Am 21. Mai traten Guatemalas Umwelt- und Innenminister sowie der Minister für Energie und Bergbau inmitten von Korruptionsskandalen und massiven Protesten zurück.
Die Ermittlungen um mutmaßliche Unregelmäßigkeiten bei Verträgen und Genehmigungen für Bergbau-, Energieerzeugungs- und andere Umweltprojekte sorgen erneut für Schlagzeilen. In Guatemala sind einige Bergbau- und Energieerzeugungsprojekte mit erbittertem Widerstand seitens der lokalen Bevölkerung konfrontiert, wogegen staatliche und private Sicherheitskräfte oft sehr hart vorgegangen sind.
Dafür mussten am 21. Mai fünf Minister mit dem Verlust ihrer Ämter bezahlen: Michelle Martínez, die Ministerin für Umwelt und natürliche Ressourcen; Edwin Rodas, der Minister für Energie und Bergbau; der Innenminister Mauricio López Bonilla; der Geheimdienstchef Ulises Anzueto sowie Edy Juárez Prera, der stellvertretende Minister für Sicherheit.
„Ich führe die Veränderungen durch, die ich für notwendig halte“, erklärte Guatemalas Präsident Otto Pérez Molina am 21. Mai auf einer Pressekonferenz. Er sagte, er habe die Kabinettsminister schon zwei Wochen zuvor um ihren Rücktritt gebeten. „Die Regierung steht nicht vor dem Zusammenbruch“, erklärte er und wies damit diesbezügliche Behauptungen zurück.
Der frühere Minister für Energie und Bergbau, Erick Archila, war am 15. Mai zurückgetreten, doch auch sein Nachfolger Rodas blieb nicht einmal eine Woche im Amt. Einige Minister, unter ihnen Archila und Martínez, waren bereits das Ziel von Ermittlungen wegen Korruptionsvorwürfen und von parlamentarischen Untersuchungen zur Aufhebung ihrer Immunität. Ihre Ämter verliehen ihnen nämlich automatisch Immunität vor Strafverfolgung. Nun können jedoch gegen sie und die anderen Minister, die ihr Amt niedergelegt haben, Ermittlungen eingeleitet werden.
Die Regierungsumbildung geht auf eine Reihe von Ereignissen zurück, die am 16. April ihren Anfang nahm. An diesem Tag leiteten die guatemaltekische Staatsanwaltschaft und die Internationale Kommission der Vereinten Nationen gegen Straflosigkeit in Guatemala (CICIG) Ermittlungen gegen ein kriminelles Netzwerk innerhalb der Nationalen Steuerbehörde ein, das den Staat um Zolleinnahmen in der Höhe von 120 Millionen US-Dollar betrogen haben soll. Am 20. Mai deckte die Staatsanwaltschaft im Zusammenhang mit der guatemaltekischen Sozialversicherung (IGSS) einen weiteren Korruptionsfall in Millionenhöhe auf.
Mehr als 30 Personen wurden festgenommen, unter ihnen der Leiter der guatemaltekischen Zentralbank, ehemalige und amtierende Leiter der Nationalen Steuerbehörde, der Vorstandsvorsitzende der Sozialversicherung, weitere Regierungsbeamte sowie namhafte Anwälte. Außerdem wird gegen vier Richter ermittelt, denen nun ein Verfahren zur Aufhebung ihrer Immunität drohen könnte.
Die Korruptionsvorwürfe reichen bis in die höchsten Kreise der Macht. Der mutmaßliche Drahtzieher des Korruptionsnetzwerkes in der Steuerbehörde, der sich zurzeit auf der Flucht befindet, war der Privatsekretär von Vizepräsidentin Roxana Baldetti. Obwohl Baldetti selbst nicht wegen dieses Betruges angeklagt wurde, trat sie am 8. Mai zurück. Am 14. Mai wurde schließlich ein neuer Vizepräsident angelobt. Darüber hinaus war einer der Beamten, die in den Korruptionsskandal um die Sozialversicherung verwickelt sind, der Privatsekretär von Präsident Pérez Molina, bevor dieser ihn zum Vorstandsvorsitzenden der IGSS ernannte.
Die Empörung der Öffentlichkeit über die Korruptionsskandale in der Regierung entlud sich in der Bildung einer dezentralisierten Volksbewegung. Bei Protestmärschen und Kundgebungen fordern immer mehr Menschen Präsident Pérez Molina zum Rücktritt auf. An einer Demonstration in Guatemala-Stadt nahmen am 16. Mai Schätzungen zufolge 60.000 Menschen teil, und weitere Tausende gingen in verschiedenen Städten im ganzen Land auf die Straße.
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Feliciana Cobo verließ ihr Zuhause um Mitternacht, um rechtzeitig für einen Protestmarsch am 20. Mai in Guatemala-Stadt einzutreffen. Tausende Indigene und kleine Bauern reisten aus dem ganzen Land in die Hauptstadt, um den Rücktritt des Präsidenten zu verlangen und einer breiten Palette anderer Forderungen Ausdruck zu verleihen. Unter anderem forderten sie die Verstaatlichung der Energieversorgung sowie den Stopp des Bergbaus in Guatemalay.
