Kiribati, eine kleine, aus 33 pazifischen Inselatollen bestehende Nation, wird voraussichtlich zu den ersten Ländern gehören, die vom steigenden Meerespegel überschwemmt werden. Dennoch hat das Land kürzlich eine erstaunliche Selbstverpflichtung beschlossen: Es hat eine Fläche von knapp 400.000 Quadratkilometern für den Fischfang gesperrt, obwohl dieser nahezu die Hälfte der Steuereinnahmen der Regierung ausmacht. Was bewegte das winzige Land dazu, diesen monumentalen Schritt zu gehen? Präsident Anote Tong sagt, dass Kiribati (sprich „Kir-i-bas“) eine Botschaft an die Welt senden möchte: „Wir müssen Opfer bringen, um die Zukunft unserer Kinder und Enkelkinder zu sichern.“
Präsident Tong spricht klare Worte. Kiribati rechnet damit, das letzte Opfer in der Mitte des Jahrhunderts zu bringen, wenn ein Großteil des Landes vermutlich unbewohnbar sein wird. Das ansteigende Meer wird die Frischwasserversorgung verschmutzen, die landwirtschaftlichen Flächen ruinieren sowie Strände und Dörfer erodieren und somit ihre Bewohner zum Fliehen zwingen. An diesem Schicksal trifft Kiribati selbst keine Schuld—seine Treibhausgasemissionen sind unbedeutend und seine Bevölkerungszahl liegt nur knapp über 100.000. Allerdings überlegt der Staat schon, Flächen in anderen Ländern zu kaufen, um eventuell einen substanziellen Teil seiner Bevölkerung umzusiedeln.
![]() Anote Tong. Foto von Lawrence Jackson. |
Kiribati gehört zu den ärmsten Ländern der Welt. Es verfügt nur über wenige natürliche Ressourcen neben Fisch und Copra, dem getrockneten Fleisch der Kokosnuss. Allerdings befinden sich dort einige der unberührtesten Korallenriffe und gesündesten Fischbevölkerungen der Welt, die nun zur Grundlage seines Beitrags zum Wohlergehen des Planeten geworden sind: dem Meeresschutzgebiet Phoenixinseln (Phoenix Islands Protected Area = PIPA), dem mit 408.250 Quadratkilometern größten Weltnaturerbe des Meeres.
Das PIPA-Gebiet ist ein Teil von Präsident Tongs größerer, ehrgeizigerer Initiative, dem Pacific Oceanscape – ein Gebiet von 38,5 Millionen Quadratkilometern Meer, das größer ist als die Landflächen von Kanada, Mexiko und den USA zusammen. In den vergangenen zwei Jahren hat Präsident Tong 16 pazifische Nationen in dieser Initiative versammelt, die die Meeresgesundheit erhalten soll, indem sie die Fischereiwirtschaft verbessert, die Biodiversität schützt und bewahrt, das wissenschaftliche Verständnis des Ökosystems Meer fördert und die negativen Auswirkungen der menschlichen Aktivitäten reduziert.
Präsident Tongs Anstrengungen angesichts der unglaublichen Widrigkeiten haben ihm gehörigen Respekt in der Welt des Naturschutzes eingebracht. Dr. Greg Stone, leitender Meeresbiologe und Vizepräsident für Meeresschutz bei Conservation International, vergleicht ihn mit dem „Teddy Roosevelt der Meere“, da Präsident Tong für die Meere das tue, was der 26. US-Präsident zu Beginn des 20. Jahrhunderts in den Vereinigten Staaten für den Naturschutz an Land getan habe.
„Wir sind Zeugen, wie eine neue Ära des Meeresmanagements anbricht“, sagte er.
![]() Bild mit freundlicher Genehmigung von phoenixislands.org |
Letzte Woche trug Präsident Tong seine Botschaft in San Francisco auf der kalifornischen und der Weltmeereskonferenz 2010 vor. Als ein Vortragender neben dem US-Repräsentanten Sam Farr aus Kalifornien, der Vertreterin der nationalen Wetter- und Ozeanographiebehörde der USA Jane Lubchenco, dem Philanthropen David Rockefeller Jr., der Meereskundlerin Sylvia Earle sowie Hunderten von Meeresforschern und -schützern rief Präsident Tong die Welt zum Handeln auf, um die Meere zu schützen und den Klimawandel zu verhindern.
„Es gibt offensichtlich ein Bedürfnis, alle Bemühungen der Meeresaufsicht im Pazifik und auf der ganzen Welt zusammenzubringen, wenn wir diese Ressourcen für die derzeitigen und die zukünftigen Generationen erfolgreich lenken und bewahren wollen“, sagte er.
