Kinder tragen ein Transparent zum Gedenken an zwei Kinder, die im Jahr 2013 von einem Mitarbeiter des Eigentümers des Santa-Rita-Staudamms getötet worden sein sollen. Darauf steht unter anderem: „Sie sind Beispiele für den Kampf um Leben und Land.“ Foto: Consejo de Pueblos de Tezulutlán.
Im Zusammenhang mit einem geplanten Wasserkraftwerksprojekt am Icbolay-Fluss in Guatemala sei es zu schweren Menschenrechtsverstößen gekommen, beklagen Menschenrechtsorganisationen.
Der Santa-Rita-Staudamm, mit einer voraussichtlichen Leistung von 24 Megawatt, soll in der Region Alta Verapaz im Zentrum des Landes erbaut werden. Er wird von der Weltbank, mehreren europäischen Banken sowie von der guatemaltekischen Regierung unterstützt. Trotz mutmaßlicher Menschenrechtsverletzungen erhielt der Eigentümer des Staudamms vom Mechanismus für Umweltverträgliche Entwicklung (Clean Development Mechanism, kurz CDM) der UN-Klimarahmenkonvention die Genehmigung zum Erwerb von CO2-Ausgleichszertifikaten für den damit erzeugten Strom. Diese Emissionszertifikate könnten im Rahmen des Emissionshandelssystems der Europäischen Union verkauft werden. Vor dem Hintergrund der politischen Unruhen, mit denen Guatemala seit der Enthüllung mehrerer Korruptionsskandale innerhalb der Regierung zu kämpfen hat, ist dieses Projekt jedoch einer der Auslöser für neue Bemühungen zur Reformierung des CDM.
Seit das guatemaltekische Unternehmen Hidroeléctrica Santa Rita, S.A. im Jahr 2008 den Auftrag zum Bau des Santa-Rita-Staudamms erhielt, war das Projekt höchst umstritten. Schließlich wurde ein Baustopp über den Staudamm verhängt. Laut Berichten von Menschenrechtsorganisationen sei der Staudamm genehmigt worden, ohne dass zuvor die freiwillige und in Kenntnis der Sachlage erteilte Zustimmung der in dem betroffenen Gebiet lebenden indigenen Völker der Maya Q’eqchi´ und Poqomchí eingeholt worden sei. Diesen Organisationen zufolge würden die indigenen Gemeinschaften durch den Bau des Staudamms ihres Landes beraubt werden, und sie hätten nur noch eingeschränkten Zugang zum Icbolay-Fluss, auf den sie für die Trinkwasserversorgung und die Landwirtschaft angewiesen seien. Für diese Eingriffe in ihre Umwelt würden sie keinerlei Entschädigung erhalten. Darüber hinaus würde der erzeugte Strom nicht den indigenen Gemeinschaften zugutekommen, von denen die meisten keinen Zugang zur Stromversorgung haben, sondern er würde ins nationale Stromnetz eingespeist werden.
„In dieser Region ist der Eigentümer des Staudamms der größte Menschenrechtsverletzer sowohl in Bezug auf die kollektiven Menschenrechte als auch auf die Rechte des Einzelnen“, erklärte Maximo Ba Tiul, ein Sprecher der indigenen Organisation „Consejo de Pueblos de Tezulutlán“, die den Bau des Staudamms zu verhindern versucht, gegenüber mongabay.com.
Friedliche Proteste und Blockaden der einheimischen Bevölkerung seien mit Gewalt beendet worden. Es sei zu Morden und Zwangsräumungen gekommen, und lokale Führungspersönlichkeiten seien ohne gesetzliche Grundlage verhaftet worden, berichten mehrere Organisationen, unter ihnen jene, der Tiul angehört.
Im Jahr 2013 soll ein Mitarbeiter von Hidroeléctrica Santa Rita, S.A., dem Eigentümer des Staudamms, zwei Maya-Kinder im Alter von 11 und 13 Jahren erschossen haben, behaupteten lokale Aktivisten laut Medienberichten.
Der Angreifer soll auf der Suche nach dem Onkel der Kinder, David Chen, einem Aktivisten, der sich dem Kampf gegen den Santa-Rita-Staudamm verschrieben hat, gewesen sein. Dieser war bereits zuvor einem Entführungsversuch entgangen.
Der Mord an den beiden Kindern sorgte für großes Aufsehen. Medienberichten zufolge veröffentlichten 17 lokale Organisationen am Tag ihrer Ermordung eine gemeinsame Presseerklärung, in der sie „das Unternehmen Hidroeléctrica Santa Rita S.A. und die Regierung für die Missachtung der Rechte der Bevölkerung und das Schüren von Konflikten in der Region“ verantwortlich machten.