„Wir kamen zur Demonstration gegen Otto Pérez Molina, weil es so viel Korruption gibt“, erklärte Cobo gegenüber mongabay.com auf dem Hauptplatz von Guatemala-Stadt, als der Protestmarsch zu Ende ging.
Wie Farbe und Muster ihres traditionellen, dunkelroten, gewobenen Rockes zeigen, stammt Cobo aus Nebaj in der Maya Ixil Region, die sich in Guatemalas Departamento Quiché befindet. Das Ixil-Dreieck ist eines jener Gebiete, in denen eine Wahrheitskommission der Vereinten Nationen feststellte, dass sich die staatlichen Streitkräfte während des 36 Jahre andauernden Bürgerkriegs, der 1996 zu Ende ging, des Völkermordes an der Maya-Zivilbevölkerung schuldig gemacht hatten.
Über einer Portion Orangeneis schilderte Cobo, wie sie sich angesichts der Tatsache fühlte, dass Regierungsbeamte Millionen US-Dollar in die eigenen Taschen verschwinden hatten lassen. „Es macht uns traurig. Es schmerzt mich, da alles so teuer ist und unsere Kinder studieren“, erklärte sie. „Besonders der Strom ist sehr teuer.“
Seit Jahren sorgen die Privatisierung der Energieversorgung sowie der Bau von Hochspannungsleitungen und Staudämmen in ländlichen Gebieten für Konflikte im ganzen Land. Den Protesten der einheimischen Bevölkerung wird oft mit Gewalt und Militarisierung begegnet.
Medienberichten. zufolge wurde am 28. April ein großes Polizeikontingent zur Räumung einer Straßenblockade in die Ixil-Region entsandt. Die Blockade war von Einheimischen errichtet worden, die vom Bau des Xacbal Delta-Staudamms betroffen sind. Als drei Einheimische festgenommen wurden, führte dies zu weiteren Straßenblockaden und Protesten. Soldaten wurden in das Gebiet entsandt, und Demonstranten und Häuser in der Stadt Chajul wurden mit Tränengas besprüht. Die Lage beruhigte sich erst wieder, nachdem traditionelle Ixil-Stammesführer die Freilassung der Verhafteten ausgehandelt hatten.
Ein weiterer Staudamm steht im Zentrum eines der mutmaßlichen Korruptionsfälle im Ministerium für Energie und Bergbau. Gegen Archila, den Minister, der am 15. Mai zurückgetreten ist, ermittelt der guatemaltekische Rechnungshof im Zusammenhang mit mutmaßlichen Unregelmäßigkeiten und überhöhten Preisen von Energieverträgen. Seit letztem Jahr wird die Genehmigung eines Vertrages über eine Vormachbarkeitsstudie für den Xalalá-Staudamm im Departamento Quiché untersucht.
Die Umweltverträglichkeitsprüfung einer Bergbaulizenz von Minera San Rafael, einer Tochtergesellschaft des kanadischen Bergbaukonzerns Tahoe Resources, wird nun ebenfalls in Frage gestellt. Das guatemaltekische Zentrum für Rechtliche, Umweltpolitische und Soziale Maßnahmen (CALAS) erwirkte vor Gericht die vorläufige Aussetzung der Juan Bosco Bergbaulizenz. In einem weiteren Verfahren verklagte CALAS Beamte des Umweltministeriums vor einem Verwaltungsgericht, das die Genehmigung der Umweltverträglichkeitsprüfung, die der Lizenz zugrunde liegt, untersuchen soll.
Marta Carrera lebt in San Juan Bosco im Departamento Santa Rosa. Dies ist eines jener Gebiete, die innerhalb der rund 59,6 Quadratkilometer großen Juan Bosco Bergbaulizenz liegen.
„Wir wurden nie gefragt“, erklärte Carrera gegenüber mongabay.com. Als Mitglied des Komitees zum Schutz von Leben und Frieden ihrer Gemeinde beteiligt sie sich aktiv am Widerstand der lokalen Bevölkerung gegen ein bestehendes Bergwerksprojekt von Tahoe Resources, die Escobal Silbermine. Diese befindet sich nur rund 13 Kilometer von ihrem Zuhause entfernt. „Wir haben uns gegen das Projekt ausgesprochen und friedliche Proteste organisiert“, erzählte sie.
Am 27. April 2013 eröffnete jedoch das Sicherheitspersonal des Konzerns Minera San Rafael das Feuer auf die Demonstranten und verletzte dabei mehrere Personen. Aufgrund dieses Vorfalls und der in der Folge verstärkten Polizeipräsenz kam es zu Ausschreitungen, woraufhin die Regierung am 2. Mai 2013 in drei Gemeinden den Belagerungszustand ausrief. Dies führte zur Militarisierung des Gebietes und zur Aufhebung der Grundrechte und Freiheiten der Bevölkerung. Wie Menschenrechtsorganisationen berichteten, wurden Razzien und strafrechtliche Ermittlungen gegen lokale Führungspersönlichkeiten durchgeführt. Carreras Bruder, der Vorsitzende des Entwicklungsrates seiner Gemeinde, verbrachte sieben Monate in Haft, bevor alle Anklagepunkte gegen ihn fallen gelassen wurden.