Nach seiner Grundsatzrede in der Konferenz diskutierte Präsident Tong mit Rhett Butler von Mongabay.com über die Themen Klimawandel und Meeresschutz.
Nachfolgend ist ein kurzer Auszug des Interviews mit Präsident Tong wiedergegeben.
![]() Bild mit freundlicher Genehmigung von phoenixislands.org |
INTERVIEW MIT SEINER EXZELLENZ ANOTE TONG, PRÄSIDENT VON KIRIBATI
mongabay.com: Wie empfinden die Bewohner von Kiribati die Tatsache, dass ihr Schicksal in der Hand von Menschen in weit entfernten Ländern liegt?
President Anote Tong: Es gibt ein Gefühl von Ungerechtigkeit, aber auch ein Verständnis dafür, dass sich die Menschen bis vor kurzem über die Auswirkungen ihrer Aktionen nicht im Klaren waren. Allerdings ist es angesichts des Wissens, das wir heute haben, unverantwortlich und unmoralisch, einfach wie gewohnt weiterzumachen. In dieser Lage nichts zu unternehmen grenzt an Kriminalität.
![]() Dunkelflossen-Barrakuda in der Nähe der McKean-Insel im Meeresschutzgebiet Phoenixinseln. © Randi Rotjan, New England Aquarium. Mehr als 200 Korallentypen, 500 einzigartige Fischarten, 18 Meeressäugetiere und 44 Vogelarten wurden laut Conservation International in der Gegend der Phoenixinseln nachgewiesen. |
Aber wir sind nicht die einzigen, die einer solchen Zukunft entgegensehen. Andere Inselstaaten sowie niedrig gelegene Länder und Küstengebiete sind ebenfalls bedroht.
Wir alle können die Opfer sein—selbst die Vereinigten Staaten mit dem Hurrikan Katrina und den Bränden in Kalifornien.
mongabay.com: Gibt es den Wunsch nach Hilfe von außen, um die Folgen des Klimawandels zu bewältigen?
President Anote Tong: Kiribati ist eine sehr christliche Nation. Lange Zeit sahen die Menschen die Fluten und andere Schäden als göttliche Handlungen an. Aber jetzt kommen einige Menschen zu der Einsicht, dass der Meeresspiegel steigt und dass es nur noch schlimmer werden wird. Die Menschen machen mobil. Sie suchen Hilfe.
Mittlerweile gibt es die verbreitete Meinung, dass die Menschen, die am meisten zum Problem beitragen, ein Teil der Lösung sein sollten.
mongabay.com: Möchten Sie der Öffentlichkeit eine Botschaft überbringen?
President Anote Tong: Wir müssen uns von der Idee lösen, dass eine Person, eine Aktion keinen Unterschied machen kann. Eine Millionen ist 1+1+1 und so weiter. Jeder Mensch und jede Aktion sind wichtig.
Der Pazifik ist ein Meer. Was du in Kalifornien ins Meer wirfst, kommt an unseren Stränden an. Deshalb müssen wir zusammenarbeiten.
mongabay.com: Wenn Sie sich irgend etwas wünschen könnten, was wäre das?
![]() Butaritari, ein Atoll der pazifischen Inselnation Kiribati. Bild mit freundlicher Genehmigung von Google Earth. |
President Anote Tong: Wir bitten die Bewohner der Erde, ein Opfer zu bringen. Das Schicksal unseres Volks, unserer Kultur, unserer Erinnerungen steht auf dem Spiel. Ich glaube nicht, dass irgend jemand ein Volk ertränken möchte, aber genau das ist es, was passieren wird.
Der Klimawandel ist eine moralische Herausforderung, vielleicht die größte seit der Sklaverei. Die internationale Gemeinschaft verurteilt bereitwillig Terrorismus, Völkermord und nukleare Aufrüstung, aber warum können wir nicht die Ungerechtigkeit unseres Nichthandelns in Bezug auf den Klimawandel begreifen?
Da wir beim Klimawandel an vorderster Front stehen, werden wir eines der ersten Länder sein, die vom fehlenden Handeln der anderen betroffen sein werden. Daher bitten wir die Menschen darum, am Wochenende die Extrameile zu laufen, Opfer zu bringen.
