Belagertes Grün: 85 Prozent der Biodiversitäts-Hotspots der Erde sind betroffen
Mit nur noch 3,5 Prozent intakter Vegetation ist der Atlantische Regenwald der gefährdetste Biodiversitäts-Hotspot der Erde. Das Bild zeigt intakten Wald im Staatspark Intervales. Foto von: Bjørn Christian Tørrissen/Creative Commons 3.0.
Die 35 Biodiversitäts-Hotspots der Erde—welche 75 Prozent der gefährdeten Landwirbeltiere des Planeten beherbergen—sind in größeren Schwierigkeiten als erwartet, wie eine ernüchternde neue Analyse verbleibender Primärvegetation zeigt. Insgesamt sind nur noch weniger als 15 Prozent der natürlich intakten Vegetation in diesen Hotspots übrig, darunter bekannte Juwelen der Tier- und Pflanzenwelt wie Madagaskar, die tropischen Anden und Sundaland (Borneo, Java, Sumatra und die Malaiische Halbinsel). Noch schlimmer ist, dass es in fast der Hälfte der Biodiversitäts-Hotspots nur noch weniger als 10 Prozent Primärvegetation gibt, in fünf davon weniger als 5 Prozent.
“Wenn wir die Hotspots verlieren, verabschieden wir uns von über der Hälfte aller Arten auf der Erde. Das wäre vergleichbar mit dem Massensterben, das die Dinosaurier ausgelöscht hat”, sagte William Laurance von der James Cook University, Koautor der Studie in Biological Conservation.
Die Biodiversitäts-Hotspots der Erde wurden im Jahr 2000 in einem bahnbrechenden Artikel erstmals identifiziert. Damals führten die Wissenschaftler zehn Hotspots auf; seither ist die Zahl auf 35 angewachsen. Biodiversitäts-Hotspots sind aber mehr als nur Regionen mit hoher Biodiversität, sie müssen auch den Großteil ihrer Vegetation, etwa 70 Prozent, verloren haben. Derzeit beherbergen 35 Hotspots 77 Prozent der bekannten Säugetiere, Vögel, Amphibien und Reptilien, etwa die Hälfte der Pflanzenarten und über 40 Prozent der endemischen Landwirbeltiere der Erde. Zu diesen Hotspots zählen berühmte Orte wie der Himalaya und die Karibik, aber auch weniger bekannte Regionen wie die Cerrados in Brasilien, Irano-Anatolien im Nahen Osten und in Westasien sowie die Sukkulenten-Karoo in Südafrika und Namibia.
“Wir befinden uns in einem globalen Krieg um die Erhaltung der Natur, aber wir können uns nicht einfach auf die Hotspots konzentrieren, die die höchsten Überlebenschancen haben, so wie das ein Sanitäter auf dem Schlachtfeld tut”, so Hauptautor Sean Sloan, ebenfalls von der James Cook University. “Jeder Hotspot hat eine einzigartige Biodiversität, deshalb wäre es katastrophal, auch nur einen davon zu verlieren.”
Obwohl einige andere Studien schon früher versucht haben, die Primärvegetation in Biodiversitäts-Hotspots zu messen, übertrifft diese sie bei weitem an Genauigkeit.
“Wir haben einen standardisierteren und, wie wir hoffen, gründlicheren Ansatz angewendet, indem wir innovative Satellitenbilder und einen standardisierten Bewertungsmaßstab verwendet haben, um natürlich intakte Vegetation zu definieren”, sagte Laurance zu mongabay.com.
Sloan, Laurance und ihre Kollegen benutzten eine Mischung aus Satellitenbildern, Google Earth und Expertenmeinungen, um die Vegetation an jedem Ort zu schätzen. Die Studie zählte nur intakte Vegetation auf einer Fläche von mindestens 100 Hektar.
Noch vorhandene natürlich intakte Vegetation in den Biodiversitäts-Hotspots der Erde gegenüber der Gesamtfläche. Bild von mongabay.com, basierend auf Daten von Sloan et al. Zum Vergrößern klicken.
