Coquerel-Sifakas, die sich küssen. Foto: Rhett A. Butler |
94 der 103 Lemurenarten der Welt sind vom Aussterben bedroht. Zu dieser Erkenntnis gelangt die Weltnaturschutzunion (IUCN) in einer neuen Bewertung, die im Juli von der IUCN Species Survival Commission bei einem Workshop bekannt gegeben wurde.
Die Lemuren, eine Gruppe von Primatenarten, die ausschließlich auf der Insel Madagaskar vorkommen, werden durch die Zerstörung ihres Lebensraums sowie durch Wilderei und den Handel mit Buschfleisch bedroht. In der aktualisierten Roten Liste gefährdeter Arten der IUCN werden nun 23 Lemurenarten als „vom Aussterben bedroht“ klassifiziert, 52 gelten als „stark gefährdet“, 19 sind „gefährdet“ und drei sind „gering gefährdet“. Nur drei Lemurenarten werden als „nicht gefährdet“ eingestuft. Diese neuen Zahlen sind erschreckend im Vergleich zur letzten Bewertung – durchgeführt im Jahr 2005 – der zufolge nur 10 Arten „vom Aussterben bedroht“, 21 „stark gefährdet“ und 17 „gefährdet“ waren.
„Die Ergebnisse unseres Workshops sind schockierend, da sie uns vor Augen führen, dass Madagaskar bei weitem den größten Anteil bedrohter Arten aller Primatenlebensräume und aller Länder der Welt aufweist“, erklärte Christoph Schwitzer, der Forschungsleiter im Zoo von Bristol und Mitglied der Expertengruppe für Primaten der IUCN Species Survival Commission. „Aus diesem Grund glauben wir, dass Lemuren die gefährdetste Gruppe aller Wirbeltiere sein könnten.“
Der vom Aussterben bedrohte Indri. Foto: Rhett A. Butler |
„Diese neue Bewertung verdeutlicht die große Gefahr für die einzigartigen Lemuren Madagaskars und lässt gleichzeitig eine ernstzunehmende Bedrohung für die Artenvielfalt dieser Insel erkennen, die lebensnotwendig für die dort ansässige Bevölkerung ist“, fügte Russ Mittermeier hinzu, der Präsident von Conservation International (CI) und Vorsitzende der Expertengruppe für Primaten der IUCN Species Survival Commission. „So wie die Wälder verschwinden, verschwinden auch die Lemuren und mit ihnen der große Nutzen, den sie für das Ökosystem haben.“
Die Lage der Lemuren hat sich enorm zugespitzt, seit ein Militärputsch im Jahr 2009 das Land in eine politische Krise stürzte. Dies führte zur Schwächung seiner Institutionen, zum Stopp von Umweltschutzinitiativen und zum Einbruch des aufstrebenden Ökotourismussektors der Insel. Außerdem hatte diese Krise einen Anstieg des illegalen Holzeinschlages und der kommerziell betriebenen Lemurenjagd zur Folge. Andry Rajoelina, der Politiker, der im Putsch das Präsidentenamt an sich gerissen hatte, ist noch immer an der Macht.
Aber nicht alle Neuigkeiten sind schlecht für die Lemuren. Naturbewusste Touristen und Umweltschutzgelder gelangen wieder nach Madagaskar. Sie unterstützen die Bemühungen zum Schutz des Lebensraums der Lemuren und fördern lokale Unternehmen und Gemeinden, die von der unglaublichen biologischen Vielfalt dieser Insel profitieren. Madagaskar verfügt über die größte Vielfalt an Primatenarten auf der Erde.
„Die einzigartige und wundervolle Tierwelt Madagaskars ist der größte Vorzug dieses Landes, seine unverwechselbare Marke und die Basis eines Tourismussektors, der trotz der politischen Probleme weiter wächst“, sagte Mittermeier von der CI. Die CI unterstützte die Species Survival Commission bei der Organisation und der Finanzierung ihres Workshops.
Kattas. Foto: Rhett A. Butler |
Bei dem Treffen der IUCN wurde auch die Entdeckung einer bislang unbekannten Mausmaki-Art in der Region Marolambo im Osten Madagaskars bekannt gegeben. Diese Art muss erst wissenschaftlich beschrieben werden, und sie hat noch keinen Namen, doch sie ist bereits die 103. der Wissenschaft bekannte Lemurenart. 40 „neue“ Lemurenarten sind seit dem Jahr 2000 beschrieben worden.
Der vom Aussterben bedrohte Schwarzweiße Vari. Foto: Rhett A. Butler |
Das Treffen der IUCN fand kurz nach der Eröffnung des Centre Valbio, einer High-Tech-Forschungsstation am Rande des Ranomafana Nationalparks, statt. Der Ranomafana ist die Heimat von 14 Lemurenarten, unter ihnen der Schwarzweiße Vari (Varecia variegata) und der Große Bambuslemur (Prolemur simus), die beide vom Aussterben bedroht sind, sowie der Goldene Bambuslemur (Hapalemur aureus) und der Edwards-Sifaka (Propithecus edwardsi), die als stark gefährdet gelten.