![]() Knallbunte Weihnachtsbaumwürmer (Spirobranchus spp.) filtern vorsichtig an ihrem Sitz in einer Porites spp.-Korallenkolonie auf der Insel Enderbury Nahrung aus dem Wasser. © Jim Stringer. Innerhalb des Meeresschutzgebiets Phoenixinseln liegen acht Atolle, zwei Unterwasserriffsysteme, ungefähr 14 Unterwasser-Seamounts (submarine Vulkane) sowie Tief- und Hochseeumgebungen, die zu den isoliertesten und von Menschen unbeeinträchtigsten des Planeten gehören. Laut Conservation International könnte so der Ozean vor tausend Jahren ausgesehen haben. |
Darum hat Kiribati ein Opfer gebracht. Wir haben PIPA geschaffen und dafür einen Großteil unserer Hoheitsgewässer für die Fischerei gesperrt. Wir mussten unsere eigenen inneren politischen Kämpfe dazu ausfechten, aber es ist eine sehr weitreichende Entscheidung unsererseits.
Die Fischerei macht ungefähr 45 Prozent der Steuereinnahmen der Regierung aus und ist eine wichtige Quelle für die Lebensgrundlage der Menschen bei uns.
Dies ist unser Beitrag zur Biodiversität und zu den Fischbeständen des Meeres. Die Bewahrung unserer Fischereiressourcen nützt dem restlichen Meer. Es gibt keine Fangzonen, die die Fischbevölkerungen in Außengebiete treiben.
Mit dem Pacific Oceanscape haben wir 16 Länder zusammengebracht, die ähnliche Maßnahmen unternehmen, um die Meeresressourcen zu schützen. Das Oceanscape ist größer als die Landflächen von Kanada, Mexiko und den USA zusammen.
Die Idee des Oceanscapes ist so logisch. Die Länder, die sich den Pazifik teilen, hätten schon lang an diesen Themen zusammenarbeiten sollen.
mongabay.com: Wird PIPA Touristen nach Kiribati locken?
President Anote Tong: Unser größtes Problem im Bereich des Tourismus war bislang das Fehlen eines regelmäßige Flugdienstes, aber wir arbeiten daran. Wir sind nur zwei Stunden von Hawaii entfernt.
![]() Ein Mantarochen in eleganter Bewegung nahe der Insel Kanton. © Jim Stringer. |
PIPA hat sicher für ein großes öffentliches Interesse gesorgt, insbesondere hinsichtlich des Problems des Klimawandels, vor dem Kiribati steht. Und dies ist auch wichtig, denn wie kann man sich Sorgen um ein Land machen, das man gar nicht kennt?
Wir haben Touristen viel zu bieten—das Interesse ist definitiv da. Wir sind einer der weltbesten Orte zum Fischen und unsere Riffe gehören zu den unberührtesten. Es gibt nur wenig Besiedlung oder Störungen, was die Gegend zu einem lebenden Labor für Klimawandelforschung macht. Sie kann als Ausgangswert für Studien dienen.
mongabay.com: Sind Kiribatis Riffe Opfer der Korallenbleiche geworden?
President Anote Tong: Ja, Korallenbleiche habe ich natürlich schon gesehen. Ob sie das Produkt des Klimawandels ist, weiß ich nicht.
Einige Riffe erholen sich jedoch wieder, was uns hoffen lässt.
mongabay.com: Haben Sie Schwierigkeiten, Ihre Gewässer gegen illegale Fischfangflotten zu beschützen?
![]() Riffhai. © Randi Rotjan, New England Aquarium |
President Anote Tong: Wir haben eine riesige exklusive Wirtschaftszone, 3,5 Millionen Quadratkilometer, und nur ein einziges Patrouillenboot, von daher ist das wirklich ein Problem. Allerdings haben wir eine Vereinbarung mit den Vereinigten Staaten—wir haben Beobachter an Bord ihrer Schiffen. Wir erhalten auch Unterstützung von anderen Ländern.
Wir haben einen Plan, wonach wir die Überwachung durch Überflüge von benachbarten Ländern verstärken möchten.
mongabay.com: Was gibt Ihnen Hoffnung?
President Anote Tong: Ich weigere mich, zu glauben, dass irgend jemand mit einem Gewissen vorsätzlich zur Tagesordnung übergehen würde, wenn er wüsste, dass seine Aktionen zum Untergang von anderen führen würde.
Wir dürfen nicht vergessen, dass wir dabei über das Schicksal eines Volkes sprechen. Wir sprechen nicht über Eisbären. Ich halte Eisbären für wertvoll und möchte nicht, dass sie aussterben. Aber ebenso wenig möchte ich, dass unser Volk ausstirbt.