Gegen Carol Patricia Flores, eine Richterin, die nach dem Belagerungszustand in einigen der dutzenden Gerichtsverfahren gegen lokale Führungspersönlichkeiten und Organisatoren der Proteste den Vorsitz führte, wird nun wegen ihrer mutmaßlichen Verwicklung in den Korruptionsskandal um die Nationale Steuerbehörde ermittelt.
Neben der Juan Bosco Bergbaulizenz hatte das Ministerium für Umwelt und Natürliche Ressourcen mit einem weiteren Skandal zu kämpfen. Dabei ging es um die Reinigung des südlich von Guatemala-Stadt gelegenen Amatitlán-Sees. Die abgesetzte Ministerin Martínez unterstützte einen Vertrag mit M. Tarcic Engineering Ltd., dem zufolge das Unternehmen für 18 Millionen US-Dollar die Umweltverschmutzung im See stoppen und rückgängig machen sollte. Zur Reinigung des Sees sollte eine nicht näher bestimmte Flüssigkeit eingesetzt werden.
Analysen des Gesundheitsministeriums und der Sonderstaatsanwaltschaft für Umweltfragen ergaben jedoch, dass es sich bei der eingesetzten Flüssigkeit zu 97 bis 98 Prozent nur um eine Mischung aus Wasser und Salz handelte, berichtete die guatemaltekische Zeitung Prensa Libre. Nun fordert die Generalstaatsanwaltschaft das Unternehmen auf, die drei Millionen US-Dollar, die es bereits erhalten hat, zurückzuzahlen.
Als das Aufsehen um den Zollskandal auf die Ermittlungen gegen weitere Beamte der Exekutive und der Gerichtsbarkeit übergriff, forderten die Demonstranten nicht mehr nur den Rücktritt von Vizepräsidentin Baldetti und Präsident Pérez Molina. Mit zunehmendem Fortschreiten der Bürgerbewegung gegen Korruption stellen ihre unterschiedlichen Gruppierungen immer breitere Forderungen, die nun auch die Umweltgerechtigkeit und systemische Veränderungen betreffen.
Dies wurde auch bei der Protestkundgebung am 20. Mai deutlich. Die Organisatoren des Entwicklungskomitees der Campesinos (CODECA) verlangten die Einsetzung einer „plurinationalen verfassungsgebenden Versammlung“, in der indigene Völker und andere marginalisierte Sektoren der Gesellschaft eine breite Vertretung erhalten sollten. Auf diese Weise sollten eine neue Verfassung erarbeitet und der Staat transformiert werden. Demonstranten aus dem ganzen Land forderten die Verstaatlichung der Stromversorgung, die Freilassung politischer Gefangener, eine Lösung für Landkonflikte sowie den Stopp des Bergbaus.
„Unter den letzten Regierungen und insbesondere unter dieser Militärregierung sind Monokulturen, Bergbau, Erdölindustrie und Wasserkraft in das ganze Land vorgedrungen und haben es geplündert. Dies geschah in völliger Straffreiheit und mit der Zustimmung mehrerer aufeinanderfolgender Regierungen“, steht in einem am 8. Mai im Internet veröffentlichten, gemeinsamen Kommuniqué von CODECA, der Nationalen Koordination der Campesino-Organisationen (CNOC) und der Verapaz Union der Campesino-Organisationen (UVOC). Bei Letzteren handelt es sich um zwei Zusammenschlüsse von Organisationen, die sich für Landrechte einsetzen.
Diese Organisationen klagen auch über die Kriminalisierung lokaler Führungspersönlichkeiten. „Die Antwort auf die Berichte sozialer Organisationen besteht darin, sie zu töten, zu verfolgen [und] einzusperren“, heißt es im Kommuniqué weiter.
Die jüngsten Festnahmen und Rücktritte hochrangiger Staatsbediensteter haben die Demonstranten nicht zufriedengestellt. Momentan ist ihre Hauptforderung noch Pérez Molinas Rücktritt. Carlos Orozco ist von seiner Heimat in Totonicapán mehr als 160 Kilometer nach Guatemala-Stadt gereist, um sich der immer lauter werdenden Forderung nach dem Rücktritt des Präsidenten anzuschließen.
„Der Präsident ist korrupt“, erklärte Orozco während der Demonstration am 20. Mai gegenüber mongabay.com. „Wir möchten, dass er sein Amt niederlegt.“
Am 21. Mai bekräftigte Pérez Molina seine Absicht, seine Amtszeit, die im Januar 2016 zu Ende geht, voll auszuschöpfen. Parlamentswahlen sind für den 6. September anberaumt.
Da die Volksbewegung in Guatemalas Straßen immer stärker wird und sich ihre Vision des Guatemalas, das sie erreichen will, festigt, wird es immer wahrscheinlicher, dass selbst Pérez Molinas Rücktritt die Rufe nach Gerechtigkeit und systemischen Veränderungen nicht mehr zum Schweigen bringen könnte.