Eine Ruderschnecke, Clione limacina. Auf diesem Bild sind die Greiftentakel und Chitinhaken eingezogen. Foto: Alexander Semenov.
Die meisten Tierarten der Erde sehen wir nie. Tatsächlich haben wir keine Ahnung, wie sie aussehen, geschweige denn wie spektakulär sie sind. Die meisten Menschen können relativ wenige heimische Arten identifizieren, ganz zu schweigen von jenen anderer Kontinente. Diese Wissenslücke führt zu einer Unfähigkeit der Allgemeinheit, Biodiversität und in Folge auch ihren Verlust nachzuvollziehen.
Eines der bemerkenswertesten Bücher, die ich gelesen habe, ist eine Neuerscheinung, die ernsthafte Schritte setzt, diese Wissenslücke zu schließen und die Verbindung des Menschen mit der Artenvielfalt zu bekräftigen. Animal Earth: The Amazing Diversity of Living Creatures von Ross Piper, einem Zoologen an der Universität von Leeds, öffnet das Tor zu Entdeckungen. In „Animal Earth“ beschreibt Piper mit romantischem Enthusiasmus alle 35 Stämme des Tierreichs mit 540 Illustrationen. Von Spinnen bis zu Blattläusen, von Affen bis zu Schalentieren und mit allen Tieren dazwischen erweitert der Autor unser Verständnis vom ungeheuren Ausmaß des Tierreichs in Animal Earth: The Amazing Diversity of Living Creatures. Es ist optisch überwältigend, leicht zu lesen und wird begleitet von einer YouTube.com-Website. Wenn Sie neugierig, naturwissenschaftlich oder einfach an der Vielfalt des Tierreichs interessiert sind, ist dieses Buch etwas für Sie.
INTERVIEW MIT ROSS PIPER
Ross Piper. Foto mit freundlicher Genehmigung von Ross Piper.
Mongabay:Welche war die erste Tierart, die Ihre Aufmerksamkeit erregt hat?
Ross Piper: Ich erinnere mich, wie ich von einigen parasitischen Schalentieren erst gelesen und sie dann gesehen habe. Die Erwachsenen sind in ihrem Erscheinungsbild und ihrer Lebensweise so eigentümlich, dass man sie einfach nicht erfinden hätte können. Für mich unterstreichen sie, wie unglaublich vielfältig Tiere sind.
Mongabay: Wie wurden sie an die Zoologie herangeführt?
Ross Piper: Viele meiner frühesten Erinnerungen sind an Tiere. Mein Vater interessierte sich für die Natur, und meine Mutter ging vor meinem Schulanfang und in den Ferien jeden Tag lange mit mir spazieren. Wir fanden auf diesen Spaziergängen oft interessante Dinge. Ich verbrachte auch viel Zeit in unserem Garten und hob dort Steine hoch, um zu sehen, was ich dort finden würde. Ich erinnere mich, als ich vier oder fünf war, fand ich bei einem unserer regelmäßigen Spaziergänge tausende winzig kleine Fröschlein in der Nähe des Sees, und die Raupe eines Mittleren Weinschwärmers auf einem Kanal-Treppelweg. Eine andere Erinnerung, die wirklich Eindruck hinterlassen hat, ist ein Violetter Laufkäfer, den ich in unserem Garten gefunden habe. Damals war ich mir nicht sicher, was diese Dinger waren, aber ich war völlig fasziniert von ihnen. Ich habe dasselbe Gefühl noch heute, wenn ich etwas finde, das ich noch nie zuvor gesehen habe.
Mongabay: Anbetracht der Tatsache, dass die uns bekannten Tiere weniger als 4 % der Tiere der Erde ausmachen, haben Sie eine Lieblingsfamilie, -gattung und -art bei den anderen 96 %? Und warum sind Sie ihre Lieblinge?
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Ross Piper: Das ist eine schwierige Frage, weil es so vieles gibt, wovon man fasziniert sein kann. Käfer, Solitärwespen und Parasiten jeglicher Art sind auf jeden Fall ganz vorn dabei. Die Käfer sind so vielfältig. Ich liebe Solitärwespen aufgrund ihrer Lebensweise und der Tatsache, dass man oft nur flüchtig sieht, was sie tun. Ich liebe alles, was mit Parasiten zu tun hat, weil es überwältigend ist, über all ihre Interaktionen nachzudenken, wie diese Interaktionen sich entwickelt haben und die Tatsache, dass wir so wenig über alle Verbindungen in der Welt der Natur wissen.