Im April 2014 eröffneten ein lokaler Landbesitzer und sein Sicherheitspersonal, die mit Hidroeléctrica Santa Rita S.A. in Verbindung standen, das Feuer auf Mitglieder indigener Gemeinschaften, die an einer religiösen Zeremonie teilnahmen. Dabei habe es ein Todesopfer und fünf Verletzte gegeben, berichten Menschenrechtsorganisationen. Einige Monate später, im August 2014, wurden mehr als 1.500 Polizisten in die Region entsandt, die mit Tränengas gegen etwa 200 Familien vorgingen, die sich zu einer friedlichen Kundgebung gegen den Staudamm versammelt hatten. Drei Frauen und zwei Männer seien dabei unrechtmäßig verhaftet und von den Polizisten gedemütigt worden, schrieben im Oktober 2014 mehr als zwei Dutzend lokale und internationale Menschenrechtsorganisationen in einem
Brief an die UN-Sonderberichterstatterin für die Rechte Indigener Völker.
![]() Auf einer Begräbnisprozession für drei Mitglieder einer indigenen Gemeinschaft, die während einer Operation der guatemaltekischen Sicherheitskräfte im August 2014 getötet worden sein sollen, ist auf einem Transparent die Forderung nach Gerechtigkeit zu lesen. Foto: Consejo de Pueblos de Tezulutlán. |
Bei solchen Zusammenstößen habe es bereits sieben Todesopfer und 70 Verletzte gegeben, heißt es in dem Brief weiter. Darüber hinaus seien 30 Menschen unrechtmäßig verhaftet und 30 Häuser niedergebrannt worden. Mehrere Familien hätten ihre Häuser verlassen und andernorts Schutz suchen müssen.
Staudämme, Bergwerks- und andere Projekte mit großen Umweltauswirkungen, die von der guatemaltekischen Regierung unterstützt werden, stehen nun im Zentrum der Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit und werden aufgrund von Vorwürfen über weit verbreitete Gewalt und Einschüchterungstaktiken im Zusammenhang mit neuen Infrastrukturprojekten erneut überprüft. In den letzten Wochen war Guatemala der Schauplatz massiver Protestkundgebungen gegen eine Reihe von Korruptionsskandalen, die zum Rücktritt mehrerer hochrangiger Regierungsbeamter führten, unter ihnen die Vizepräsidentin Roxana Baldetti; die Ministerin für Umwelt und Natürliche Ressourcen, Michelle Martínez; der Minister für Energie und Bergbau, Edwin Rodas sowie der Innenminister, Mauricio López Bonilla.
Nachlässiges Konsultationsverfahren
Der „Consejo de Pueblos de Tezulutlán“ und andere Menschenrechtsorganisationen betonen, dass die guatemaltekische Regierung und der CDM den Bau des Santa-Rita-Staudamms genehmigten, ohne die lokale Bevölkerung zu konsultieren.
Im Jahr 2014, lange nachdem die Vorwürfe über Menschenrechtsverletzungen bekannt geworden waren, registrierte der CDM-Aufsichtsrat der Vereinten Nationen den Staudamm, womit er dem Projekt einen „grünen“ Anschein verlieh und Hidroeléctrica Santa Rita, S.A. die Möglichkeit erhielt, CO2-Ausgleichszertifikate zu erwerben. Diese Emissionszertifikate könnten am europäischen Emissionsmarkt an andere Länder verkauft werden, die damit ihre CO2-Emissionen reduzieren und ihre Emissionsziele erreichen könnten.
Laut seines Project Design Documents werden die Kosten des Staudamms auf rund 67 Millionen US-Dollar geschätzt. Das Projekt werde durch einen Private-Equity-Fonds finanziert, an dem die Weltbank und vier europäische Entwicklungsinstitutionen — die Deutsche Investitions- und Entwicklungsgesellschaft, die Niederländische Finanzierungsgesellschaft für Entwicklungsländer, die Spanische Agentur für Internationale Zusammenarbeit und der Schweizer Investmentfonds für Entwicklungsmärkte — beteiligt seien, berichtet Carbon Market Watch, eine belgische Organisation, die die CO2-Märkte überwacht und analysiert.
Die CDM-Vorschriften verlangen, dass für die Durchführung eines Projektes die betroffene Bevölkerung befragt und ihre Anmerkungen berücksichtigt werden. Doch im Fall des Santa-Rita-Staudamms sei die öffentliche Konsultation nur sehr nachlässig durchgeführt worden, meinen Menschenrechtsorganisationen.
In einem Brief, den der „Consejo de Pueblos de Tezulutlán“ im Mai 2014 an den CDM-Aufsichtsrat schrieb, erklärte er, dass im Rahmen der offiziellen öffentlichen Konsultation nur mit ausgewählten Personen kommuniziert worden sei, von denen die meisten das Projekt bereits unterstützt hätten. Außerdem seien nur neun der mehr als 30 indigenen Gemeinschaften, die vom Bau des Santa-Rita-Staudamms betroffen wären, befragt worden, erklärte die Organisation weiter. Bei Gemeinschaftsversammlungen hätten 24 der betroffenen Gemeinschaften das Projekt abgelehnt.
Der CDM-Aufsichtsrat überprüfte die Vorwürfe, die von lokalen Interessensgruppen erhoben wurden. Laut Carbon Market Watchsei dies das erste Mal gewesen, dass der CDM ein Projekt aufgrund von Vorwürfen über die mangelhafte Konsultation der lokalen Bevölkerung überprüfe. In einem Antwortschreiben vom 5. Juni 2014 stellte der Aufsichtsrat jedoch fest, dass das Projekt „in Übereinstimmung mit den entsprechenden Voraussetzungen des CDM, unter anderem der Konsultation lokaler Interessensgruppen, durchgeführt“ worden sei.
