Am 26. August hat die Größe der arktischen Meereisfläche ein Rekordtief erreicht; als ob das nicht schlimm genug wäre, ist sie anschließend noch einmal um weitere 700 000 km2 geschrumpft. Bildmaterial mit freundlicher Unterstützung vom Nationalen Datenzentrum für Schnee und Eis (NSIDC), Amerika.
Etwa 20 Tage, nachdem die Eisbedeckung der arktischen Meere ihren Tiefstand erreicht hat, hat sie ein noch beunruhigenderes Rekordtief verzeichnet und befindet sich nun endlich auf dem Weg der saisonalen Erholung. Die Meereisfläche in der Arktis ist mittlerweile auf magere 3,4 Millionen km2 zurückgegangen; noch vor wenigen Monaten haben sich Wissenschaftler gefragt, wie lange es dauern würde, bevor sie die 4 Millionen km2 Schwelle erreichen würde. Die Schnelligkeit, mit der die Eismeere aufgrund des Klimawandels zu schmelzen scheinen, hat alle Vorhersagen und Computermodelle in den Schatten gestellt und sogar die skeptischsten Wissenschaftler schokiert.
„Wir befinden uns jetzt auf unbekanntem Terrain“, sagte Mark Serreze, Vorstand beim amerikanischen Datenzentrum für Schnee und Eis, in einer Pressekonferenz. Aufgabe des NSIDC ist es, Aktiviäten auf den Eismeeren zu überwachen. „Obwohl wir schon lange um die globle Erderwärmung sowie die Tatsache, dass sich Veränderungen am frühsten und ehesten in der Arktis abzeichnen, wissen, sind wenige von uns tatsächlich auf derartig schnelle Veränderungen vorbereitet.“
Die Fläche des arktischen Meereises hat sich im Vegleich zum Rekordminimum aus dem Jahr 2007 um 18 Prozent verringert, und ist damit nur noch halb so groß wie im Jahr 1980.
„Diese neuen Zahlen lassen vermuten, dass die Arktis in eine neue Klimaära eingetreten ist, wo dünneres Eis in Verbindung mit wärmeren Luft- und Wassertemperaturen jeden Sommer zu stärkeren Abschmelzungen führen“, sagte Julienne Stroeve, eine Wissenschaftlerin bei NSIDC. Die Größe der vom Eis bedeckten Wasserfläche hängt oft von den Wetterbedingungen ab, was bedeutet, dass die Prognosen für das kommende Jahr besser ausfallen könnten. Aber Wissenschaftler gehen allgemein davon aus, dass eine dünnere Eisschicht eher ein Anzeichen für abschmelzende Pole ist.
Vor nicht allzu langer Zeit haben einige Experten vorhergesagt, dass die Arktis bis zum Sommer 2100 komplett abgeschmolzen sei, aber da die Eisflächen viel schneller als je erwartet schrinken, wurde diese Diagnose bereits auf das Jahr 2050 vorgezogen. Manche sind sogar der Meinung, dass die Eismeere bis Ende des nächsten oder gar dieses Jahrzehnts abgeschmolzen seien. Letzte Woche hat Peter Wadhams, ein Forscher an der Universität von Cambridge, sogar behauptet, dieses Szenario könnte uns bereits in vier Jahren erwarten.
„Der Klimawandel ist nicht länger etwas zukunftsträchtiges, sondern erfordet unmittelbare Maßnahmen. Wir müssen nicht nur dringend die CO2-Emissionen reduzieren, sondern auch dringend andere Wege zum Klimaschutz in Betracht ziehen, beispielsweise die zahlreichen Ideen aus der Geotechnik“, sagte Wadhams der britischen Tageszeitung The Guardian am Montag.
Obgleich die Aktivitäten der Eismeere erst seit den 1970er Jahren per Satelliten überwacht werden, bestätigen Untersuchungen aus der Vergangenheit, dass die Arktis mindestens 2,5 Millionen Jahre lang schon nicht mehr eisfrei war. Der moderne Mensch bevölkert erst seit 200 000 Jahren die Erde.