Mongabay: Wie bemerken Sie, dass die moderne Technologie die Art und Weise verändert, wie wir die Tiere auf der Erde verstehen, studieren und dem breiteren Publikum präsentieren?
Ross Piper: Das Internet ist die aufregendste Technologie da draußen, weil es so viele Informationen zugänglich macht. Man kann jetzt riesige Mengen an Informationen abrufen und einfach und billig mit Menschen auf der anderen Seite der Welt kommunizieren. Ohne das Netz hätte ich locker zehnmal so lange gebraucht, um das Buch zu schreiben.
Die digitale Fotografie, mit speziellen Kameras oder mit immer besser werdenden Smartphones, macht es für jeden leichter, rauszugehen und zu fotografieren, was man sieht, und dann die Bilder online zu teilen.
Mit Luft- und Satellitenaufnahmen können wir den ganzen Globus in hoher Auflösung betrachten, vielversprechende Gebiete für Studien zur Biodiversität identifizieren sowie Lebensraumabbau überwachen und kontrollieren.
Micro-3D-Scannen wird hoffentlich billiger werden, sodass es möglich ist, die feinsten Einzelheiten selbst der kleinsten Tiere festzuhalten.
Es wird immer billiger, DNA zu extrahieren und zu entschlüsseln, was die Art, wie wir das Leben auf der Erde katalogisieren und verstehen, völlig zu revolutionieren verspricht. Ich denke, indem wir nur die Morphologie der Arten betrachten, unterschätzen wir massiv, wie viele Lebensformen die Erde eigentlich erhält und wie komplex das „Netz des Lebens“ ist.
Mongabay: Animal Earth: The Amazing Diversity of Living Creatures ist optisch absolut atemberaubend. Wie verwenden Sie Technologie, um auf diese anderen, versteckten Tierstämme zuzugreifen?
Viele Röhren bewohnende Vielborster haben zum Ausfiltern von Kleinstlebewesen und für den Gasaustausch aufwendige, bunte Tentakel. Das trichterförmige Gebilde (operculum) versiegelt die Röhre, wenn das Tier sich dahin zurückzieht. (Nicht identifizierter Röhrenwurm) Foto: Alexander Semenov.
Ross Piper: Die meisten Bilder in dem Buch wurden von Menschen aufgenommen, die ein tiefes Verständnis für die Tiere haben, die sie fotografieren. Man braucht nicht die neueste Ausrüstung, um überwältigende Bilder zu machen. Man braucht nur viel Geduld, und man muss wissen, was man sucht. Rasterelektronenmikroskope ermöglichen es, die kleinsten Details von winzigen Tieren außerordentlich detailliert festzuhalten und zeigen damit eine ganze Welt, die für uns im Grunde unsichtbar ist. Lichtmikroskopie-Techniken, wie zum Beispiel Differential-Interferenz-Kontrast, ermöglichen es, dass beinahe 3D-Bilder von Tieren eingefangen werden können.
Mongabay: Welche Art von Berufen werden in der Zoologie mehr, da Technologiekenntnisse wichtiger werden?
Ein Großteil des Körpers eines Bürstenkopfes ist durch Chitinplatten geschützt. Der Kopf trägt einen Mundkegel, der mit Stiletten und zahlreichen Skaliden ausgerüstet ist (Phiciloricus sp). Foto: Phil Miller. |
Ross Piper: Zoologie ist jetzt schon ein multidisziplinäres Fach mit einem riesigen Berufsfeld. Leute spezialisieren sich in Molekularbiologie, Freilandökologie, Erforschung und Bioprospektion, Bildgebung und Entwicklungsbiologie, um nur ein paar zu nennen. Ich glaube, mit fortschreitender Technologie wird es immer mehr Gelegenheiten geben, zu definieren, wie sie so mannigfaltig wurden, wie Tiere funktionieren, wie sie sich entwickeln und wie die Lebensformen auf der Erde sich gegenseitig beeinflussen.
Mongabay: Welche für unser Ökosystem wesentliche Arten, die Sie analysiert haben, sind nicht allgemein bekannt?
