Alles begann mit einem Video: 2009 stellte ein Russe ein Video auf die beliebte Website YouTube, das ihn beim Kraulen seines exotischen Haustieres, eines Zwergloris aus Vietnam, zeigt. Seither ist dieses Video über eine halbe Million Mal angesehen worden. Doch eine neue studie, die in der Open-Source-Zeitschrift PLoS ONE veröffentlicht wurde, kommt zu dem Ergebnis, dass solche YouTube-Videos zur Förderung eines grausamen, illegalen Tierhandels beitragen, der zur Ausrottung einiger der unbekanntesten Primatenarten der Welt führen könnte. Plumploris sind kleine, scheue und nachtaktive Primaten, die in den Wäldern im tropischen Asien beheimatet sind. Das Überleben aller acht Arten wird durch einen florierenden illegalen Tierhandel bedroht, der durch Videos vorangetrieben wird, in denen zu sehen ist, wie Plumploris gekrault werden, wie sie kleine Regenschirme halten, oder wie sie andere scheinbar niedliche, aber völlig unnatürliche Verhaltensweisen zeigen.
„Allein in Indonesien, wo sechs Plumploriarten beheimatet sind, werden jährlich mindestens 15.000 Plumploris verkauft, und diese Zahl umfasst nicht jene Tiere, die sterben, bevor sie auf die Märkte gelangen“, berichtet die Hauptautorin der Studie, Anna Nekaris von der Oxford Brookes University, mongabay.com. Sie ist die Gründerin von Little Fireface Project, einer Organisation zum Schutz der Plumploris. „Für Indochina gibt es keine Zahlen, aber Plumploris waren dort oft jene Säugetierart, die am häufigsten auf den Märkten anzutreffen war. In beiden Regionen berichten die Verkäufer jedoch über Rückgänge und geben an, dass diese Tiere in der Wildnis nicht mehr zu finden seien.“
Aufgrund der Beliebtheit von YouTube-Videos, die illegal als Haustiere gehaltene Plumploris zeigen, beschlossen Nekaris und ihr Team, die Reaktion der Betrachter auf diese Videos anhand der von ihnen abgegebenen Kommentare zu analysieren. Die Forscher wählten jenes Video aus Russland aus, in dem zu sehen ist, wie ein Zwerglori (Nycticebus pygmaeus) gekrault wird, und sie werteten 12.000 dazu abgegebene Kommentare aus. Zu ihrer Besorgnis stellten sie fest, dass rund 25% der Betrachter den Wunsch äußerten, selbst einen Plumplori als „Haustier“ zu besitzen. Viele Kommentare enthielten Fragen wie „wo bekomme ich einen?“.
Dieser junge Plumplori aus Sumatra hat kaum Überlebenschancen. Er ist nur wenige Wochen alt und sollte in freier Wildbahn 14 Monate lang bei seiner Mutter bleiben. Stattdessen wird er jedoch im Tierhandel verkauft, wo nur Bananen und Reis auf seinem Speiseplan stehen werden. Foto: The Little Fireface Project.
Neben der Tatsache, dass der Handel mit Plumploris verboten ist – sie sind in jedem ihrer Heimatländer geschützt – ist er auch aus vielen weiteren Gründen problematisch. Einerseits sind Plumploris, die im Tierhandel verkauft werden, nicht in Gefangenschaft gezüchtet, sondern es handelt sich um Wildfänge.
„Es ist unmöglich, Plumploris in Gefangenschaft zu züchten. Die Erfolgsbilanz einiger der bekanntesten Zoos zeigt, dass die Zahl der dort geborenen Plumploris weit unter jener liegt, die für eine sich selbst erhaltende Population notwendig wäre. Einige Arten sind sogar noch nie in Gefangenschaft gezüchtet worden“, erklärt Nekaris. „Es besteht nicht der geringste Zweifel daran, dass die Plumploris in diesen YouTube-Videos direkt aus der Wildnis stammen und nicht aus einer fiktiven, magischen Zuchtstation.“
Um einen jungen Plumplori für den Tierhandel zu fangen, müssen die Wilderer seine Mutter und manchmal sogar ganze Familienverbände töten. Dies bedeutet, dass vielleicht mehrere Plumploris sterben müssen, um ein Haustier zu erhalten. Nur wenige Haustierbesitzer sind sich jedoch der Tatsache bewusst, dass ihr Kauf zum Tod der Mutter ihres „Haustieres“ geführt hat. Weitere Plumploris sterben, während sie auf einen Käufer warten.
„Plumploris sind die einzigen giftigen Primaten der Welt, weshalb die Händler ihnen mit Zangen, Seitenschneidern oder Nagelknipsern die Zähne auf grausame Weise ausreißen oder abschneiden, in der Hoffnung, sie dadurch vom Beißen abhalten zu können. Dies geschieht ohne Betäubung auf offener Straße, was meist zu einem langsamen, qualvollen Tod durch Infektionen führt“, berichtet Nekaris.
Dieser junge Java-Plumplori ist so, wie er sein sollte. Er verfügt noch über all seine Zähne und lebt mit seinem Familienverband in freier Wildbahn. Foto: Wawan Tarniwan.