„Die arktischen Eismeere sind so gut wie Geschichte“, behauptete Andrew Weaver, ein Klimatologe an der Universität von Victoria, gegenüber der kanadischen Nachrichtenagentur Canadian Press. „Aber unser Handeln wird entscheiden, ob auch wir Geschichte sind oder nicht.“
Der Verlust von Eisflächen in der Arktis beeinträchtigt nicht nur die regional ikonische Tierwelt, wie Polarbären, Robben und Narwale, sondern wird auch verheerende Auswirkungen auf den globalen Klimawandel haben. Meereis reflektiert das Sonnenlicht zurück ins All, wohingegen dunkle Wasserflächen das Licht absorbieren und somit im Sommer mehr Hitze abgeben. Zusätzlich besteht die Besorgnis, dass der Verlust von Meereis die Abschmelzung von Dauerfrostböden an Land zur Folge hat, wodurch große Mengen an Methan in die Atmosphäre abgegeben werden könnten. Methan ist ein noch mächtigeres Treibhausgas als Kohlenstoff.
Neue Ergebnisse aus der Wissenschaft zeigen auch, dass das Abschmelzen der arktischen Eismeere negative Auswirkungen auf das weltweite Wettersystem haben könnte. Vermehrte Wärme in den arktischen Ozeanen aufgrund von verringertem Meereis verlangsamt den Jetstream und lenkt ihn von seiner Bahn ab; dadurch entstehen in der Meteorologie als ‘blocking patterns‘ bekannte Wetterblockaden. Diese langen, ungewöhnlichen Jetstreamveränderungen wurden für langanhaltende Wetterextremitäten, wie beispielsweise die Hitzewelle vergangenes Jahr in den USA, sowie für extreme Winter in der nördlichen Hablkugel verantwortlich gemacht. Dann trägt ein aufziehender Jetstream arktische Luft nach Süden.
Umweltschutzorganisationen antworten
Die Nachricht über das rekordschnelle Abschmelzen der Eismeere hat Umweltschutzorganisationen dazu veranlasst, erneut vor einem globalen Versagen beim so unerlässlichen Klimaschutz zu warnen.
Der Vorstand bei Greenpeace, Kumi Naidoo, nannte das rekordschnelle Abschmelzen „einen entscheidenden Moment in der Menschheitsgeschichte.“
„In nur etwas über 30 Jahren haben wir das Erscheinungsbild unseres Planeten drastisch verändert, und schon bald kann es sein, dass der Nordpol in den Sommermonaten komplett aufgetaut sein wird“, sagte Naidoo. „Anstatt sich auf die Kernursache des Klimawandels zu konzentrieren, schauen unsere Staatsoberhäupter lieber dem Abschmelzen der Pole zu, um dann den Neugewinn aufzuteilen.“
Denn viele Staatsregierungen mit territorialen Besitzansprüchen auf arktischen Landflächen, darunter Amerika und Russland, machen sich abschmelzendes Meereis zum Vorteil, um die fossilen Brennstoffe der Region auszubeuten; dies wiederum führt natürlich zwangsweise zu weiteren CO2-Emissionen.
„Es gibt keinen anderen Ort auf der Erde, wo wir die Ironie unseres kurzsichtigen Handelns klarer sehen können als in der Arktis“, sagte Bill McKibben, Präsident der Klimaschutzvereinigung 350.org. „Unsere Reaktion war nicht etwa Besorgnis, Panik oder der Ausruf eines Notstandes. Sie war vielmehr: ‚Gut, dann lasst uns da rauf gehen und nach Öl bohren.‘ Eine Anklage, wie sie treffender nicht sein könnte! Wir stehen tief in der Schuld – denn wir versagen immer wieder dabei, das größte Problem in unserer Menschheitsgeschichte in den Griff zu bekommen.“
Wissenschaftler warnen schon seit Jahrzehnten davor, dass unsere globale Gesellschaft dringende die Treibhausgasemissionen weltweit reduzieren und offensiv erneuerbare Energiequellen nutzen muss, um einen Klimawandel mit verheerenden Auswirkungen abzuwenden.