Ross Piper: Nematoden (allgemein bekannt als Spulwürmer, Fadenwürmer, etc.). Bislang sind nur etwa 20.000 Arten bekannt, aber es könnte mindestens eine Million Arten geben (einige Experten glauben sogar, dass es ganze 80 Millionen Arten von Nematoden geben könnte). Sie sind überall, von den tiefsten Teilen des Ozeans bis zum Inneren anderer Lebewesen. Mit dem nackten Auge sehen sie alle sehr ähnlich aus, aber diese morphologische Homogenität täuscht über die unglaubliche Vielfalt ihrer Lebensräume und Lebensweisen hinweg.
Mongabay: Um welche Spezies, die aktuell gefährdet ist, machen Sie sich am meisten Sorgen, und warum?
Ross Piper: Alles, was im Ozean oder in tropischen Wäldern lebt. Das sind die Orte, wo es die meiste Biodiversität gibt, aber wir haben noch nicht einmal oberflächlich verstanden, wie diese Orte „funktionieren“ und welche kolossale Lebensvielfalt sie beheimaten. Wir scheinen unser Äußerstes zu tun, diese Orte zu zerstören, bevor wir überhaupt noch angefangen haben, sie zu verstehen. Das ist tragisch, nicht zuletzt weil sie für jede/n von uns absolut lebensnotwendig sind. Ich hoffe wirklich, dass wir Vernunft annehmen, bevor es zu spät ist.
Mongabay: Was sind die Chaetognatha und Xenoturbellida, und warum ist es so schwierig, sie in unserem derzeitigen taxonomischen System zu klassifizieren?
Die Farben und Muster der Nacktkiemenschnecken warnen Feinde vor ihrer Giftigkeit. Diese Nacktschnecke ist Chromodoris annulata. Foto: Arthur Anker.
Ross Piper: Chaetognatha (gemeinhin bekannt als Pfeilwürmer) und Xenoturbellida (gemeinhin bekannt als Fremde Strudelwürmer) sind zwei sehr rätselhafte Tierstämme. Sie besitzen beide Eigenschaften, die sie mit einer Reihe größerer Zweige des Tierstammbaums verbinden. Möglicherweise sind sie vor so langer Zeit auf ihre eigene Evolutionsbahn abgezweigt, dass es schwierig ist, ihre Verwandtschaften zu bestimmen. Sie zeigen auch, dass es unsere Bemühungen, Biodiversität zu verstehen, ernsthaft durcheinanderbringen kann, wenn wir nur betrachten, wie ein Tier aussieht (seine Morphologie). Nur weil zwei Tiere ähnlich aussehen, heißt es nicht, dass sie verwandt sind. Gleichermaßen bedeutet es nicht, wenn etwas strukturell einfach ist, dass es primitiv ist. Ein komplexes Tier kann leicht zunehmend einfachere Formen bilden, wenn es sich an eine bestimmte Nische anpasst. Man muss nur sessile und parasitische Tiere ansehen, um Beweise dafür zu sehen.
Mongabay: Wie setzen Sie YouTube ein, um andere über diese gemeinhin weniger verstandenen Arten aufzuklären? Ist es erfolgreich?
Ross Piper: Ich habe so viele Videos von einigen der weniger bekannten Tiere besorgt, wie ich konnte, damit die Menschen sehen können, wie sie aussehen und sich im Leben verhalten. Einige davon, wie der Schnurwurm bei der Jagd und das Leben eines Sanddollars, sind unglaublich.
Ich habe auch eine Animation in Auftrag gegeben, die die ganz frühe Evolution der Tiere illustriert, hauptsächlich um einige falsche Vorstellungen auszuräumen; z.B. dass die Evolution der Tiere ein einziges, lineares Ereignis war.
Meine Aufgabe in der Zukunft ist es, Material von weniger bekannten Tieren zu sammeln, weil es noch sehr wenig davon gibt.
Mongabay: Welche Gebiete der zoologischen Forschung haben Ihrer Meinung nach den größten Bedarf an Forschung und Analyse, und warum?
Ross Piper: Arten zu dokumentieren, zu verstehen, wie sie ihre Leben leben und wie sie mit anderen Organismen interagieren.
Mongabay: Wie hoffen Sie als Zoologe, andere dazu zu inspirieren, Zoologie und Naturschutzbiologie zu verfolgen?