Eva Filzmoser, die Direktorin von Carbon Market Watch, bezeichnete die Entscheidung des CDM, die Konsultation der lokalen Bevölkerung ernst zu nehmen, als „Meilenstein“. Doch sie erklärte gegenüber mongabay.com, dass der CDM-Aufsichtsrat nicht klargestellt habe, auf welche Art und Weise er die Vorwürfe überprüft habe. So sei in einem Schreiben des CDM-Aufsichtsrates beispielsweise festgestellt worden, dass das Projekt allen Anforderungen des CDM entspreche, da die zuständige guatemaltekische Behörde dies versichert habe. Anscheinend habe der CDM-Aufsichtsrat seine Entscheidung ausschließlich basierend auf dem Schriftverkehr mit Beamten, die mit dem Projekt in Verbindung stehen, getroffen, schrieben Carbon Market Watch und andere Menschenrechtsorganisationen in ihrem Brief an die UN-Sonderberichterstatterin vom Oktober 2014.
In Guatemala sei es üblich, dass es bei großen Umweltprojekten zu keiner öffentlichen Konsultation komme, kritisieren Aktivisten. Als Dinah Shelton, die damalige UN-Sonderberichterstatterin für die Rechte Indigener Völker, das Land im Jahr 2013 besuchte, äußerte sie in einer Presseerklärung ihre Besorgnis darüber, dass „die derzeitigen Lizenzen für Bergwerke und Wasserkraftwerke ohne die freiwillige und in Kenntnis der Sachlage erteilte vorherige Zustimmung der betroffenen indigenen Völker genehmigt wurden, zu der sich die guatemaltekische Regierung durch die Unterzeichnung internationaler Verträge verpflichtet hatte.“
Ein weitreichenderes Problem mit scheinbar umweltfreundlichen Projekten
Doch der Santa-Rita-Staudamm ist nicht das einzige scheinbar umweltfreundliche Projekt, das mit Menschenrechtsverletzungen in Verbindung steht. Eine Reihe weiterer vom CDM genehmigter Kraftwerksprojekte in Guatemala und anderen Ländern soll ebenfalls in solche Aktivitäten verwickelt sein. Dies geht aus einer aus dem Jahr 2013 hervor, die von Carbon Market Watch veröffentlicht wurde.
Laut Menschenrechtsorganisationen und Medienberichten soll es zumindest bei zwei weiteren Wasserkraftwerksprojekten in Guatemala zu Verstößen gegen die Menschenrechte gekommen sein, da man es verabsäumt habe, die Einverständniserklärung der betroffenen indigenen Gemeinschaften einzuholen, und da man mit Gewalt und Zwangsräumungen gegen Demonstranten vorgegangen sei. Dabei handelt es sich um den Palo-Viejo-Staudamm mit einer Leistung von 85 Megawatt in der Gemeinde San Juan Cotzal und den 94 Megawatt erzeugenden Xacbal-Staudamm in der Gemeinde Chajul.
Einen Monat nach der Feststellung, dass Santa Rita nicht gegen die Vorschriften zur Konsultation lokaler Interessensgruppen verstoßen habe, beschloss der CDM-Aufsichtsrat bei seinem Treffen im Juli 2014, diese Regeln zu ändern. Zuvor waren die Vorwürfe über mangelhafte Konsultationsverfahren in vielen vom CDM genehmigten Projekten immer lauter geworden.
Bei der Änderung der Vorschriften wurde das Ausmaß der Konsultation von lokalen Interessensgruppen neu definiert. Dies umfasst unter anderem die Mindestanzahl von Interessensgruppen, die an der Konsultation beteiligt sein müssen, die Art und Weise, wie die Konsultation durchgeführt werden muss und die Frage, welche Informationen den Interessensgruppen zur Verfügung gestellt werden müssen.
„Im Prinzip ist dies ein großer Schritt in die richtige Richtung“, erklärte Filzmoser. „Leider berücksichtigte der CDM dabei aber nicht die Notwendigkeit der Schaffung eines Überwachungsmechanismus bzw. eines Untersuchungsgremiums für Fälle, in denen nationale oder internationale Verpflichtungen nicht eingehalten werden.“
„Momentan verfügt der CDM über keinen Beschwerdemechanismus, doch wir hoffen, dass sich dies ändern wird, wenn im Rahmen der UNFCC-Verhandlungen, die am 1. Juni in Bonn beginnen, eine Reform des CDM ausgearbeitet wird“, fügte Filzmoser hinzu, wobei sie sich auf die Verhandlungen über die Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen bezog.
Nun, da Guatemala mit Regierungsskandalen und sozialen Unruhen zu kämpfen hat und sich Änderungen der CDM-Vorschriften abzeichnen, könnten sich für die Menschen in der Region Alta Verapaz in ihrem Kampf gegen den Santa-Rita-Staudamm neue Chancen ergeben.