Durch diese grausame Operation ist es auch unmöglich, beschlagnahmte Plumploris wieder auszuwildern, so Nekaris. Sie fügte hinzu, dass „diese Prozedur sinnlos ist, da Plumploris ihr tödliches Gift immer noch über ihre kräftigen Kiefer abgeben können.“
Außerdem ist die Haltung von Plumploris extrem schwierig. Sogar Wissenschaftler wissen nur wenig über die Ernährung dieser Tiere – der Plumplori in dem hier beschriebenen Video ist krankhaft fettleibig – und nur wenige dieser Haustiere haben eine hohe Lebenserwartung.
Die Studie zeigt jedoch auch eine leichte Meinungsverschiebung nach der Erstellung einer Wikipedia-Seite über den Schutz der Plumploris im Jahr 2011 und der Ausstrahlung einer Dokumentation der BBC über den Handel mit Plumploris mit dem Titel the Jungle Gremlins of Java im Jahr 2012. Daraufhin gingen jene Kommentare, die den Wunsch nach einem Plumplori als Haustier zum Ausdruck brachten, auf dieser Seite auf etwa 10% pro Monat zurück, während Kommentare über den Schutz dieser Tiere häufiger wurden. Doch diese Videos tragen immer noch zur Förderung des illegalen Handels und der Vorstellung bei, dass Plumploris „niedliche Haustiere“ und keine wilden, giftigen Primaten seien, die sehr empfindlich auf grelles Licht reagieren und schwer zu halten sind.
Derzeit sind alle Plumploriarten der Welt auf der Roten Liste der IUCN entweder als „gefährdet“ oder „stark gefährdet“ eingestuft, und der Java-Plumplori gilt als einer der 25 gefährdetsten Primaten der Welt. Plumploris werden auch durch die Abholzung der Regenwälder und den Handel mit traditionellen Heilmitteln gefährdet. Sie spielen jedoch in ihren Ökosystemen eine äußerst wichtige Rolle, da sie Pflanzen bestäuben und Schädlinge fressen.
Nekaris zufolge besteht eines der größten Probleme für Plumploris und andere auf Seiten wie YouTube gezeigte Tiere darin, dass diese Seiten ihren Benutzern nicht die Möglichkeit bieten, Inhalte, in denen Tiere zu sehen sind, als „illegal“ zu markieren.
Dieser Java-Plumplori ist bereits stark dehydriert und völlig verängstigt. Er weist Verletzungen an den Händen auf, und sein Fell ist in einem schrecklichen Zustand. Er wird es wohl in kein YouTube-Video schaffen. Foto: Wawan Tarniwan.
„Derzeit ist es für die Benutzer auf keiner Internetseite des Web 2.0 (z.B. Facebook, YouTube) möglich, zu berichten, dass Inhalte, die Tiere zeigen, illegal sind. Tierquälerei ist auf YouTube zu finden, doch dies unterscheidet sich deutlich von illegalen Aktivitäten, die eine ganze Artengruppe bedrohen. Wenn diese Markierungsoption verfügbar wäre, dann könnte YouTube markierte Videos entweder mit Warnungen über den illegalen Tierhandel, Wilderei, den Arzneimittel-, Elfenbein- oder Pelzhandel versehen, oder sie bestenfalls vollständig entfernen, wie es bei Videos, die illegale Waffen, Pornographie oder Drogen zeigen, der Fall wäre“, meint Nekaris.
Diese neue Studie verdeutlicht auch den wachsenden Beitrag, den das Internet, und sogar soziale Medien, zur Förderung des illegalen Wildtierhandels leisten, durch den weltweit tausende Arten dezimiert werden. Experten schätzen, dass der illegale Wildtierhandel pro Jahr Gewinne von rund 19 Milliarden Dollar einbringt, und dass er oft in Verbindung zur organisierten Kriminalität steht. Auf diese Weise werden auch Menschenhandel, Drogen, Waffen und zivile Unruhen finanziert.
„Hunderte Loris sterben auf den Märkten für die wenigen, die es in diese Videos schaffen“, berichtet Wawan Tarniwan, ein indonesischer Naturphotograph, der an dieser Studie nicht beteiligt war. „Es gibt keinen größeren Gegensatz als jenen zwischen dem Anblick eines Plumploris bei Nacht in freier Wildbahn und ihren traurigen Augen, wenn sie als Haustiere in den Häusern der Menschen gehalten werden.“
Zwei Plumploris aus Sumatra, die, vor direkten Blicken der Öffentlichkeit geschützt, auf dem Barito-Markt in Java zum Kauf angeboten werden. Foto: The Little Fireface Project.
Diese drei jungen Plumploris aus Sumatra sind vor Angst zusammengekauert. Ohne ausreichend Wasser und Nahrung werden sie am helllichten Tag neben jungen Kaninchen zum Kauf angeboten. Foto: The Little Fireface Project.
Dieser junge Java-Plumplori, der nur wenige Monate alt ist, lernt gerade, wie er Löcher in die Rinde eines Baumes nagen kann, um an den herausquellenden Saft zu gelangen. Für dieses wichtige Plumplori-Verhalten – Baumsäfte sind ihre wichtigste Nahrungsquelle – sind alle Zähne notwendig. Foto: The Little Fireface Project.
QUELLE: Nekaris BKA-I, Campbell N, Coggins TG, Rode EJ, Nijman V (2013) Tickled to Death: Analysing Public Perceptions of ‘Cute’ Videos of Threatened Species (Slow Lorises – Nycticebus spp.) on Web 2.0 Sites. PLoS ONE 8(7): e69215. doi:10.1371/journal.pone.0069215