Die Kihansi-Gischtkröte ist in freier Wildbahn ausgestorben, seit ihr Lebensraum durch einen Staudamm zerstört wurde. Foto: Rhett A. Butler
Die gute Nachricht: Ein Massenaussterben, das sechste im Laufe der Erdgeschichte, kann noch verhindert werden. Die schlechte Nachricht: Wenn die heute vom Aussterben bedrohten Arten verschwinden, und sei es im Laufe der nächsten 1.000 Jahre, wird der Homo sapiens das erste Lebewesen sein, das allein für ein Massenaussterben verantwortlich ist. Eine neue Studie aus der Zeitschrift Nature die die heutige Situation mit den fünf großen Aussterbewellen der Vergangenheit vergleicht, unterstreicht den Ernst der Lage. Zugleich weist sie aber darauf hin, dass das Ausmaß der Krise schlussendlich von uns abhängt.
„Betrachtet man nur die vom Aussterben bedrohten Säugetiere, jene, deren Aussterberisiko innerhalb von drei Generationen bei mindestens 50 Prozent liegt, unter der Annahme, dass sie in 1.000 Jahren verschwunden sein werden, so zeigt sich, dass wir längst den Normalbereich verlassen haben und uns im Bereich des Massenaussterbens befinden“, erklärt der führende Autor der Studie, Anthony D. Barnosky, Professor für Integrative Biologie an der Universität Berkeley.
Die Rote Liste gefährdeter Arten der Weltnaturschutzunion (IUCN) klassifiziert momentan 3.565 Arten als vom Aussterben bedroht. Allerdings hat die IUCN nur die Bedrohung von ca. 2,7 Prozent der weltweiten Arten ausgewertet.
Der Schopfaffe (Macaca Nigra) lebt auf der indonesischen Insel Sulawesi und ist laut der Roten Liste der IUCN vom Aussterben bedroht. Foto: Rhett A. Butler |
Barnosky fügte hinzu, dass uns in 300 bis 2.200 Jahren ein sechstes Massenaussterben bevorstehen könnte, sollten auch die als gefährdet und stark gefährdet klassifizierten Arten verschwinden. Eine neue Studie der IUCN belegt, dass 20 Prozent aller Wirbeltiere vom Aussterben bedroht sind. Die meisten wirbellosen Tiere wurden noch nicht einmal auf ihre Gefährdung untersucht.
Laut Barnosky sind 1-2 Prozent der Arten in den Klassen, die genauer untersucht werden können, bereits verschwunden. Das lässt darauf schließen, dass es noch Zeit gebe, den Artenschwund aufzuhalten. Dennoch geschieht das Aussterben jetzt schon schneller als in den Massenaussterbeperioden der Vergangenheit.
Charles Marshall, Professor für Integrative Biologie an der Universität Berkeley und Mitautor der Studie, warnte: „Die Tatsache, dass das Ausmaß gering ist verglichen mit den größten Massenaussterbewellen der letzten 500 Millionen Jahre, bedeutet nicht, dass es unerheblich ist. Obwohl das Ausmaß relativ gering ist, ist die momentane Aussterberate höher als jene der meisten vergangenen Massenaussterbeereignisse.“
Die Studie wies überdurchschnittlich hohe Aussterberaten von Säugetieren nach: Mindestens 80 Säugetierarten sind in den letzten 500 Jahren ausgestorben, während Untersuchungen von Fossilien auf das Aussterben von weniger als zwei Säugetieren in einer Million Jahren hindeuten.
„Die heutigen Aussterberaten scheinen denen eines Massenaussterbens zu entsprechen, selbst bei einem hohen Schwellenwert für diesen Begriff“, stellte Barnosky fest.
Einige Arten sind sogar noch gefährdeter als Säugetiere. Laut der IUCN sind 33 Prozent der Amphibien, 27 Prozent der Riff bildenden Korallen, 29 Prozent der Nadelbäume und 52 Prozent der Palmfarne heute vom Aussterben bedroht.
Die Artenvielfalt wird gefährdet durch eine Reihe menschlicher Einflussfaktoren, wie zum Beispiel die Abholzung von Regenwäldern, die Zerstörung von Lebensräumen, Umweltverschmutzung, die Übernutzung natürlicher Ressourcen zur Lebensmittel- und Medikamentenproduktion, das Einführen exotischer Arten und Klimaveränderungen.
Die vom Aussterben bedrohte Aruba-Klapperschlange im Bronx Zoo Foto: Rhett A. Butler |
„Das heutige weltweite Massenaussterben ist eine großteils unbeachtete Folge des Klimawandels und der menschlichen Aktivitäten“, erklärte H. Richard Lane, Programmdirektor der Abteilung für Geowissenschaften der National Science Foundation, die diese Untersuchung finanzierte. „Die Studie zeigt, dass es zu unvorhergesehenen und irreversiblen negativen Konsequenzen für die Umwelt und für die Menschheit kommen könnte, sollte sich dieser Prozess fortsetzen.“
Die Artenvielfalt auf der Erde ist für uns Menschen von großem Nutzen. Unter anderem ermöglicht sie die Bestäubung von Pflanzen, die biologische Schädlingsbekämpfung, die Lebensmittelproduktion, den Fischfang sowie die Kohlenstoffbindung und versorgt uns mit natürlichen Heilmitteln und Trinkwasser. Nicht zu vergessen ist der unschätzbare Wert einer Fülle verschiedener Lebensformen auf unserem Planeten.
„Unsere Untersuchungsergebnisse unterstreichen, wie wichtig es ist, vom Aussterben bedrohte und gefährdete Arten zu erhalten“, fügte Barnosky hinzu. „So würde die Artenvielfalt im Vergleich mit der Langzeitbiodiversität auf einem guten Niveau bleiben. Sollten jedoch die meisten dieser Arten im Laufe der nächsten 1.000 Jahre verschwinden, so befänden wir uns im Bereich des sechsten großen Massenaussterbens.“
Zitiert aus: Anthony D. Barnosky, Nicholas Matzke, Susumu Tomiya, Guinevere O. U. Wogan, Brian Swartz, Tiago B. Quental, Charles Marshall, Jenny L. McGuire,
Emily L. Lindsey, Kaitlin C. Maguire, Ben Mersey, and Elizabeth A. Ferrer. Has the Earth’s sixth mass extinction already arrived?. Nature. 471. 51-57.
3-3-2011. doi:10.1038/nature09678.
Der Sumatra-Orang-Utan (Pongo abelii) ist vom Aussterben bedroht. Sein Bestand wird auf 7.000 Tiere geschätzt, was einen Rückgang von 80 Prozent in 75 Jahren bedeutet. Foto: Rhett A. Butler
Eine weibliche Lederschildkröte bei der Eiablage. Die größte Meeresschildkröte der Welt wird von der IUCN als vom Aussterben bedrohte Art gelistet. Foto: Tiffany Roufs
Ein Schwarzweißer Vari (Varecia variegata) bei der Nahrungsaufnahme auf einem Tamarindenbaum in Madagaskar. Sein Bestand ist in 27 Jahren um 80 Prozent gesunken, deshalb gilt auch diese Art als vom Aussterben bedroht. Foto: Rhett A. Butler