methode sein, mit deren Hilfe er entdeckt wurde. Der iChip ist der Schlüssel zu einer Fundgrube an möglichen neuen Antibiotika; niemand kann erahnen, welche Wundermittel unter den 99 Prozent der Bakterien entdeckt werden könnten, die bislang von der Natur unter Verschluss gehalten wurden. Die Erfindung des iChips könnte den Einbruch des gefürchteten postantibiotischen Zeitalters um Jahre oder sogar Jahrzehnte verzögern.