Laut Sloan musste die Vegetation außerdem “in einem reifen Zustand sein und sich nicht in unmittelbarer Nähe zu den menschlichen Hauptstörungen der Landschaft befinden, nämlich größeren Straßen, größeren und kleineren Siedlungen, Feuer (ausgewählte Hotspots), und den Rändern von Restvegetations-Fragmenten.” In den meisten Fällen bedeutet das, dass nur Primärwald oder Savanne gezählt wurde, obwohl auch reifer Sekundärwald gezählt werden kann.
Was sie fanden, war nicht ermutigend.
“Unsere Schätzungen zeigen deutlich, dass mehr Hotspots als bislang gedacht in einem extrem kritischen Zustand sind – mit [weniger als 5 Prozent] natürlich intakter Vegetation nach unserer Definition. Die Biodiversität in solchen Hotspots ist in der Folge höchst prekär, deshalb sollten Erhaltungsbemühungen dort Priorität haben”, sagte Sloan mongabay.com und fügte hinzu, dass manche Lebensräume innerhalb der Hotspots “ganz besonders frei von natürlich intakter Vegetation sind, z.B. Mangroven [und] jahreszeitlich bedingt trockene Tropenwälder.”
Die derzeit gefährdetsten Hotspots sind der Atlantische Regenwald in Brasilien, die Zentralwälder von Ostafrika, die Region Irano-Anatolien, Madagaskar und der Mittelmeerraum, von denen alle nur noch weniger als fünf Prozent Primärvegetation haben.
Seit der letzten Analyse im Jahr 2004 die meiste Vegetation verloren haben die Westghats und Sri Lanka, die pazifischen Inseln, der zentralasiatische Kaukasus, Südafrika und Japan.
“Trockenere Lebensräume wie Waldgebiete, Savannen und Graslandschaften werden wirklich schnell vernichtet, oft durch die Ausbreitung der Landwirtschaft”, merkte Laurance an. “Tropische Trockenwälder beispielsweise sind extrem gefährdet, besonders in der Neuen Welt. Eine Hauptpriorität ist es, die Aufmerksamkeit für diese trockeneren Lebensräume zu erhöhen.”
Seiner Definition zufolge hat kein einziger Biodiversitäts-Hotspot mehrheitlich natürlich intakte Vegetation. Tatsächlich ist der “intakteste” Hotspot die California Floristic Province mit etwas unter 35 Prozent Vegetation. Die tropischen Anden, Südwest-Australien, Neuseeland, die Ost-australischen Wälder, die chilenischen Winterregenwälder und Valdivianischen Wälder und die Cape Floristic Region in Südafrika haben alle knapp über 30 Prozent Vegetation.
Abgesehen davon, dass es bekannte biodiverse Wildnisse wie das Amazonasbecken, den Kongo-Regenwald und Neuguinea ausschließt – da sie nicht bedroht genug sind –, hat das Konzept der Biodiversitäts-Hotspots seit seiner Erstellung vor 10 Jahren beträchtliche Aufmerksamkeit und Geldmittel (über 1 Mrd. USD) gewonnen. Doch viel mehr wird nötig sein, um das, was noch übrig ist, zu schützen.
“Deshalb erneuern wir den Aufruf zu höherer und gezielter Finanzierung, sind uns aber bewusst, dass eine umsichtige Verteilung notwendig sein wird, ebenso wie eine Debatte über die Werte, die den Vorstellungen von der “Optimierung” des Naturschutzes zugrunde liegen”, so der Artikel.
Auf die Frage, welche der 35 Biodiversitäts-Hotspots Vorrang bekommen sollten, meinte Laurance: “Das ist, als würden Sie jemanden auf einem sinkenden Schiff fragen, welches seiner Kinder er retten soll!”
Madagaskar beheimatet alle der über 100 Lemurenarten der Welt, der Biodiversitäts-Hotspot hat aber nur noch 4,4 Prozent seiner natürlich intakten Vegetation. Das Bild zeigt Larvensifakas (Propithecus verreauxi), auf der Roten Liste der IUCN als „stark gefährdet“ aufgeführt, in einer wilden Verfolgungsjagd. Foto von: Rhett A. Butler.
Quelle:
- Sloan, S., Jenkins, C.N., Joppa, L.N, Gaveau, D.L.A., Laurance, W.F. 2014. Remaining natural vegetation in the global biodiversity hotspots. Biological Conservation. 177: 12-24.