Ross Piper: Indem ich den Menschen zeige, entweder durch das geschriebene Wort oder im Fernsehen, dass Tiere erstaunlich sind, sowohl in der Art wie sie aussehen, als auch in der Art wie sie leben. Das Leben ist das Allerinteressanteste an unserem Planeten, und es ist hier im Überfluss vorhanden, aber wir verstehen die Natur gerade erst oberflächlich. Es ist eine traurige Tatsache, dass wir mehr über die Oberfläche von kahlen Monden im Weltraum wissen als über unseren Planeten. Ich möchte, dass die Menschen verstehen, dass die Erde ein schöner und besonderer Ort ist – das einzige Zuhause, das wir haben, deshalb müssen wir es wertschätzen.
Mongabay: Welche Art von zukünftigen technischen Fortschritten, die unsere Fähigkeit verbessern würden, diese weniger bekannten Arten zu erforschen, könnten Sie sich in den nächsten fünf Jahren vorstellen?
Das kugelförmige Kalkskelett und die beeindruckenden Stacheln eines Seeigels: Coelopleurus floridanus. Die beweglichen Stacheln bieten Schutz vor Feinden. Da diese Spezies in relativ tiefem Wasser lebt, ist der Zweck der hellen Pigmente in der Epidermis und dem darunter liegendem Skelett unbekannt. Foto: Arthur Anker. |
Ross Piper: Ein Gerät, das billig und schnell hochdetaillierte 3D-Bilder von lebenden Tieren aufnehmen kann, besonders von kleineren Formen.
Mongabay: Können Sie einige neue Erfolge und Herausforderungen beschreiben, die Auswirkungen auf diese weniger bekannten Arten hatten?
Ross Piper: Alle Bemühungen, die helfen, die artenreichsten Orte auf dem Planeten abzusichern, helfen, eine riesige Bandbreite an Arten zu schützen. Klar abgegrenzte Gebiete des Ozeans müssen vollständig für jegliche Art von kommerzieller Fischerei tabu sein und die bekannten Hotspots der Biodiversität auf der Erde brauchen langfristigen, ausreichend finanzierten Schutz. Ich denke, die einzige wirkliche Hoffnung, dies kurzfristig zu erreichen, ist es, wenn den Diensten, die ein gesundes Ökosystem bietet, ein finanzieller Wert beigemessen wird. Jeder muss erkennen, dass der Wert von intakten, gesunden Ozeanen und Wäldern weit über die Rohstoffe, die wir ihnen entziehen, hinausgeht.
Ross Piper, PhD, ist ein Zoologe, dessen eingefleischte Faszination für die Natur als Kind begann. Dies führte dazu, dass er einige Jahre lang einen BS in Zoologie und einen PhD in Entomologie verfolgte. Zusätzlich zum Schreiben verbringt er heute so viel Zeit wie möglich damit, Tiere in all ihrer Vielfalt zu studieren.
Segmentierung, ein besonderes Merkmal der Ringelwürmer, ist hier deutlich sichtbar. Foto: Alexander Semenov.
Eine Qualle (Bougainvillia superciliris) mit einem per Anhalter reisenden Flohkrebs (Hyperia galba). Foto: Alexander Semenov.
Bei den Nesseltieren sieht eine Kolonie von Polypen mit spezialisierten Funktionen oft wie ein einziges Individuum aus. In dieser schwimmenden Kolonie (Porpita sp.) gibt es Polypen, die für Auftrieb, Futter (Tentakel), Verdauung und Reproduktion verantwortlich sind. Foto: Arthur Anker.
Die Facettenaugen einer Gallwespe (nicht identifizierte Art). Manche Insekten haben zusätzlich zu den Facettenaugen einfache Augen, von denen drei oben auf dem Kopf der Wespe zu sehen sind. Foto: Tomas Rak.
Nudibranchia sind, gemeinsam mit unzähligen anderen Meeresmollusken, allgemein bekannt als Nacktschnecken (Coryphella polaris). Foto: Alexander Semenov.
Wie Sie bestellen können:
Gebundene Ausgabe: Animal Earth: The Amazing Diversity of Living Creatures
Verlag: Thames & Hudson
Autor: Ross Piper, PhD
ISBN: 9780500516966
Owen Reynolds ist Ökonom in Washington, D.C.